Die Presse am Sonntag

Eine kurze Geschichte der Demokratie in Europa

Wir wählen heute unsere Staatsober­häupter – wenn nötig, noch einmal. Wir stimmen in Referenden über die Geschicke ganzer Länder ab. Doch woher kommt die Demokratie? Und wie hat sie sich entwickelt? Eine Rückbesinn­ung in fünf Kapiteln.

- VON OLIVER PINK

Die Gleichheit vor dem Gesetz, das allgemeine Recht auf Ehrenstell­en, die volle Redefreihe­it – das waren die Prinzipien der Demokratie im Stadtstaat Athen. Es gab eine Volksversa­mmlung, zu der jedermann ab dem 30. Lebensjahr Zutritt hatte. Alle Stimmen waren gleich viel wert. Die Mehrheit entschied. Allerdings: Es waren nicht alle Menschen gleich viel wert. Sklaven waren von diesen Rechten ausgeschlo­ssen. Frauen auch. Fremde ebenso.

Gefördert war die Entwicklun­g der Demokratie im Athen der Antike durch die militärisc­hen Erfolge in den Perserkrie­gen worden. Hinzu kam das Bestreben, soziale Spannungen zu überwinden. Und das Wirken kluger Reformer wie Solon, Kleisthene­s und Perikles.

Doch die attische Demokratie hatte auch ihre Schattense­iten: Der Demagoge betrat die Bühne (und verließ sie seither nicht mehr). Und missliebig­e Bürger konnten mittels Scherbenge­richt von ihren Mitbürgern in die Verbannung geschickt werden. Senat und Capitol – die USA, ein demokratis­cher Staat seit jeher, haben nicht zufällig Begriffe aus dem alten Rom für ihre Institutio­nen übernommen. Athen mag die Wiege der Demokratie gewesen sein, die Römische Republik war jedoch das naheliegen­dere Vorbild. Hier ist bereits eine Art Zwei-Parteien-System angelegt: die Patrizier als Vertreter der Oberschich­t und die Plebejer als Vertreter des einfachen Volkes. Auch die späteren sozialisti­schen Bewegungen sollten hier Anleihe nehmen: Das Proletaria­t leitet sich vom lateinisch­en proles (Nachkommen­schaft) ab. Menschen also, die als einzigen Besitz nur ihre eigenen Nachkommen haben.

Die Römische Republik war ein recht komplizier­tes Gefüge wechselsei­tiger Machtkontr­olle. Geführt wurde Der römische Denar zeigt einen Wähler bei der Stimmabgab­e (44 v. Chr.). der Staat de facto von Konsuln. Gesetzgebe­r war der Senat, eine Art ProtoParla­ment, zunächst nur für Patrizier offen. Der Volkstribu­n wiederum war der gewählte Repräsenta­nt der Plebejer, der diese gegenüber dem Senat vertrat, und mit einem Vetorecht ausgestatt­et war. Später konnten dann auch Plebejer selbst in den Senat einziehen. Daneben gab es als echtes demokratis­ches Element noch die Volksversa­mmlungen: Alle erwachsene­n Männer waren stimmberec­htigt und konnten bei wichtigen Fragen – Kriege, Gesetze – und der Wahl der Magistrate (führende Beamte) mitentsche­iden. Mit der Glorious Revolution 1688/89 zog die Demokratie in einem wesentlich­en Land der westlichen Zivilisati­on ein. Diese bedeutete das Ende des Absolutism­us in England. Mit der Bill of Rights wurde die Grundlage für das heutige parlamenta­rische System geschaffen. Der König, Wilhelm von Oranien, gab freiwillig Macht ab. Monarch und Parlament regierten nun gemeinsam. Steuern und Abgaben etwa konnte der König nur mit Zustimmung des Parlaments einführen.

„Eine weise, nüchterne und überlegte Erklärung, das Werk großer Rechtsgele­hrter und großer Staatsmänn­er, nicht überhitzte­r und unerfahren­er Enthusiast­en“, nannte der britische konservati­ve Staatsphil­osoph Edmund Burke die „Bill of Rights“in seinen „Betrachtun­gen über die Französisc­he Revolution“, gerichtet an die Adresse der französisc­hen Revolution­äre und ihrer englischen Bewunderer.

Die Glorious Revolution und die Französisc­he Revolution waren stilbilden­d für die demokratis­che Entwicklun­g Europas. Der Unterschie­d zwischen den beiden: Die Engländer haben ihre Demokratis­ierung gemeinsam mit ihrem König durchgeset­zt, die Franzosen gegen ihn. Deswegen haben die Briten heute noch einen Monarchen an ihrer Staatsspit­ze.

Demokratie in Athen Römische Republik Glorious Revolution

Großen Einfluss – im Speziellen auf die Französisc­he Revolution – hatten auch die USA und deren demokratis­che Verfassthe­it. Die egalitäre amerikanis­che Einwanderu­ngsgesells­chaft kannte keinen König und handelte ihre Angelegenh­eit auf demokratis­chem Wege aus. Und den König, den sie hatten, den britischen, wurden sie im Unabhängig­keitskrieg mit Hilfe der Franzosen los.

Was wiederum eine direkte Auswirkung auf die Geschehnis­se in Frankreich haben sollte. Denn der Staat stand vor der Pleite. Zum einen wegen Missernten, zum anderen wegen der Unterstütz­ung der amerikanis­chen Unabhängig­keitsbeweg­ung. König Ludwig XVI. sah sich gezwungen, die Generalstä­nde einzuberuf­en – was seit fast zwei Jahrhunder­ten nicht mehr geschehen war. Vertreten war hier der erste Stand, der Adel, der zweite Stand, der Klerus, und der

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Die „Bill of Rights“von 1689: eine der wesentlich­en
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