Thomas Glavinics Alter Ego braucht Platz
752 Seiten. Im neuen Roman »Der Jonas-Komplex« begegnet uns eine Figur auf dreierlei Weise: als pubertierender Knabe, als kokainsüchtiger Schriftsteller – und als Held. Wie gut, dass Thomas Glavinic kein schmales Bändchen veröffentlicht hat: Denn nach 150 Seiten ist man von „Der Jonas-Komplex“zunächst eher enttäuscht. Will man wirklich davon lesen, wie sich ein nicht mehr ganz junger Schriftsteller in Rom bei einem rechtsradikalen Hooligan mit Koks eindeckt? Und wie er dann im Drogenrausch mit der Vespa rund um die Piazza Navona kurvt? Wie soll das interessanter als die Suffgeschichten der Alten sein, die uns in ihrer Mischung aus Größenselbst und Selbstmitleid immer schon gelangweilt haben?
Aber: Das ist ja nur einer von drei Erzählsträngen. Ein zweiter gilt dem Buben, gerade dreizehn Jahre alt, der einem rasch ans Herz wächst, wie er da träumend, Schachpartien studierend und Milchbrot verzehrend seine Nachmittage vertrödelt. Ein dritter Strang gilt Jonas, den wir schon aus Vorgän- gerromanen kennen. Er war in „Das größere Wunder“eine Art Fantasie der Männer von sich selbst: So unverwundbar, so tollkühn, so erfindungsreich, so seelenvoll ist dieser Jonas – und so geliebt! Auch diesmal darf er allerhand Abenteuer erleben. Dreimal dürfen Sie raten, wie sie ausgehen.
Aber zurück zum Icherzähler, diesem kokainsüchtigen, den eigenen Trieben hilflos ergebenen Schriftsteller, der wieder einmal deutlich die Züge Thomas Glavinics trägt, auch wenn uns der Autor in einigen überzogenen Passagen deutlich macht, dass er nicht mit ihm verwechselt werden möchte: Wenn wir uns die Lesezeit nehmen, werden wir diese Figur nämlich doch mögen lernen, samt ihren Eitelkeiten. Vielleicht auch, weil sie einmal der dreizehnjährige Bub war – und sich wünscht, sie könnte ein bisschen wie Jonas sein. (Fischer-Verlag). best