Wie das Leben an der Küste unter dem Blutmond glüht
Mythen, Geister und beschwörende Gedanken: „Lúa Vermella“ist das bildgewaltige Langfilmdebüt des Spaniers Lois Patiño
Wien – An der Bucht eines abgeschiedenen galizischen Küstendorfs mischt sich unter den Klang von Wind, Möwengeschrei und Meeresrauschen ein tiefes Heulen. Ein anderes Zeichen des nicht ganz Irdischen dort ist ein Felsen, der wie ein Zahn aus dem schroffen Küstenmassiv ragt. Geformt wie eine Welle kurz vor dem Brechen, erinnert er an einen offenen Schlund.
Im Ort sagt man, der Felsen habe das Boot eines Fischers namens Rubio in die Tiefe gezogen. Außerdem kursiert die Erzählung, er sei von einem Monster, das vom roten Mond geweckt wurde, zu sich geholt worden. Womöglich könnte aber auch die Schließung des örtlichen Damms am Verschwinden des Fischers beteiligt sein.
Seit diesem erschütternden Ereignis hat sich eine kollektive Lähmung über den Landstrich gelegt. Regungslos stehen seine verbliebenen Bewohner, alte Männer und Frauen mit verwitterten Gesichtern und abgearbeiteten Körpern, im Watt, sitzen auf ihren Fischernetzen oder lehnen an ihren Booten.
Ihre Gedanken, die als Off-Stimmen die Bilder durchdringen und in einer nichtlinearen Erzählung zusammenfließen, kreisen um die
Schiffbrüchigen und ihre Geister, um das Meer und den Mond. „Versteht niemand sein Gebrüll? Es ruft nach Blut“, hört man zu dem Bild einer Frau, die wie eingefroren vor ihrem Haus sitzt.
Manchmal werden die Gedanken auch zu Beschwörungsformeln: „Rubio, komm aus dem Meer hinaus.“Die Mutter des vom Meer Verschluckten wendet sich gar an höhere Wesen. Bald steigen drei Hexen von einem Berg herab, die versprechen, bei der Suche zu helfen.
Lúa Vermella ist ein trancehafter Natur- und Geisterfilm in überwiegend statischen, bildgewaltigen Tableaux.
Im Rückgriff auf das mythische Universum Galiziens und die wahre Geschichte des Rubio Camelle, eines Tauchers, der die Körper von mehr als vierzig Schiffbrüchigen aus dem Meer barg, entwirft Patiño in seinem Langfilmdebüt eine überzeitliche Welt zwischen Leben und Tod, Realität und Fantastik.
Dabei nutzt der spanische Filmemacher auch historische Bilder: Auf einer Meereskarte aus dem 16. Jahrhundert wimmelt es vor Ungeheuern, die mit ihren Klauen nach Schiffen haschen. Und in den farbenprächtigen Malereien des Surrealisten Urbano Lugrís öffnen sich die riesigen Mäuler der Fische wie Höhlen. Laut Patiño hat vor allem ein Satz des galizischen Dichters Álvaro Cunqueiro den Film entscheidend geformt: „Der Ozean ist ein Tier, das zweimal am Tag atmet.“
Irgendwann löst sich die Starre, gerät alles ins Fließen. Immer stärker glühen die Bilder in tiefem Rot und gibt sich der Film den hypnotischen Kräften des Blutmondes hin.
Zudem ist Lúa Vermella das Porträt einer schroffen Küstengegend, in der die Präsenz des Todes das Zusammenleben bestimmt. (buss) Le Studio, 29. 10., 18.00;
Metrokino, 31. 10., 14.00