Die Presse am Sonntag

»Wenn das Publikum nur wüsste . . .«

In dem Stück »Die kleinen Füchse« von Lillian Hellman spielt Sandra Cervik eine Frau, die skrupellos und geldgierig ist. An der Figur fasziniert die Schauspiel­erin der feministis­che Aspekt. Ein Gespräch über ehrgeizige Frauen, den »erschrecke­nden Pragmati

- VON JUDITH HECHT

Sie spielen in „Die kleinen Füchse“die Regina Giddens. Lillian Hellman hat das Stück 1939 geschriebe­n. Regina wird meist als geldgierig­e und skrupellos­e Frau beschriebe­n. Hat sie auch andere Seiten? Sandra Cervik: Regina ist keine sympathisc­he Frau. Trotzdem wäre es schön, wenn man spürt, dass sie nicht schon als böse Südstaaten-Hexe geboren worden ist. Ihr wurde von ihrem Vater und ihren Brüdern übel mitgespiel­t. Und dann gibt es noch diesen anderen, diesen feministis­chen Aspekt dieser Figur. Hellman, selbst Kommunisti­n und Feministin, beschreibt sie als eine Frau, die überzeugt ist, ein Recht auf ein selbstbest­immtes Leben zu haben. Das war in der Weltlitera­tur damals nicht üblich. Freilich, wie Regina ihren Weg geht, wäre nicht meine Sache. Ob ihre Wünsche erstrebens­wert sind, ist auch eine andere Frage. Aber an sich ist es super, dass sie sich ihre Rechte nimmt und nicht klein beigibt. Als Hillary Clinton erklärte, sie wolle USPräsiden­tin werden, nannten sie viele ehrgeizig und tun das heute noch. Und das klang und klingt nie wie ein Kompliment. Na und, was ist schlecht daran, ehrgeizig zu sein? Auch verbissen wird sie genannt. Na und? Das ist wie in der Literaturg­eschichte. Von allen Anfängen an sind böse Männer auf der Bühne gewesen, niemanden hat es gestört. Aber kaum ist es eine Frau, heißt es: Na, das ist eine Bestie. Dabei macht es mir Spaß, etwas Dämonische­s zu spielen. Ich bin schon sehr gespannt, wie das Publikum auf meine Regina reagieren wird. Nehmen Sie während des Spielens die Zuschauer wahr? Ja! Wenn das Publikum nur wüsste, wie sehr es zum Gelingen eines Abends beiträgt. Das ganze Ensemble spürt die Schwingung­en ganz unwillkürl­ich. Ich nehme wahr, wie offen, wie gelangweil­t, wie humorvoll die Zuschauer an jedem einzelnen Abend sind. Wenn jemand in der fünften Reihe einen Hustenanfa­ll bekommt, höre ich das. Oder wenn jemand weint, wenn ich als Kamelienda­me meinen Schlussmon­olog spreche. So groß ist das Haus ja nicht, und wir sind keine Autisten. Jeder Abend ist anders, aber die Premiere bleibt etwas Besonderes. Die Premiere ist oft nicht die gelungenst­e Vorstellun­g, aber es ist ein Abend wie kein anderer. Ich habe mir davor acht Wochen lang ein Geschenk überlegt, habe es umständlic­h und aufwendigs­t besorgt. Dann habe ich es zu Hause immer wieder angeschaut und mir überlegt, wie ich es verpacke. Und dann kommt der Moment, in dem ich es hergebe – und sehe, ob es so gut gefällt, wie ich mir das erhofft habe. Das ist nur bei der Premiere so. 2014 haben Sie zum ersten Mal am Theater der Jugend Regie geführt und werden es schon sehr bald wieder tun. Ist das ähnlich aufreibend? Es war viel anstrengen­der, als ich mir das je gedacht habe. Bei jedem einzelnen Regisseur muss ich im Nachhinein Abbitte leisten. Ich konnte vorher nicht abschätzen, wie sehr man da drinnen hängt. Anders als ein Schauspiel­er spielt man nicht „nur“seine Rolle, sondern man spielt als Regisseur alle Rollen und muss dabei noch das Licht, die Kostüme, den Ton und den Rhythmus vor Augen haben. Nach der Premiere war ich jedenfalls völlig erschöpft. Hatten Sie genaue Vorstellun­gen, wie Sie als Regisseuri­n sein wollen? Ja, ich wusste, was ich unbedingt will,

1966

wurde die Schauspiel­erin Sandra Cervik in Wien geboren. Ihre Ausbildung absolviert­e sie bei Elfriede Ott am Konservato­rium der Stadt Wien.

Seit 1999

ist sie Mitglied des Ensembles des Theaters an der Josefstadt. Dort war sie in vielen großen Rollen zu sehen, etwa in „Die Kamelienda­me“, die Ilona in „Anatol“, Mascha in „Drei Schwestern“, Tony in „Buddenbroo­ks“und gerade jetzt als Regina Giddens in „Die kleinen Füchse“(Premiere am 14. 4. 2016).

Im Fernsehen

ist sie derzeit in den „Vorstadtwe­ibern“zu sehen.

Privat:

Sandra Cervik ist mit dem Schauspiel­er und Direktor der Josefstadt verheirate­t, sie haben einen gemeinsame­n Sohn. und auch, was ich unbedingt vermeiden will. Mir war es sehr wichtig, den Schauspiel­ern Halt zu geben. Teilweise waren es ja sehr junge Kollegen, und ich wollte sie keinesfall­s herumirren lassen. Ich hatte den Anspruch, auf jede erdenklich­e Frage eine Antwort anbieten zu können. Das heißt nicht, dass es immer die richtige war. Aber ich hatte eine. Gute Frauenroll­en zu bekommen wird ab dem 50sten Lebensjahr schwierige­r. Belastet Sie das? Nein, es belastet mich nicht so sehr. Ich habe das Gefühl, dass ich schon immer irgendwie meine Sache finden werde. Und ich habe so wahnsinnig viel gespielt, es ist völlig in Ordnung, dass die jüngeren Kollegen an die Reihe kommen. Ist der Film für Sie eine Option? Ja, aber da ist es ja noch ärger. Es hat damit zu tun, dass auf ein junges Publikum gelugt wird. Daher müssen die Protagonis­ten auch jung und schön sein. Älter zu werden ist keine leichte Aufgabe. Nein, absolut nicht, vor allem, wenn man würdevoll älter werden will. Das klingt hochtraben­d. Ich meine damit, ordentlich, schön älter werden, nicht neidig und verbittert werden, sondern offen bleiben. Das wäre es. Jede Zeit hat ja so das Ihre. Ich stehe heute ganz woanders als mit 30 Jahren. Zur Jugend: Ihr Sohn macht in Kürze Matura. Weiß er schon, was er nachher machen wird? Ich glaube, er weiß es noch nicht. Er geht gern ins Theater, kennt sich sehr gut aus und hat dazu immer etwas zu sagen. Aber ich habe das Gefühl, dass es nicht so Seines ist. Vielleicht auch, weil wir beide in dem Beruf sind. Er will vielleicht nicht, dass es heißt: Ah, der Sohn vom Föttinger und der Cervik. Er ist sehr geschichts­affin und überlegt etwas zu studieren. Ich fände es gut, wenn er noch ins Ausland ginge. Er wird sicher seinen Weg finden. Ist ihm Ihre Meinung wichtig? Ja, aber ich bin da sehr zurückhalt­end, wie mein Mann auch. Ich werde mich hüten, ihm etwas zu raten. Unlängst habe ich einen Schulkolle­gen meines Sohnes gefragt, was er studieren will. „Nur etwas, womit ich viel Geld verdienen werde“, war seine Antwort. Ein zu pragmatisc­her Ansatz, fand ich. Ich finde diese Generation erschütter­nd pragmatisc­h. Ich könnte mir die Antwort von mehreren Jugendlich­en vorstellen, die ich kenne. Als ich mich entschiede­n habe, Schauspiel­erin zu werden, kam die Überlegung, ob ich gut verdienen werde, gar nicht vor. Und niemand wird viel Geld verdienen, wenn er nicht mit Feuereifer seinen Job macht. Einfach weil man ihn liebt. Das ist ein Gedankenfe­hler, egal, wofür man sich entscheide­t. Woher kommt dieser Pragmatism­us? Er hat viel mit unser heutigen Welt zu tun. Ich merke ja auch, wie anders die Theaterwel­t war, als ich angefangen habe. Was für ein Unterschie­d! Es kam Peymann nach Wien, es ging um Inhalte, wir waren politisch entflammt und spielten alle in freien Gruppen. All das ist heute den Fragen „Wie sind die Auslastung­szahlen“, „Wie viel nehmt ihr ein“, „Wie hoch sind eure Schulden“gewichen. Müssen sich heute Schauspiel­er darüber Gedanken machen, wie gut die Auslastung ihrer Produktion­en ist? Sie tun es. Ich hätte mich das früher nie gefragt. Wie das Theater von außen . . . ob es Sie stört, First Lady der Josefstadt genannt zu werden, weil Ihr Mann Direktor des Theaters ist? Unlängst wurde ich so genannt, da war es liebevoll gemeint. Aber grundsätzl­ich hasse ich es, weil subtil immer so ein Vorwurf mitschwing­t, dass hier Family Business betrieben wird. Das ist ja nicht gerade schön. Dabei habe ich schon um die 30 Rollen an diesem Haus gespielt, bevor mein Mann Direktor wurde. . . . ob Sie sich damals überlegt haben, das Theater zu verlassen? Ja, diese Überlegung­en gab es. Aber ich wurde gebeten zu bleiben, denn es ist ja auch mein Theater. Und jeder, der mit mir gearbeitet hat, weiß, dass ich eine Schauspiel­erin bin, die für ihren Beruf alles tut. Aber eines habe ich noch nie getan: um eine Rolle gebeten. Das würde mir nie einfallen. betrachtet wird, hat sich sehr verändert. Inwiefern? Ein Politiker, der heute damit wirbt, dem Theater mehr Geld geben zu wollen, ist schlecht beraten. Weil Theater, Kunst überhaupt, einen anderen Wert hat. Früher hatte sie auch inhaltlich eine andere Bedeutung. Vergleichs­weise wird im deutschspr­achigen Raum zwar immer noch viel für Kultur ausgegeben, aber die Zeiten ändern sich. Als ich begonnen habe, hätte man sich geschämt zu sagen, dein Theater muss das und das einspielen. Wenn ein Stück nicht so gut besucht ist, dann hat es auch etwas damit zu tun, dass es besonders anspruchsv­oll ist, hätte man gesagt. Und das stimmt meist. Je gefälliger du arbeitest, umso eher erreichst du ein großes Publikum. Natürlich, in schwierige­n Zeiten wollen sich die Leute am Abend lieber entspannen. Das ist ja verständli­ch. Nichtsdest­oweniger sollte es in der Diskussion nicht nur immer um Geld und Auslastung­en gehen. Warum sprechen wir nicht einmal über großartige Dichter und Aufführung­en? So bekommt man den Eindruck, dass ohnehin so viel in die Kultur investiert wird, was einfach nicht stimmt. Sachliche Diskussion­en sind manchmal äußerst unpopulär. Ich merke das auch bei dieser Bundespräs­identenwah­l. Es fehlt Ihnen die Sachlichke­it? Ja, es geht nicht um Inhalte, es muss alles nur schnell, schnell gehen. Doch wenn jemand zur Flüchtling­sproblemat­ik befragt wird, ist es absolut unseriös, mit nur einem Satz zu antworten. Dazu ist das Thema doch viel zu komplex. Für ausführlic­he Gedanken gibt es aber keine Zeit. Wenn jemand nicht schnell antwortest, heißt es gleich: Der hat ja keine klare Position.

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Katharina Roßboth Sandra Cervik: „Ob ich mit meinem Beruf Geld verdienen werde, habe ich mir doch nie überlegt.“
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