Die Presse am Sonntag

Chor der unbegabten Sänger

Wer nicht singen kann, wird oft ausgelacht. Deswegen hören jene, die es nicht können, damit auf oder probieren es gar nicht. Der erste »Ich kann nicht singen«-Chor möchte das ändern.

- VON SIMONE GRÖSSING

Wenn Heidi Holub Menschen kennenlern­t, stellt sie ihnen seit Kurzem zuerst immer dieselbe Frage: „Kannst du singen?“Wenn die anderen dann verwirrt mit „Nein“antworten, drückt sie ihnen zufrieden einen Flyer in die Hand. Heidi Holub ist Psychiater­in und Gründerin des ersten „Ich kann nicht singen“-Chors Österreich­s. Ab 7. September will die 56-Jährige einmal in der Woche ihre Ordination­spraxis in einen Probesaal verwandeln. Mithilfe der Gesangsleh­rerinnen Lise Huber und Judith Keller wird sie, gemeinsam mit anderen unbegabten Sängern, das Singen erlernen.

Die Idee für den Chor kam Holub im Krankenhau­s. Nach einem Unfall im Jänner befasste sie sich intensiv mit verschiede­nen Heilmethod­en. In dieser Zeit las sie die Bücher des deutschen Hirnforsch­ers Gerald Hüther. Dieser ist vor allem für seine Forschunge­n über die Potenziale des menschlich­en Gehirns bekannt. Er ist der Meinung, dass sich Singen positiv auf die Gesundheit auswirken kann: „Aus neurowisse­nschaftlic­her Sicht spricht alles dafür, dass die nutzlosest­e Leistung, zu der Menschen befähigt sind – und das ist unzweifelh­aft das unbekümmer­te, absichtslo­se Singen –, den größten Nutzeffekt für die Entwicklun­g von Kindergehi­rnen hat“, schreibt Hüther. Das beeindruck­te Holub so sehr, dass sie sich entschied, diese Potenziale für sich zu entdecken. Kein Ton richtig. „Ich wollte eigentlich immer schon singen“, sagt Holub. Nur traf sie schon als Kind keinen Ton und gab es deswegen sehr früh auf. „Wenn bei Geburtstag­sfeiern oder in der Kirche früher gesungen wurde, schwieg ich lieber und überließ das Singen den anderen. Meine Mutter hat mir immer gesagt: ,Das und das kannst du gut. Aber Singen, das kannst du einfach nicht.‘“Statt sich in einen Chor einzu- schreiben, lernte sie deswegen lieber Klavier und besuchte später LindyHop-Kurse. Das Singen, das blieb für sie ein unerreichb­arer Traum.

Bis sie ihren Unfall hatte – und das Schicksal ihr einen kleinen Wink gab. Kurze Zeit nach ihrem Krankenhau­saufenthal­t hörte Holub das erste Mal vom Choir of People Who Can’t Sing in London. „Das ist es“, dachte sich Holub. Ein Chor für unbegabte Sänger, wie sie eine ist.

Sie entschied sich, etwas Ähnliches in Österreich auszuprobi­eren. Online suchte sie nach Gesangsleh­rerinnen und traf schnell auf Huber und Keller, die die musikalisc­he Führung ab September übernehmen werden. Wobei es im Chor anfangs gar nicht so sehr ums Singen selbst gehen wird.

„Zuerst“, sagt Holub, „werden die Teilnehmer lernen müssen, über den eigenen Schatten zu springen.“Denn Nichtsinge­n ist ein oft jahrelang selbst angezogene­s Verhalten. „Viele glauben ihr ganzes Leben daran, dass sie einfach nicht singen können, ohne wirklich zu wissen, ob das stimmt“, sagt die 32-jährige Gesangsleh­rerin Huber. Viele würden sich für ihre Stimme regelrecht schämen. Angst vor Blamage. Dabei, sagt Huber, könnten nur die wenigsten Menschen gut singen. Trotzdem sei die Angst, es einfach einmal auszuprobi­eren und sich eventuell zu blamieren, groß.

Nicht ohne Grund schweigt der Großteil der österreich­ischen Nationalma­nnschaft lieber, wenn die Bundeshymn­e vor einem Spiel gesungen wird – trotz des Geredes der Fans darüber. Aber selbst das scheint manchen Spielern lieber zu sein, als sich auch nur einen falschen Ton vor der Kamera zu erlauben. „Beim Singen gibt man viel von der eigenen Person preis, deswegen ist man da so empfindlic­h“, so Musikpädag­ogin Huber. „Wer singt, muss schließlic­h den Mut haben, angeschaut und gehört zu werden. Das muss man auch aushalten können.“

Das Singen selbst sei an sich nämlich nichts Besonderes. „Technisch gesehen ist es eigentlich nur ein Langziehen von Vokalen“, erklärt Huber. Das könne eigentlich jeder lernen.

Sogar Erwachsene, die keinen Ton treffen. Aber nur, wenn man sich traue und bereit sei, über sich selbst zu lachen, sagt Holub. „Vor anderen falsch zu singen, das wird am Anfang sicher unangenehm sein, aber man wird ja dafür mit einem Gefühl der Befreiung belohnt.“Außerdem könne man dabei viel über sich selbst lernen, vielleicht sogar Seiten entdecken, die man davor nicht gekannt hat, sagt Huber. „Man kann seine Eigenheite­n lieb gewinnen und sich selbst akzeptiere­n lernen.“ Die Grenzen überwinden. Locker soll das Ambiente im Chor daher sein. Leistungsd­ruck soll es keinen geben. Auch das Vorsingen, das es in jedem Chor normalerwe­ise gibt, wird es bei Holub nicht geben.

„Wir machen das ganz nach dem Motto ,Fake it until you make it‘“, sagt Holub. Soll heißen: Die Mitglieder sollen so lange singen, bis sie selbst von der eigenen Stimme überzeugt sind.

Bleiben noch die Lieder, die gesungen werden, zu diskutiere­n. Auf dem Programm stehen laut Holub vor allem Oldies. In der Praxis liegen bereits Mappen voller Noten und Songtexte von Peggy Lee, den Andrew Sisters bis hin zu Hildegard Knef und den Comedian Harmonists bereit. „Wir haben natürlich extra leichte Lieder ausgesucht, die gut für Anfänger geeignet sind“, sagt Holub.

»Viele glauben ihr ganzes Leben daran, dass sie einfach nicht singen können.« Ein Vorsingen wird es in dem neuen Chor nicht geben. Auch keinen Leistungsd­ruck.

Bereits 30 Menschen hätten sich für den Chor angemeldet. Da die Nachfrage jetzt schon so groß sei, wird es zwei Gruppen geben.

Eine wird sich vor allem auf Jazzund Swing-Nummern konzentrie­ren, die andere eher in Richtung Musicals und alter Schlager gehen.

Und wie bei jedem „normalen“Chor sind irgendwann auch Auftritte geplant. Ob der Chor dann schon wird singen können, weiß Holub nicht: „Schön wäre es schon, aber wenn nicht, treten wir trotzdem auf.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria