Du brauchst das alles nicht: Die kommerziellen Auswüchse von Yoga
Nackt- und Schrei-Yoga oder Turnen mit Hund: Das Geschäft mit der Matte nimmt absurde Formen an. Besonders bedenklich sind Schnellsiedekurse für angehende Yogalehrer.
Die Yoga-Industrie wächst. Angeblich zählt sie zu den zehn am stärksten wachsenden Wirtschaftszweigen überhaupt. Auf 80 Milliarden Dollar Umsatz jährlich wird das Geschäft mit der indischen Heilslehre zurzeit geschätzt. In den USA beispielsweise haben sich die durchschnittlichen Ausgaben für Yoga-Accessoires in den vergangenen sechs Jahren verdoppelt.
Die Heilsbotschaft der Unternehmer besteht natürlich nicht aus yogischen Grundsätzen wie Askese, Selbstdisziplin, Behutsamkeit im Umgang mit anderen und innerer Einkehr, sondern aus Yogamatten, dazu passenden Taschen, besonders atmungsaktiver Kleidung. Es gibt Yoga-Reisebüros, sogar Yoga-Schmuck und unzähliges anderes, meist erstaunlich kostspieliges Zeug, das man für die Übungen auf der Matte eigentlich nicht braucht. Kauft, Leute, heißt die Devise, und zeigt der Welt mit euren Klamotten, dass ihr echte Yogis seid! Guru heißt Lehrer. Manch zeitgenössische Gurus – wobei „Guru“übersetzt nicht Sektenführer bedeutet, sondern „Lehrer“– rufen die absurdesten Trends aus. Derzeit en vogue sind beispielsweise Nackt-Yoga, Yoga mit Hund, Aqua-Yoga, Yoga mit verbundenen Augen, Schrei-Yoga, Yoga zu Pferd. Braucht man auch alles nicht wirklich.
Die Geschäftemacherei äußert sich jedoch auch in katastrophal oberflächlichen Schnellsiedekursen für angehende Yogalehrer. In gerade einmal vier Wochen kann eine solche „Ausbildung“absolviert werden. Die International Yoga Alliance, derzeit eine der wenigen ernst zu nehmenden Dachorganisationen der Branche, zertifiziert nach wesentlich strengeren Kriterien. Hier dauert die Ausbildung gewöhnlich mindestens ein Jahr, erfolgt nach einem präzisen Kriterienkatalog und ist Schwerarbeit für Körper und Hirn. Nicht nur die einzelnen Positionen und deren Hilfestellung werden genau studiert, die Ausbildung beinhaltet auch jede Menge Philosophie, Geschichte, Grundbegriffe des Sanskrit und – extrem wichtig – viel Anatomie.
„Ein Faktor, der das moderne Yoga von seinen Vorläufern unterscheidet“, schreibt William J. Broad in seiner 2012 erschienenen Abhandlung über „The Science of Yoga“, „ist der Wandel von einer Berufung zu einem teuren Lifestyle.“Er erinnert darin auch an die vor immerhin bereits einem halben Jahrhundert aufgekommene Kritik an „übertriebenen Behauptungen“, was die Wunder anlangt, die Yoga angeblich wirken könne: „Heute ist die Situation noch schlimmer. [. . .] Heute stehen Milliardenbeträge auf dem Spiel, wenn es um die öffentliche Darstellung der Wirkungen geht, die durch Yoga erzielt werden können, und die Versuchung ist groß, dass man seine Erklärungen mit allem Möglichen ausschmückt.“
Broad kommt letztlich zum Schluss: „Yoga kann töten und verstümmeln* – oder ihr Leben retten und ihnen das Gefühl geben, ein Gott zu sein. Das ist eine ganz schöne Bandbreite. Verglichen damit wirken die meisten anderen Sportarten und körperlichen Betätigungen wie Kinderkram.“uwo * Er meint damit seltene Fälle, bei denen Yogaschüler Kopfstände nicht vertrugen und etwa einen Schlaganfall erlitten.