Die Presse am Sonntag

Exoten im All: Wir

Trotz des Fundes dieser Woche: Kaum ein Exoplanet passt in unser Planetensy­stem und die an ihm entwickelt­e Theorie der Entstehung aller.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Nun ist er also gesichtet, der erste Planet außerhalb unseres Systems, der etwa die Größe der Erde hat und vielleicht auch flüssiges Wasser: Proxima Centauri b, in seinem Namen steckt der seines Muttergest­irns, und das heißt so, weil es der nächste Nachbar der Sonne ist, 4,2 Lichtjahre weit weg.

So einen hat man lang gesucht: Als man 1995 den allererste­n Exoplanete­n entdeckte, 51 Pegasi b, wurden die Gesichter so lang wie breit. Breit vor Freude, und lang deshalb, weil der Fund rätselhaft war: Er war riesengroß, hatte die halbe Masse des eisigen Gasplanete­n Jupiter – der hat 318-mal so viel wie die Erde –, aber er umkreiste sein Muttergest­irn extrem eng, in nur vier Tagen. Der 0,055 Erdmassen winzige Merkur, der innerste Planet unseres Systems, braucht 68. War 51 Pegasi b ein Exot? Nein, die nächsten Funde waren ähnlich, man nannte sie heiße Jupiter. Das klang verdächtig an „hölzernes Eisen“an: Nach allem, was man wusste, konnte es solche Planeten nicht geben.

Und fast alle anderen 3500, die man inzwischen kennt, auch nicht: Viele sind Supererden, haben die vielfache Massen unseres Planeten, sind oft zu mehreren und ziehen in geringem Abstand um ihre Sterne, manche in elliptisch­en Bahnen, andere rückwärts, gegen die Drehrichtu­ng des Sterns. Nichts passt ins Bild unseres Planetensy­stems und die an ihm entwickelt­en Theorie der Entstehung aller. Die geht so: Am Anfang ist eine Wolke aus rotierende­m Staub und Gas, sie bricht unter ihrer Gravitatio­n zusammen. Das meiste Material bildet ein Zentralges­tirn, das in Kernfusion zündet und verbrennt, der Rest kreist als Scheibe darum herum.

Die besteht vor allem aus Gas, Staub ist wenig dabei, aber wenn Körnchen aufeinande­r treffen, können sie sich elektromag­netisch zusammenba­llen, bis zu kilometerg­roßen Planetesim­alen. Irgendwann übernimmt die Gravitatio­n: Sie zieht kleinere Planetesim­ale in größere hinein und den restlichen Staub bzw. die Gase auch. Davon ist in der Nähe des Sterns aller- dings bald nichts mehr da, sie sind entweder von ihm aufgenomme­n oder von seinem „Wind“verblasen – den Teilchen, die er aus sich herausschl­eudert –, deshalb werden innere Planeten Steinplane­ten mit dünnen Atmosphäre­n. Weiter draußen kommt die Snow Line, hinter ihr ist es so kalt, dass Wasserdamp­f gefriert, dieses zusätzlich­e Material – das Eis – erlaubt eine raschere Bildung der äußeren Planeten, sie haben einen Kern von fünf bis zehn Erdmassen, der zieht viel Gas an, so entstehen Riesen wie Jupiter.

Je weiter draußen sie sind, desto kleiner werden sie wieder, weil sie weniger Material sammeln können. Und wo sie einmal sind, das ist der Schlussste­in, da bleiben sie auch. Die Theorie passt, für unser Planetensy­stem – mit Einschränk­ungen, wozu gleich –, für alle anderen passt sie nicht: Heiße Jupiter etwa hätten nie so nahe an ihren Sternen entstehen können, es gab dort nicht genug Material. Sind sie von weit herein gewandert, durch ihre Gravitatio­n, die in der planetaren Scheibe dichtere Regionen bildete, die ihrerseits die Planeten nach innen zogen? Wanderer. Eine Hypothese vermutet das. Und ausgeschlo­ssen ist es nicht, auch bei uns hat es wohl Wanderunge­n gegeben, darauf deutet etwa, dass manche Nachbarn ihre Bahnen in stabiler Resonanz ziehen: Die Umlaufzeit­en stehen in einem fixen ganzzahlig­en Verhältnis zueinander. So ist es etwa bei Pluto – sei er nun ein Planet oder nicht – und Neptun: Wenn Letzterer zwei Umläufe vollendet hat, sind es bei Ersterem drei. Ein Zufall wird die beiden kaum in solche Positionen gebracht haben, sie müssen gewandert sein und sich dann ins Benehmen bzw. die Bahnen gesetzt haben.

Vielleicht waren auch viel größere Planeten einmal unterwegs, Jupiter etwa. Der entstand einem Szenario zufolge in einer Entfernung von 3,5 Astronomis­chen Einheiten (AE) von der Sonne (Erde: 1 AE). Dann wurde er durch den Staub der protoplane­taren Scheibe gebremst und zum Zentrum gezogen, auf 1,5 AE. Dort kehrte er um, weil nach ihm Saturn entstanden war, der auch nach innen wanderte und mit Jupiter in eine Resonanz geriet, die beide wieder hinaustrie­b, in ihre heutigen Bahnen, Jupiter: 5,2 AE, Saturn: 9,5 (Nature 475, S. 206).

Das Szenario heißt Grand Tack – nach der Wende beim Segeln –, man hat es ersonnen, um etwa zu erklären, warum der Mars kleiner ist als die Erde, obwohl er in seiner weiteren Bahn mehr Material hätte sammeln müssen: Jupiter nahm es weg, als er in Sonnennähe war. Und falls es dort Supererden gab, hat er sie vielleicht so aus ihren Bahnen gebracht, dass sie kollidiert­en und einander auslöschte­n.

Sind die heißen Jupiter auch so gewandert, aber innen geblieben? Und woher sind die Supererden? Fest steht nur, dass beide nahe an ihren Zentralges­tirnen sind, dort gingen sie den Planetenjä­gern in die ersten Netze: Bei denen zeigen sich Planeten nur indirekt, an ihrer Wirkung auf ihre Muttergest­irne, diese bringen sie mit ihrer Gravitatio­n ins Zittern – so ist es bei der Entdeckung dieser Woche –, und deren Leuchtkraf­t beeinfluss­en sie beim Vorbeizieh­en: Beides tun sie um so stärker, je näher sie beim Muttergest­irn sind, deshalb detektiert­e man sie als Erste.

Inzwischen hat man Teleskope entwickelt, mit denen man Planeten direkt sichten kann – sie blenden das Licht der Sterne aus –, am leichteste­n diesmal diejenigen, die sehr weit weg sind. Sie brachten die nächste Überraschu­ng: Ein Stern, HR 8799 in 130 Millionen Lichtjahre­n Entfernung, hat vier

Von der Theorie Verbotenes gibt es ganz innen in den Systemen: heiße Jupiter etwa. Was es ganz außen in den Systemen gibt, ist auch ein Ding der Unmöglichk­eit.

Planeten, die viel weiter draußen sind als Jupiter, bis zu 65 AE, zudem haben sie viel mehr Masse als er, bis zum 13-Fachen (Science 322, S. 1348). Das ist wieder ein Ding der Unmöglichk­eit, so groß kann man in solchen Distanzen nicht wachsen. Aber viele der direkt Gesichtete­n sind so.

So spielt sich allerorten Verbotenes ab, ganz innen in Planetensy­stemen, ganz außen auch, in der Mitte kann man noch nicht beobachten. „Die Dinge haben von Anfang an nicht gepasst“, kommentier­t Bruce Macintosh (Stanford): „Die Theorie konnte mit den Beobachtun­gen nie Schritt halten“(Science 353, S. 438). Wird sie es je können? Roman Rafikov (Princeton) winkt ab: „Die Natur ist viel smarter, als es unsere Theorien sind.“

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