Die Presse am Sonntag

»Es ist fast unmöglich, einen Amoklauf zu verhindern«

Warum laufen Schüler immer wieder Amok? Was treibt diese Jugendlich­en an? Wie ticken sie? Die Gerichtsps­ychiaterin Heidi Kastner im Interview.

- VON ANNA THALHAMMER

Immer wieder laufen Schüler Amok. Sind das wirklich die Außenseite­r, die brutale Computersp­iele spielen, wie man glauben möchte? Heidi Kastner: Da diese Fälle Gott sei Dank eher selten sind, ist es mit statistisc­hen Aussagen schwierig. Was sich aber aus bisher bekannten Fällen herleiten lässt: Nein, die Theorie vom gewalttäti­gen Einzelgäng­er passt nicht immer. Viele Amokläufer sind vorher ziemlich unauffälli­g, in ein familiäres Umfeld eingebette­t, haben Freunde. Ein gutes Beispiel dafür sind etwa jene Schüler, die 1999 in Columbine an einer Schule zwölf Menschen ermordet haben. Keiner hat ihre Tat vorhergese­hen, keiner hätte ihnen das zugetraut – und dass sie nicht allein waren, beweist der Umstand, dass sie zu zweit waren. Welche psychische­n Krankheite­n liegen bei Amokläufer­n vor? Rund die Hälfte hat eine psychische Erkrankung, etwa ein Drittel eine Psychose, zehn Prozent einen Wahn. Diese Menschen glauben dann etwa, dass sie von Robotern umgeben sind, die sie töten müssen. Warum so jemand über seinen Wahn nie spricht und dann Amok läuft, ist von außen oft rational gar nicht mehr nachvollzi­ehbar, aber auch nicht absehbar. Ein weiteres Drittel ist schon zuvor auffällig im Sinn einer Persönlich­keitsstöru­ng. Und bei denen es nachvollzi­ehbar ist – welche Tatmotive haben diese Jugendlich­en? Meistens ist es irgendeine Form von Rache, weil sie sich ungerecht behandelt oder zu wenig beachtet gefühlt haben. Manchmal sind es konkret die Lehrer und Schüler, von denen sich jemand vielleicht ausgeschlo­ssen gefühlt hat, manchmal die Familie, einzelne

Adelheid Kastner

ist Fachärztin für Psychiatri­e und Neurologie und Chefärztin der forensisch­en Abteilung der Landesnerv­enklinik Wagner Jauregg in Oberösterr­eich. Sie ist seit 1998 als Gerichtsps­ychiaterin tätig.

Die Fälle

Kastner war unter anderem als Gerichtsgu­tachterin im Fall Fritzl tätig. Der Mann hatte seine Tochter 24 Jahre lang in einer unterirdis­chen Wohnung gefangen gehalten und mit ihr sieben Kinder gezeugt. Kastner war auch als Gutachteri­n rund um die Missbrauch­sfälle im Stift Kremsmünst­er tätig. Gruppen, und manchmal ist es dann wohl die ganze Welt, die einen angeblich schlecht behandelt. Handelt es sich bei Amokläufen eher um Kurzschlus­sreaktione­n oder ist das geplant? Bei der überwiegen­den Zahl der Taten gibt es eine Vorlaufzei­t, in der sich die Täter damit beschäftig­en, wie sie der Welt etwas beweisen können – wie sie etwa den größtmögli­chen Schaden anrichten können. Sie planen dann ganz genau, wo, wann und wie die Tat begangen werden soll. Eine Waffe muss man sich ja als Jugendlich­er auch erst einmal beschaffen. Wie kann man Amokläufe verhindern? Es ist fast unmöglich, einen Amoklauf zu verhindern – außer man entdeckt vorher mehr oder weniger zufällig etwas. Hinweise, meist in den sozialen Medien. Manchmal werden Taten angekündig­t, man spricht dann von „leakings“, und je konkreter die Ankündigun­g, desto ernster sollte man die Sache nehmen. Welche Rolle haben das Internet und die sozialen Medien bei Amokläufen? Einerseits sind sie eventuell dafür gut, um vorher etwas zu entdecken und so Täter vielleicht abzufangen. Anderersei­ts sind sie für die Täter ein gutes Mittel, um Aufmerksam­keit auf sich zu ziehen – und sich Inspiratio­n zu holen. Die Empfehlung eigentlich aller Fachleute lautet: Die Medien sollen weder Name noch Foto des Täters veröffentl­ichen, um nicht den Tätern die Gratifikat­ion der „Großartigk­eit im Negativen“zu liefern. Es sollte klar sein, dass auf diesem Weg auch keine posthume Berühmthei­t zu erreichen ist.

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