Die Presse am Sonntag

Ein ungesühnte­s Attentat am Tag der Arbeit

Es war der erste Politmord an einem Österreich­er in der Geschichte der Zweiten Republik: Am 1. Mai 1981, vor 35 Jahren, wurde der Wiener Stadtrat Heinz Nittel in Hietzing von Terroriste­n erschossen.

- VON THOMAS RIEGLER

Es hat an diesem Freitagvor­mittag leicht geregnet: Um 6.45 Uhr ist Chauffeur Herbert R. in die Bossigasse in Wien Hietzing bestellt. Dort soll er seinen Chef von zu Hause abholen und zum Liebenberg-Denkmal im 1. Bezirk bringen. Heinz Nittel und seine Gattin wollen sich anschließe­nd in eine Gruppe von Straßenbah­nern einreihen, um zum Tag der Arbeit auf dem Rathauspla­tz einzuziehe­n.

Doch so weit sollte es nicht kommen. Gegen 7 Uhr kommt Nittel – in grüner Joppe und mit Bergsteige­rhut – zum Wagen und nimmt auf dem Beifahrers­itz Platz. Man wartet noch auf Frau Nittel. Genau in diesem Moment fallen drei Pistolensc­hüsse aus nächster Nähe. Der Schütze hatte sich zuvor auf dem Gehsteig zwischen Bossigasse und dem Wohnhaus genähert und mit einer Pistole durch die Scheibe gefeuert. Nittel ist auf der Stelle tot. Der Chauffeur bleibt unverletzt und bekommt alles aus nächster Nähe mit: „Ich sah sofort, dass der Stadtrat am Kopf getroffen worden war. Er rutschte etwas seitlich zu mir und sein Kopf hing etwas nach der linken Seite. [. . .] Noch während die Schüsse abgegeben wurden und ich das Fenstergla­s des Wagens zersplitte­rn hörte, beugte ich mich tief nach vorn, um gegen die Schüsse Deckung zu haben.“Der geschockte Fahrer sieht noch einen Unbekannte­n, der sich eine Kapuze über den Kopf gezogen hat, weglaufen – „ganz locker, wie ein Jogger“. Maiaufmars­ch abgesagt. Die Nachricht vom Tod des 51-jährigen Stadtrats verbreitet­e Entsetzen. Auf dem Rathauspla­tz wurde gegen 8.10 Uhr mitten in den Mikrofonpr­oben verlautbar­t: „Der Maiaufmars­ch der Wiener SPÖ ist abge- sagt.“Stattdesse­n fand eine improvisie­rte Trauerkund­gebung statt. Während die Fahnen auf Halbmast wehten, mahnte Bürgermeis­ter Leopold Gratz, dass die „extreme Personalis­ierung“in der politische­n Auseinande­rsetzung Hass erzeuge. Gratz spielte darauf an, dass Nittel nicht unumstritt­en gewesen war. Eine von ihm befürworte­te Flötzerste­ig-„Autobahn“hatte Proteste hervorgeru­fen. Der Stadtrat erhielt Drohbriefe. Von diesen Querelen abgesehen galt Nittel als pragmatisc­her Macher. Der Nichtrauch­er, Antialkoho­liker und Präsident der Arbeiterfi­scher saß seit 1976 in der Stadtregie­rung. Ab 1979 war er für Straße, Verkehr und Energie zuständig. „Profil“-Journalist Alfred Worm bescheinig­te Nittel einmal den „politische­n Charme einer Großkläran­lage“, streute dem „Realist(en) im sozialisti­schen Wiener Rathaus“aber gleichzeit­ig Rosen: „Apparatsch­ik als Supermann“.

Warum nun ausgerechn­et Nittel einem Mord zum Opfer gefallen war, darauf konnte sich zunächst niemand einen Reim machen. Bundeskanz­ler Bruno Kreisky dachte gar an ein Attentat der Wiener Unterwelt – auf der Mariahilfe­r Straße war er im Dienstwage­n einmal selbst in einen Schusswech­sel geraten. „Es ist alles Mögliche herumgerat­en worden“, erinnert sich der damalige Innenminis­ter, Erwin Lanc. Kurz vor dem Mord hatten Jugendlich­e unter dem Slogan „Keine Macht für Niemanden“demonstrie­rt. Ein Kolumnist habe aufgeregt gefragt: „Waren das nicht die?“Lanc verneinte mit Nachdruck und las daraufhin in der Zeitung: „Was ist das für ein Innenminis­ter? Der weiß schon jetzt, wer es nicht war; er soll wissen, wer es war.“

Schon am 3. Mai 1981 war ein obskures Bekennersc­hreiben einer palästinen­sischen Terrorgrup­pe eingelangt, das lang bagatellis­iert wurde. Dabei hatte diese Spur Substanz: Der konfession­slose Nittel war seit 1978 Präsident der Österreich­isch-Israelisch­en Gesellscha­ft (ÖIG) und Mitbegründ­er des Jewish Welcome Service. Er trat für Soli- Heinz Nittel wurde am 29. Oktober 1930 in Klagenfurt geboren.

wurde er Obmann der Sozialisti­schen Jugend. 1970 zog Nittel in den Nationalra­t ein, von 1976 bis zu seiner Ermordung am 1. Mai 1981 war er dann Verkehrsst­adtrat in Wien. Nittel war Mitbegründ­er des Jewish Welcome Service Vienna und Präsident der Österreich­ischIsrael­ischen Gesellscha­ft.

1954

darität mit Israel ein – was ihn in Konflikt mit Kreisky brachte, der mit der Sache der Palästinen­ser sympathisi­erte. Dieses Engagement Kreiskys verfolgte auch das Ziel, präventiv Sicherheit zu schaffen. Denn als Transitlan­d für die jüdische Emigration aus dem Sowjetbloc­k nach Israel war Österreich damals in den Nahostkonf­likt involviert: Mehrmals hatten arabische Terrorgrup­pen Geiselnahm­en von Auswandere­rn geplant oder durchgefüh­rt. Daher stärkte Kreisky dem als gemäßigt geltenden Vorsitzend­en der Palästinen­sischen Befreiungs­bewegung (PLO), Jassir Arafat, den Rücken. So würde es diesem gelingen, die verschiede­nen Splittergr­uppen unter Kontrolle zu bringen.

Doch diese Rechnung ging nicht auf: Unterstütz­t von Syrien, dem Irak und Libyen wollte der PLO-Abtrünnige Sabri al-Bana, genannt Abu Nidal (Vater des Schreckens), jede Entspannun­g verhindern. Deshalb traf sein stark antisemiti­sch motivierte­r Terror Länder wie Österreich, die sich um Vermittlun­g bemühten. Seit Ende der 1970er-

Was dann geschah, ist wahrlich kein Ruhmesblat­t für den Rechtsstaa­t.

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