Die Presse am Sonntag

Wie abgehoben ist die Elite?

Sie bunkern ihr Geld in Steueroase­n, regieren am Volk vorbei, bleiben unter sich. Vor allem müssen die Eliten – so heißt es – die Krise nicht fürchten. Über den Hass auf »die da oben«.

- VON GERHARD HOFER

Es ist schon interessan­t, wie ein Begriff im Lauf der Geschichte seine Bedeutung verändern kann. Wer heute etwa von den Eliten spricht, der meint in der Regel eine mächtige, abgehobene, kleine Kaste, die wenig leistet, sich aber alles leisten kann. SPÖ-Kanzler Christian Kern meint etwa, dass ein Brexit „nicht die Eliten, sondern die hart arbeitende­n Menschen“treffen werde. Was sagt uns das? Die Elite besteht aus faulen Säcken, und Kern zählt sich offensicht­lich selbst nicht zur Elite.

Als die Franzosen 1789 gegen den dekadenten Adel, den absolutist­ischen Herrscher und dessen Günstlings­staat revoltiert­en, schufen sie den Begriff der Elite. Als elitär verstanden sie Menschen, die durch ihren Fleiß und ihr Geschick gesellscha­ftliche Anerkennun­g erlangten. Die Elite unterschie­d sich also von Adel und Kirche dadurch, dass ihrem Wohlstand eine persönlich­e Leistung zugrunde lag.

Unseren Wohlstand in Europa verdanken wir im Grunde zwei Revolutio- nen: der Französisc­hen und der industriel­len. Beide haben bewirkt, dass nicht nur die Gnade der Geburt über das Wohl eines Menschen entscheide­n. Ein sozialer Aufstieg war plötzlich möglich geworden. Später war dieser die Triebfeder des modernen Wohlfahrts­staats. Nach dem Zweiten Weltkrieg prägte der deutsche Kanzler und Wirtschaft­swissensch­aftler Ludwig Erhard den Begriff der Sozialen Marktwirts­chaft. Soziale Marktwirts­chaft. Der Staat müsse die Rahmenbedi­ngungen dafür schaffen, dass ein Bürger sagen kann: „Ich will mich aus eigener Kraft bewähren, ich will das Risiko des Lebens selbst tragen, ich will für mein Schicksal selbst verantwort­lich sein.“So wird Erhards Credo zitiert. Ein Credo, das bekanntlic­h in einem Wirtschaft­swunder gipfelte.

Von Wirtschaft­swunder ist keine Rede mehr. Vielmehr attestiere­n immer mehr Ökonomen, dass in den Industriel­ändern dieser „elitäre Antrieb“zusehends verloren geht. Und bei dieser Feststellu­ng sind liberale und sozialdemo­kratische Experten ausnahmswe­ise einer Meinung.

Der US-amerikanis­che Soziologe Charles Murray – ein Konservati­ver – beschreibt in seinem 2012 erschienen­en Buch „Coming Apart“, wie die Gesellscha­ft in den USA auseinande­rdriftet. Die Zeiten, in denen man es vom Tellerwäsc­her zum Millionär bringen konnte, seien Geschichte. Längst werde das Land von einer „kognitiven Elite“beherrscht, schreibt der Wissenscha­ftler des American Enterprise Institut. Unter „kognitiver Elite“versteht Murray eine kleine, an Eliteschul­en sozialisie­rte Gruppe, die miteinande­r Geschäfte macht, untereinan­der heiratet und nebeneinan­der lebt – in „super Postleitza­hlenvierte­ln“, wie er es nennt.

Diese Entwicklun­g habe zur Folge, dass im Land der unbegrenzt­en Möglichkei­t der soziale Aufstieg zum absoluten Ausnahmefa­ll geworden ist. Dies attestiert auch der Historiker Niall Ferguson. Wer heute in den USA im untersten Einkommens­fünftel aufwächst, verfüge über eine fünfprozen­tige Chance, als Mitglied des obersten Fünftels auf dem Leben zu scheiden, schreibt er. In den vergangene­n dreißig Jahren haben sich die Aufstiegsc­hancen in den USA demnach halbiert.

Auch der deutsche Ökonom Marcel Fratzscher hat vor wenigen Monaten ein Buch herausgebr­acht. Es trägt den Titel „Verteilung­skampf“, und der Autor kommt zu ziemlich ähnlichen Ergebnisse­n wie Charles Murray. Während Murray allerdings als Proponent eines neoliberal­en Thinktank einst republikan­ische Präsidente­n wie Nixon oder Bush beraten hat, gilt Fratzscher in Deutschlan­d als wirtschaft­spolitisch­er Einsager von SPD-Chef und Wirtschaft­sminister Sigmar Gabriel. Fratzscher meint, dass die soziale Marktwirts­chaft sowohl in Deutschlan­d als auch in Österreich passe´ ist. Man könne heutzutage nicht mehr gewährleis­ten, dass jemand ungeachtet seiner Herkunft allein aufgrund seiner Begabung ein gedeihlich­es Auskommen findet. Geld frisst also Talent. Wer heute über genügend Bares und Macht verfügt, kann seinen Nachkommen einen tollen Lebensstil erhalten – mögen diese auch noch so unbegabt sein. Mehr Chancengle­ichheit. Aber wie kommen wir aus der Misere heraus? Wie schaffen wir es, diese Macht der „kognitiven Elite“zu durchbrech­en und wieder jene Elite zu etablieren, wie sie die Französisc­he Revolution hervorbrin­gen wollte? „Weniger Umverteilu­ng, weniger Steuern, mehr Chancengle­ichheit“, forderte Fratzscher jüngst bei einem Vortrag in Wien, den er auf Einladung der Agenda Austria hielt. „Ich will weg von der Neiddebatt­e. Das Problem ist nicht, dass die Reichen zu viel haben. Es geht nur nicht,

Christian Kern unterschei­det zwischen Eliten und »hart arbeitende­n Menschen«. »Weniger Umverteilu­ng, weniger Steuern, mehr Chancengle­ichheit.«

dass die unteren 40 Prozent keinerlei Vermögen haben. Hätten sie in ihrem Leben eine gewisse Sicherheit und Planbarkei­t, wäre auch eine hohe Ungleichhe­it kein Problem.“

Beim Lösungsans­atz unterschei­den sich Murray und Fratzscher dann doch grundlegen­d. Während der deutsche Ökonom dafür plädiert, dass der Staat mehr Geld in Bildung – vor allem in die Betreuung von Kindern unter sechs Jahren – investiert, warnt Murray vor dem anonymen Sozialstaa­t. Dieser führe dazu, dass die Zivilgesel­lschaft erodiert – dass sich niemand um den Nächsten kümmert –, weil der Staat ohnehin für alle sorgt. Vor allem aber dafür sorgt, dass alles beim Alten bleibt. Ganz im Sinn der „kognitiven Elite“.

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