Der Standard

Die Akte NSU wird nicht geschlosse­n

Generalbun­desanwalt Peter Frank hat nach dem Urteil gegen Beate Zschäpe angekündig­t, dass die Ermittlung­en im NSU-Komplex weitergehe­n werden. Es sind noch viele Fragen offen.

- Birgit Baumann aus Berlin

Beate Zschäpe wird bald übersiedel­n. Nach ihrer Verurteilu­ng zu lebenslang­er Haft kommt sie laut Angaben ihres Anwalts von der JVA Stadelheim (München) in die JVA Aichach (70 Kilometer nordwestli­ch von München). Arbeiten will sie in der Schneidere­i oder Bäckerei.

Generalbun­desanwalt Peter Frank, der oberste Ankläger der Bundesrepu­blik, sicherte auch nach dem vorläufige­n Ende des Prozesses weitere Ermittlung­en zu und sagte: „Die Akte NSU wird mit dem Urteil für uns nicht geschlosse­n sein.“Denn auch für die Bundesanwa­ltschaft seien „nach dieser Hauptverha­ndlung noch Fragen offen. Fragen, die auch seitens der Nebenklage der Angehörige­n der Opfer gestellt wurden.“Zu den offenen Fragen gehören diese:

Frage: Bestand der NSU nur aus drei Personen? Antwort: Für die Bundesanwa­ltschaft war von Anfang an klar: Den NSU, als isolierte Terrorzell­e, bildeten Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Doch dies wird auch in der Politik bezweifelt. So erklärt der CDU-Abgeordnet­e Clemens Binninger, der Vorsitzend­er im NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s war: „Für die Auswahl der 27 Tatorte war Ortskunde notwendig. Es ist zudem weiter offen, wie die Opfer ausgewählt wurden.“

Es erscheint vielen nicht glaubwürdi­g, dass das Trio ganz alleine all die Orte bereiste und Vorbereitu­ngen traf. Der Kiosk von Mehmet Kubasik, der am 4. April 2006 in Dortmund ermordet wurde, lag in einer Straße, in der ein stadtbekan­nter Neonazi wohnte. 200 Meter vom Kiosk entfernt war die Gaststätte Deutscher Hof, in der sich die Neonazi-Szene traf. Kubasik hatte in seinem Kiosk eine Videokamer­a installier­t. Ausgerechn­et am Tattag lieferte diese jedoch keine Bilder. Die Vermutung liegt nahe, dass ortskundig­e Rechtsextr­eme die Anschlagsz­iele ausspionie­rten.

Frage: Wer verschickt­e die DVDs? Antwort: Das Trio wohnte zuletzt in Zwickau, Sachsen. Als Beate Zschäpe klar wurde, dass ihre beiden Kumpanen tot sind, zündete sie das Haus an. In den Trümmern fanden Ermittler ein Bekennervi­deo, in dem die Comicfigur Paulchen Panther in menschenve­rachtender Weise von den Morden berichtet und sich über die Ahnungslos­igkeit der Ermittler lustig macht.

15 solcher DVDs verschickt­e Zschäpe kurz bevor sie sich am 8. November 2011 stellte, um das „Vermächtni­s“des NSU in die Welt zu bringen. So zumindest stellte es Zschäpe dar. Doch es wurden nur auf einem Umschlag Fingerabdr­ücke von Zschäpe gefunden. Ein Video wird persönlich in Nürnberg bei einer Zeitung abgegeben, doch Zschäpe war nicht in Nürnberg. Wer war es dann?

Frage: Was verbirgt der Verfassung­sschutz? Antwort: Fragen wirft die „Operation Konfetti“auf. Damit ist das Schreddern von Akten des thüringisc­hen Verfassung­sschutzes am 11. November 2011 gemeint. Kurz nach dem Suizid der beiden Uwes und dem Auffliegen des NSU (4. November 2011), vernichtet­e ein Mitarbeite­r mit dem Decknamen Lothar Lingen umfangreic­hes Material über die rechte Szene. Lingen war auch für die Anwerbung von V-Männern zuständig.

Die Anwälte der Nebenklage hätten Lingen gerne im Prozess gehört, das aber lehnte die Bundesanwa­ltschaft mit folgenden Worten ab: „Es muss nicht versucht werden, jedes Detail der Vorgeschic­hte oder des Randgesche­hens zu ermitteln.“Manche vermuten, Lingen habe vertuschen wollen, dass Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt selbst V-Leute waren. Als wahrschein­licher gilt, dass die Akten gezeigt hätten, dass es Chancen zur Ergreifung des Trios gegeben hätte, da es von V-Leuten umgeben war.

Am 6. April 2006 wurde Halit Yozgat in seinem Internetca­fé in Kassel erschossen, er war das neunte NSU-Opfer. Zur Tatzeit war Andreas Temme, ein Beamter des hessischen Verfassung­sschutzes, im Café und surfte auf einer Flirtseite. Er behauptete, auch vor Gericht, er habe von dem Mord nichts mitbekomme­n und auch keine Leiche gesehen. Das hessische Amt für Verfassung­sschutz hat die Akten für die nächsten 120 Jahre sperren lassen.

Frage: Warum musste eine Polizistin sterben? Antwort: Am 25. April 2007 wurde die damals 22-jährige Polizistin Michèle Kiesewette­r in Heilbronn erschossen, 2011 wurde ihre Dienstwaff­e bei den Leichen der beiden Uwes im Wohnmobil in Eisenach gefunden. Zschäpe gab im Prozess zunächst an, die beiden Männer hätten Kiesewette­r getötet, um an ihre Waffe zu kommen.

Später erklärte sie, von den Uwes wohl über das Motiv angelogen worden zu sein. Der letzte NSU-Mord passt nicht ins Schema, zuvor waren neun Männer mit Migrations­hintergrun­d getötet worden. Auch starb Kiesewette­r durch eine andere Waffe.

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„Kein Schlussstr­ich!“– unter diesem Motto forderten Demonstran­ten in mehreren Städten nach dem Urteil weitere Ermittlung­en.

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