Die Presse am Sonntag

Ein Jahr danach: Was von der Hilfsberei­tschaft

Ein Jahr nach dem Start der Flüchtling­swelle hat sich die Stimmung in der Bevölkerun­g gewandelt. Doch wie haben Menschen, die sich in der Flüchtling­shilfe engagieren, die Zeit erlebt? Wurden sie enttäuscht? Und was würden sie jetzt anders machen?

- VON EVA WINROITHER

Irgendwie hat sich Christian Hlade das Zusammenle­ben anders vorgestell­t. Seit fast einem Jahr wohnt eine syrische Familie kostenlos in der Gästewohnu­ng seiner Firma. Das Ehepaar hat dort mit seinem Kind genügend Platz, ihre Wohnung in Graz liegt direkt neben seiner. Es gibt auch einen Garten. Doch Hlades Bereitscha­ft, einer vor Krieg und Terror geflüchtet­en Familie eine sichere Unterkunft zu geben, wird zunehmend auf die Probe gestellt.

„Der Mann der Familie kann nach sieben Monaten, dem Besuch eines Deutschkur­ses und Internetzu­gang fürs Online-Sprachstud­ium leider fast noch immer kein Deutsch“, schreibt er in einem Blogeintra­g. „Die beiden Erwachsene­n verbringen täglich Stunden mit ihren Smartphone­s und leben in Gedanken eher in Syrien, als sich um eine Einglieder­ung, Spracherwe­rb und Erwerb von Fähigkeite­n hier in Österreich zu kümmern. Gemeinsame Verabredun­gen und Termine werden leider sehr häufig gar nicht eingehalte­n. Die in Syrien üblichen Wohngewohn­heiten ruinieren durch zu viel Feuchtigke­it beim Kochen und Duschen – kombiniert mit völligem Verzicht auf Lüften – jede moderne Wohnung in Österreich“, kritisiert er. Auch Hilfe im Garten hätte er sich erwartet, immerhin benutzt ihn die Familie mit. Sein Fazit: „Integratio­n braucht auch Regeln, Ziele und Forderunge­n vonseiten der Gastgeber.“

Es sind verärgerte Worte für jemanden, der anderen helfen wollte. Dabei ist Christian Hlade nicht unerfahren, wenn es um fremde Kulturen geht. Der Grazer mit dem dichten Haar und der tiefen Stimme hat in den vergangene­n Jahren unzählige Länder bereist und ist es auch gewöhnt, mit anderen Kulturen zu arbeiten. Hlade betreibt die Firma Weltweitwa­ndern, mit der er Wanderreis­en in der ganzen Welt organisier­t. Er unterstütz­t selbst Hilfsproje­kte im Ausland, und seine Firma arbeitet meist mit einheimisc­hen Organisati­onen vor Ort zusammen – die Weiterbild­ung deren Mitarbeite­r fördert er. Kurzum: Mit Christian Hlade verscherzt man es sich nicht so leicht. Und dennoch deckten sich seine Erwartunge­n nicht mit der Realität. Und nicht nur bei ihm. Die Gesellscha­ft packte an. Das vergangene Jahr war geprägt von einer große Euphorie und einer ebenso großen Ernüchteru­ng. Vor einem Jahr erlebte Österreich eine noch nie dagewesene Solidaritä­tswelle. Tausende Flüchtling­e wurden von Freiwillig­en mit Decken, Essen, Wasser und einem Lächeln willkommen geheißen. Dort, wo der Staat nicht schnell genug reagierte, packte die Zivilgesel­lschaft rasch und effizient an. Ein Jahr später ist die Euphorie verschwund­en.

„Die Willkommen­skultur ist vorbei“, hieß es rasch nach den „Vorfällen von Köln“, wie die Diebstähle und sexuellen Übergriffe von vielen Asylwerber­n, aber auch schon länger hier lebenden Flüchtling­en vor allem aus Marokko, Algerien und dem Irak gemeinhin genannt wurden. Mit dem neuen Jahr kam eine neue Stimmung ins Land.

Das merkten vor allem die NGOs empfindlic­h. Die Plattform Flüchtling­e Willkommen, die Asylwerber­n und anerkannte­n Flüchtling­en Wohnungen oder einen Platz in einer Wohngemein­schaft vermittelt, hatte 2015 zu Bestzeiten 120 Österreich­er pro Monat, die Geflüchtet­e bei sich aufnehmen wollten. Nach Köln, aber auch den Attentaten in Brüssel und Deutschlan­d sowie den Meldungen über Vergewalti­gungen durch Asylwerber fiel die Zahl der neuen Wohnungsan­gebote auf 30 bis 40 pro Monat. Während die Zahl der Flüchtling­e auf der Warteliste von 200 auf 2400 stieg. „Die Warteliste hat sich verzwölffa­cht, und das Angebot ist nur mehr ein Viertel so groß“, sagt Projektmit­gründer David Zistl. Auch in der Diakonie-Flüchtling­shilfe merkt man das Misstrauen in der Bevölkerun­g. „Im Vorjahr kamen auf eine Freiwillig­enstelle 50 Interessen­ten, jetzt brauchen wir manchmal Monate oder Wo- chen, bis wir etwas besetzen können“, sagt Silvia Unterberge­r, zuständig für das Freiwillig­enmanageme­nt. Sie führt das nicht nur auf die schlechter­e Stimmung in der Bevölkerun­g zurück. „Es sind auch viel mehr Menschen notwendig als früher.“Trotzdem sieht sie die Verantwort­ung bei Politik und Medien. „Ein paar (negative, Anm.) Fälle wurden medial aufgeputsc­ht“, sagt sie. So sei das Gefühl von „Wir schaffen das“zu „Wir sind alle überforder­t, und es sind zu viele“gerutscht. „Mit den meisten Flüchtling­en gibt es aber keine Probleme.“

Das wissen vor allem die, die mit Flüchtling­en arbeiten. Denn auch, wenn die Stimmung in der Bevölkerun­g gekippt ist, sind im Schnitt mehr Menschen bereit zu helfen, als in den Jahren davor. Die Diakonie konnte die Zahl der freiwillig­en Mitarbeite­r dauerhaft verdoppeln, ebenso die Zahl der laufenden Projekte. Auch in der Caritas Wien gebe es „nach wie vor viele Menschen, die sich dauerhaft engagieren“, so Caritas-Wien-Generalsek­retär Klaus Schwertner: „Die Solidaritä­t hat nicht nachgelass­en.“ Es fehlen neue Helfer. Was aber allen NGOs fehlt, sind neue freiwillig­e Helfer, die sich durch die Euphorie mitreißen lassen und sich längerfris­tig engagieren. Wenn es auch Aufklärung auf beiden Seiten braucht. „Ernüchteru­ng gibt es oft am Anfang“, sagt Gerry Foitik vom Roten Kreuz. Wenn Helfer bemerken, dass Menschen im Ausnahmezu­stand auch unwirsch sein können. Oder wenn freiwillig­e Helfer sich

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Die Presse Die Geschichte­n in der „Presse am Sonntag“vor einem Jahr.
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