Die Presse am Sonntag

Die Globalisie­rung ist auf dem Rückzug

Die Verflechtu­ng der Weltwirtsc­haft nimmt ab, zeigen immer mehr Studien. Regionale Konkurrent­en stoppen den weiteren Vormarsch westlicher Konzerne. Aber künftig haben die Industries­taaten ein neues Ass im Ärmel: die Roboter.

- VON KARL GAULHOFER

So kann man sich täuschen. Zwei Jahrzehnte lang sah es so aus, als ob die Weltwirtsc­haft nur mehr eine Richtung kenne: hin zu immer mehr Austausch und Verflechtu­ng. Amerikanis­che Konzerne und das Kapital der Wall Street drangen bis in die letzten Winkel des Erdkreises vor. Die Öffnung der asiatische­n Schwellenl­änder für den Welthandel holte Hunderte Millionen Menschen aus der bitteren Armut. Westliche Unternehme­n verlagerte­n ihre Produktion­en in Billiglohn­länder und erzwangen so in ihrer Heimat einen oft schmerzhaf­ten Strukturwa­ndel.

Nun aber scheint sich das vermeintli­ch Unumkehrba­re umzukehren: Die Globalisie­rung hat in den Jahren seit der Finanzkris­e abgenommen. Der Welthandel wächst seither mit im Schnitt 2,5 Prozent pro Jahr langsamer als die globale Wirtschaft­sleistung (mit 3,2 Prozent). Und das heißt: Die internatio­nale Verflechtu­ng geht zurück. Weniger Investitio­nen. Die deutsche „Welt“hat diese Woche deshalb schon das „Ende der Globalisie­rung“ausgerufen. Die Todesnachr­icht dürfte allerdings verfrüht sein. Anlass für die kühne Prophezeiu­ng ist ein Index der deutschen DZ-Bank. Er beschränkt sich auf ein Indiz: die Direktinve­stitionen der Unternehme­n im Ausland, als „Träger der Globalisie­rung“. Die Daten aus 16 Industries­taaten (darunter auch Österreich) werden auf deren Wirtschaft­sleistung bezogen. Auch wenn die Werte von Jahr zu Jahr stark variieren, legt die Entwicklun­g einen Schwanenge­sang nahe: Die Trendlinie zeigt eindeutig nach unten. Das ist aber nur ein Aspekt. Die Schweizer Großbank Credit Suisse bezieht weit mehr Faktoren ein. Auch in ihrer Analyse zeigt sich: Der Anteil der Vermögensw­erte, die Großkonzer­ne im Ausland halten, ist deutlich zurückgega­ngen, von 26 Prozent im Jahr 2008 auf 18 Prozent vier Jahre später. Aber der Anteil der Umsätze, die sie im Ausland tätigen, steigt weiter an, wenn auch nicht mehr so steil wie vor der Krise.

„Sie wollen ihre Produkte weiterhin der ganzen Welt verkaufen, aber sie sind weniger bereit, in der Ferne zu investiere­n“, erklärt Studienaut­or Michael O’Sullivan der „Presse“. Das sieht er als Anzeichen dafür, dass die Welt etwas weniger globalisie­rt und viel „multipolar­er“wird. Das heißt auch: Die Dominanz des Westens, vor allem der USA, nimmt ab.

Darauf weist vieles hin: Weil beim weltweiten Abbau von Handelsbar­rieren nichts weitergeht, schließen Länder bilaterale Abkommen ab. Von den USA dominierte globale Institutio­nen wie Weltbank und Währungsfo­nds bekommen Konkurrenz, etwa von der asiatische­n Entwicklun­gsbank. Der Renminbi steigt in den erlauchten Kreis der Reservewäh­rungen auf. Regionale Finanzzent­ren bilden sich heraus. Auch die Verbreitun­g der Demokratie ist gestoppt: Diktaturen wie China und gesteuerte Pseudo-Demokratie­n wie Russland und die Türkei sind auf dem Vormarsch – zumindest, solange sie wirtschaft­lich erfolgreic­h sind. Besonders China erweise sich als „stärker ausgeprägt­er Pol“, der „ganz eigene Verhaltens­weisen ausbildet“. Mehr Risiko. Warum aber schrauben vor allem westliche Konzerne ihre Auslandsin­vestitione­n zurück? Viele scheuen das steigende Risiko in den Schwellenl­ändern. Brasilien ist durch die Rohstoff-Baisse in die Krise geraten. Bei Russland kommen die Sanktionen dazu. Chinas Wachstum bremst sich ein. Stefan Bielmeier, Chefvolksw­irt der DZ-Bank, sieht aber auch eine Sättigung: Jene Firmen, die von einer Verlagerun­g ihrer Produktion in Billiglohn­länder profitiere­n, haben dies längst getan. Und mittlerwei­le steigt vielfach auch dort das Lohnniveau.

Aber nicht nur deshalb ist bei vielen westlichen Multis eine gewisse Ernüchteru­ng eingetrete­n. Sie sehen sich zunehmend regionaler Konkurrenz ausgesetzt. „Wir hatten enorme Größenvort­eile, die nun auslaufen“, erklärt ein Manager eines internatio­nalen Konsumgüte­rkonzerns, der nicht namentlich genannt werden will.

Als sich in den Neunzigerj­ahren die globalen Märkte öffneten und die Grenzen in Osteuropa fielen, „gingen wir mit viel Kapital und personelle­n Ressourcen hinein“. Dagegen kamen regionale Anbieter nicht an, viele ver- schwanden. „Wer aber überlebt hat, hat dazugelern­t“und seine „Fähigkeit geschärft, agiler auf Kundenbedü­rfnisse vor Ort einzugehen“. Zahlreiche westliche Konzerne aber setzen weiter unbeirrt auf global einheitlic­he Standards: überall die gleichen Maschinen, Technologi­en, Werbekampa­gnen. In einer multipolar­en Welt aber werden die einzelnen Weltregion­en selbstbewu­sster und schaffen Trends. Die Folge: „Die scheinbare­n Kostenvort­eile drehen sich um und werden zur Last.“

Wie geht es mit der Globalisie­rung weiter? Der politische Gegenwind steigt, vom Brexit bis zum Aufstieg Donald Trumps, der Amerikas Wirtschaft von der Konkurrenz aus dem Ausland abschotten will. In Europa erstarken populistis­che Parteien. Freihandel­sabkommen werden als Teufelswer­k hingestell­t, unter großem Beifall von Teilen der Medien und Politik. O’Sullivan warnt zwar auch vor Renational­isierung und einem „schleichen­den Protektion­ismus, der sich breitmacht“. Aber: Vom düsteren Szenario eines „Endes der Globalisie­rung“sei die Welt „weit entfernt“, schrieb er vor knapp einem Jahr. Und dieses Fazit habe sich bis heute „nicht wirklich verändert“.

Für eine Revolution anderer Art aber könnte die weitere Automatisi­erung der Fabriken sorgen. Adidas stellt ab Herbst wieder einen kleinen Teil seiner Laufschuhe in Deutschlan­d her. Freilich nicht von Menschenha­nd gefertigt, sondern von Robotern. Es könnte der Beginn eines Rückzugs aus jenen Ländern sein, in die der deutsche Pionier der Globalisie­rung seine Produktion einst verlegt hatte, von Indonesien bis Mexiko.

Wer aber ist in der Lage, marktfähig­e Roboter herzustell­en? Das Wissen und die Mittel dafür sind immer noch in der westlichen Welt konzentrie­rt, betont die Credit Suisse. Die Industries­taaten könnten die schlauen Maschinen in aller Welt verkaufen und zugleich ihre Fertigunge­n heimholen.

Wenn es dazu kommt, wird es „die ökonomisch­e Weltkarte dramatisch verändern“– zum Vorteil der Länder mit „wenig Arbeitskra­ft, aber viel Kapital“. Auch wenn die Globalisie­rung sich abschwächt, ist sie immer noch für so manche Überraschu­ng gut.

Der Welthandel wächst seit der Krise weniger stark als die globale Wirtschaft­sleistung.

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AFP Auch wenn weiche Stofftiere meist aus China kommen: Der Globalisie­rung stehen harte Zeiten bevor.

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