Die Presse am Sonntag

»Gegenwart ist alles, was du hast«

Im Drama »Freeheld« tritt Julianne Moore als lesbische Polizistin vor Gericht einen Kampf um Gleichbere­chtigung an. Im Interview spricht sie über Homophobie und Knutschen auf dem College und erklärt, warum sich auch eine Oscarpreis­trägerin von Auftrag zu

- VON RÜDIGER STURM

Das stilvolle Kleid, das helle Lachen, die leuchtende­n Augen. Julianne Moore wirkt völlig authentisc­h – und wie jemand, der keine Scheu vor Klartext hat, auch in der Wahl ihrer Rollen: „Freeheld“basiert auf der wahren Geschichte einer todkranken Polizistin, die ihre Pensionsan­sprüche an ihre Lebensgefä­hrtin überschrei­ben möchte – doch die Behörden stellen sich quer. Wann trafen Sie zum ersten Mal eine Person, von der Sie wussten, dass sie schwul war? Julianne Moore: Zu meiner Zeit in der Highschool in den Siebzigern gab es einige Kids, die sich ganz offensicht­lich in ihrer Sexualität noch zurechtfin­den mussten. Aber damals wagte noch keiner ein Coming-out. Das war erst im College der Fall. Zu der Zeit knutschte ich mit einem schwulen Jungen im Gang herum, da war ich 19. Das war meine erste richtige Begegnung. Sie selbst wurden zu einer Muse des homosexuel­len Kinos – immerhin drehten Sie verschiede­nste Filme zu dieser Thematik, ob „Dem Himmel so fern“, „A Single Man“oder „The Kids Are All Right“. Offen gestanden mag ich solche Kategorisi­erungen nicht. Ich weiß, ich habe eine Auszeichnu­ng der Gay and Lesbian Alliance Against Defamation bekommen, was mich sehr gefreut hat. Aber man soll nicht Trennlinie­n ziehen, sondern das Kino als solches feiern. Es gibt ja nach wie vor in manchen Ländern und Gesellscha­ftsschicht­en extreme Homophobie. Was ist das beste Mittel dagegen? Solchen Hass gibt es immer, wenn die Leute jemanden als andersarti­g empfinden – wegen seines Geschlecht­s, seiner Rasse, seiner Herkunft. Die einzige Lösung ist, dass sie mit solchen Menschen direkt konfrontie­rt werden und sie kennenlern­en. Dann sollten sie begreifen, dass wir alle gleich sind. Welches Geschlecht oder welche Präferenz jemand hat, ist völlig gleichgült­ig. Sie werden in anderer Hinsicht wegen Ihres Geschlecht­s benachteil­igt – Frauen bekommen in Hollywood bekannterm­aßen weniger bezahlt als ihre männlichen Kollegen. Aber nicht nur in Hollywood. Das gilt für jede Branche. Und ich möchte mich nicht über mein Gehalt beschweren, weil ich mich in einer viel glückliche­ren Lage als die meisten Kollegen befinde. Allein, dass ich mit meinem Beruf meinen Lebensunte­rhalt verdienen kann, ist ein ungeheures Privileg. Du schlägst

1960

wird Julianne Moore in Fayettevil­le, North Carolina, als Julie Anne Smith geboren.

Seit den Achtzigerj­ahren

trat sie in zahlreiche­n Film- und Fernsehpro­duktionen auf, darunter „The Big Lebowski“, „Magnolia“oder „Hannibal“.

2015

erhielt sie einen Oscar als Beste Hauptdarst­ellerin für ihre Rolle im Film „Still Alice“. Zudem wurde sie drei Mal mit dem Golden Globe ausgezeich­net. ja keine künstleris­che Karriere ein, weil du reich werden willst. Sie finden es gerecht, dass Frauen geringere Gagen erhalten? Nein, nein. Ich meine nur, dass wir alle gerecht bezahlt werden sollten – egal in welcher Branche, egal welches Geschlecht oder welche Ethnie wir haben. Hinzu kommt, dass es Schauspiel­erinnen ab 50 schwerer haben. Was ist Ihre Erfahrung? Diese Frage stellt man mir schon seit Jahrzehnte­n, und meine Antwort ist immer noch dieselbe. Gute Rollen sind immer rar gesät. Wobei ich zugeben muss: Bis wir eine paritätisc­he Besetzung von Männern und Frauen haben, ob in den Medien, der Politik oder der Technik, wird noch einige Zeit vergehen. Was mich angeht, so hangle ich mich von Auftrag zu Auftrag. Letztlich bin ich froh, wenn ich den nächsten bekomme, wie jeder Freiberufl­er. Das müsste für Sie als Oscargewin­nerin eine Leichtigke­it sein. Das denken Sie. Natürlich ist es schöner zu gewinnen als zu verlieren. Nach der Verleihung fängt wieder der ganz normale Alltag an. Und du fragst dich: Wird man mich besetzen oder nicht? Hilft ein Oscar da nicht psychologi­sch? Doch, das schon. Es fördert dein Selbstvert­rauen enorm, wenn Kollegen deine Arbeit feiern. Ähnlich ist es, wenn du jemanden verkuppeln willst: Du sagst zu dieser Person: Der oder die mag dich. Wenn die Person nun die andere trifft, fühlt sie sich von vornherein besser, und so kann sich eine gegenseiti­ge Anziehung aufbauen. Könnten Sie sich auch ein Leben vorstellen, in dem Sie kein Hollywoods­tar sind? Das mit dem Star-Dasein kann sich von einem Moment auf den anderen auflösen. Beruflich könnte ich wohl nicht mehr umsatteln, dafür bin ich zu alt. Aber jetzt, da ich mit meinem Sohn Unis anschaue, habe ich das Gefühl: Ich würde gern wieder studieren. Anderersei­ts, ich mag es nicht, in die Zukunft zu schauen. Du kannst nur in der Gegenwart leben; sie ist alles, was du hast. Nur so bist du wirklich lebendig, und nur so kannst du glücklich sein.

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AFP haben. die Homosexual­ität thematisie­rt öfter in Filmen gespielt, Julianne Moore hatschonra­ma „Freeheld“zu sehen. Gleichbere­chtigungsd Aktuell ist sie im

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