Die Presse am Sonntag

Reisen in den Zeiten der Krise

Tourismus spielt sich nicht im VŻkuum Żã. Welche Ziele in geopolitis­ch turãulente­n Zeiten Żls sicher gelten – un© welche Żuf verãrŻnnte­r Er©e stehen –, scheint für ©en Sommer fix.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Früher war die einzige Unbekannte in der Gleichung der österreich­ischen Hoteliers das Wetter. Ein verregnete­r August verhagelte einem Hotel schnell die Bilanz, wenn es nicht mit alternativ­en Freizeitan­geboten aufwarten konnte. Ein relativ leicht kalkulierb­ares Risiko im Vergleich zu dem, worauf sich der Tourismus heute einstellen muss. „Jetzt wird die politische Situation mit hineingepa­ckt“, sagt Petra Nocker-Schwarzenb­acher, Tourismuso­bfrau in der Wirtschaft­skammer. Der 2014 ausgebroch­ene Ukraine-Konflikt sei der erste Muntermach­er gewesen, der der Branche mehr als deutlich vor Augen führte, dass politische Umbrüche nicht spurlos vorbeizieh­en. Doch der 30-prozentige Einbruch bei den russischen Gästen war erst der Vorbote dessen gewesen, was die Tourismusb­ranche Europas im vergangene­n Jahr erschütter­te. „Alles hat sich heute verschoben“, sagt Nocker-Schwarzenb­acher, etwa durch die Anschlagss­erie in der Türkei und im arabischen Raum, die Flüchtling­sströme und das Brexit-Referendum.

Lediglich vier österreich­ische Urlauber waren am Dienstag mit dem Reiseveran­stalter Ruefa in Istanbul, als der Anschlag auf den internatio­nalen Atatürk-Flughafen 44 Tote und mehr als 200 Verletzte forderte. Zugegeben: Städtetour­isten buchen immer seltener im Reisebüro und die Ruefa bildet nur einen Teil des Marktes ab. Dennoch zeigt die Zahl deutlich: Die Anschläge der verbotenen Kurdenpart­ei PKK und der Terrormili­z IS, die zum Teil auch konkret Urlauber ins Visier nahmen, haben den Tourismus des Landes längst in die Knie gezwungen. „Wir hätten jetzt auf das Last-minute-Geschäft gewartet“, sagt Helga Freund, Vorstandsd­irektorin des österreich­ischen Verkehrsbü­ro-Konzerns. Der Anschlag auf das türkische Drehkreuz zu Beginn der Hauptreise­zeit lässt diese Hoffnung weiter schwinden. Die Ruefa-Reisebüros halten zurzeit bei den Türkei-Buchungen bei Umsatzeinb­rüchen von 55,4 Prozent. TUI Österreich meldet dort seit Monaten konstant Verluste von 40 Prozent. „Man muss leider sagen: Die islamische­n Länder sind vorerst passe“,´ stellt TUI-Österreich-Chef Dirk Lukas fest. Dem stimmt auch Oliver Fritz, Tourismuse­xperte am Wifo, zu. Ein gewisse „Besorgniss­chwelle“sei „überschrit­ten“. Das gelte auch für Tunesien und Ägypten, die ähnliche Einbrüche hinnehmen mussten, aber marginale Märkte im Vergleich zu dem für viele europäisch­e Reiseanbie­ter ungeschlag­enen Favoriten Türkei sind. Teures Ausweichqu­artier. Eine völlige Kompensati­on des besonders für Deutsche und Österreich­er bedeutende­n Reiseziels durch die Krisengewi­nner Spanien, Italien und Kroatien hält Fritz für unmöglich. Die großen Tourismusk­onzerne rafften dort in den vergangene­n Monaten Kontingent­e an Flugsitzen und Hotelbette­n zusammen. Die Angst griff um sich, zu schnell ausgebucht zu sein, den türkischen Strandurla­ubern nicht ausreichen­de Alternativ­en bieten zu können. Schließlic­h sind diese Länder auch bei Franzosen, Niederländ­ern, Deutschen und bislang auch den Briten beliebt.

Leer werden die kroatische Riviera und Mallorca diesen Sommer bestimmt nicht sein, aber früheren Unkenrufen zum Trotz vermelden TUI als auch Ruefa zu Beginn der zwei stärksten Reisemonat­e noch Kapazitäte­n. Obwohl die Reiseström­e nicht geschlosse­n von Ost nach West wandern, ist Lukas mit dem Sommer zufrieden. „Was wir in der Türkei verlieren, holen wir durch das gute Preisbild in den anderen Märkten auf.“Durch die starke Nachfrage müsste man keine Sonderange­bote schalten. Auch ist das Ausgangspr­eisniveau bereits höher als in der Türkei. Und die Hotelpreis­e dürften, angefacht durch die enormen Buchungszu­wächse, kommenden Sommer weiter zulegen. Bulgarien Portugal Kroatien Ägypten Türkei Tunesien Kroatien Spanien Italien

Das freut vielleicht Konzerne wie TUI. Touristen verlangt der Wegfall des vor allem für verhältnis­mäßig günstige Familien- und Pauschalur­laube attraktive­n Ziels Kreativitä­t ab. Die Folgen lassen sich zurzeit an den Buchungsst­römen und Reiseroute­n ablesen: Die bulgarisch­e Schwarzmee­rküste wird als günstige Alternativ­e zur Türkei wiederentd­eckt. Buchungen für griechisch­e Inseln in der östlichen Ägäis, die bislang aufgrund der dort verlaufend­en Flüchtling­sroute großteils von Touristen gemieden wurden, nehmen seit Anfang Juni wieder zu. Fluglinien vermelden einen Boom auf der Kurzstreck­e nach Mittel- und Süditalien. Der ÖAMTC bekommt vermehrt Anfragen von Autofahrer­n, die es nach Italien, Kroatien oder an die deutsche Ost- und Nordsee zieht. Und nach dem Brexit erhoffen sich die Reisebüros noch einen Umsatzzuwa­chs im Last-minute-Geschäft mit billigen England-Reisen.

»MŻn muss lei©er sŻgen: Die islŻmische­n L´n©er sin© vorerst pŻss´e.« »Der Sicherheit­sfŻktor soll nicht zum VerkŻufssc­hlŻger ©er SŻison wer©en.«

Gewinner der instabilen geopolitis­chen Lage dürfte auch Österreich sein. Rund 46 Prozent der Urlaubende­n hatten schon in den vergangene­n zehn Jahren die heimatlich­en Seen und Berge zum Ziel. Vor allem alpine Regionen in Tirol oder Salzburg werden beliebter. Die erstgereih­te Auslandsde­stination Italien folgte 2015 mit großem Abstand mit 24 Prozent.

Die fröhliche Stimmung in der Branche lässt darauf schließen, dass der hitzebedin­gte Rekord von vergangene­m Sommer abermals gebrochen werden könnte. Der Sicherheit­sfaktor soll laut Nocker-Schwarzenb­acher aber nicht zum „Verkaufssc­hlager“der Saison werden. Sie betont lieber Vorzüge wie das „gute Preis-Leistungs-Verhältnis“oder das „breite Angebot“. Als sicherer Ort im Herzen Europas zu gelten dürfte aber nicht schaden. Auch ohne offensive Werbestrat­egie.

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