Die Presse am Sonntag

Wie aus Vorstädten Wiens Bezirke wurden

Seit ©ieser Woche wir© wie©er üãer Änderungen bei Bezirksgre­nzen, ZusŻmmenle­gungen un© Trennungen ©iskutiert. Die gŻã es Żãer schon seit Wien zur GroßstŻ©t wur©e un© erstmŻls Bezirke entstŻn©en, Żlso seit ©em JŻhr 1850.

- VON GÜNTHER HALLER

Erreichte ein Reisender, sagen wir aus Paris oder London, vor 170 Jahren sein Ziel, die kaiserlich­e Residenzst­adt Wien, war er maßlos enttäuscht. Er durchquert­e ausgedehnt­e Vororte, einfache Dörfer und fand endlich, umgeben von Spazierweg­en, Gräben und Festungsma­uern eine Ansiedlung: Wien, die Hauptstadt! Gerade so groß wie der heutige erste Bezirk oder ein einziges Pariser Quartier. Hier war alles eng, eingeschnü­rt, mittelalte­rlich, es fehlte die Luft zum Atmen.

Man brauchte einen großen städtebaul­ichen Coup: die Entfernung der Festungsma­uern und die Eingemeind­ung aller 34 Vorstädte mit ihrer dynamisch wachsenden Bevölkerun­g. Diese hießen unter anderem Wieden nach den Weidenbäum­en, die dort wuchsen, Margareten und Mariahilf nach den Kapellen der Heiligen, Alservorst­adt nach der Als, einem Wienerwald­bach, Laimgrube, hier war der Boden lehmig, Roßau nach einer Pferdeträn­ke, oder ganz einfach und fantasielo­s Neubau, Landstraße, Erdberg. Pest und Türkengefa­hr. Gemeinsam war den kleinen Siedlungen: Sie existierte­n schon viele hundert Jahre, gehörten zu Grundherrs­chaften, manchmal hießen sie auch nach dem Namen des Grundbesit­zers wie Althan oder Gumpendorf, und alle waren sie immer gefährdet: Einmal drohte eine Überschwem­mung des Wienflusse­s alles mit sich zu reißen, dann kam eine Pestepidem­ie, die ganze Dörfer entvölkert­e. Am schlimmste­n aber: die zwei Türkenbela­gerungen. Die großen Herren in der Stadt ließen die Vorstädte abreißen, damit die Belagerer sich nicht verstecken konnten, oder die Bewohner wurden Opfer der marodieren­den Türken. Und jedes Mal bauten sie wieder alles auf. Nach der Zweiten Türkenbela­gerung musste ein breiter Streifen vor den Stadtmauer­n frei gelassen werden, das Glacis, eine Art militärisc­hes Sperrgebie­t, das nach außen durch einen 3,5 Meter hohen Linienwall als Verteidigu­ngsring abgeschlos­sen wurde. Die Angst nach den Belagerung­en saß tief. Doch zwischen Glacis und Linienwall siedelte man sofort wieder, bald waren hier eine halbe Million Einwohner, zehnmal so viel wie in der Innenstadt.

1850 gab es einen noch jungen und innovative­n Kaiser, Franz Joseph, der gute Berater hatte, zum Beispiel Graf Stadion, der weitreiche­nde Pläne für Wien vorlegte: Alles sollte eingemeind­et werden, die Vorstädte, aber auch die Vororte jenseits des Linienwall­s. Das war entschiede­n zu mutig, die Politik hatte damals Angst vor den Proletarie­rn an der Peripherie, die Revolution war noch nicht vergessen. Besser, diese Menschen auf Distanz zu halten. Also zunächst nur die 34 Vorstädte.

Am 9. März 1850 trat die neue Gemeindeor­dnung in Kraft, die privaten Grundherrs­chaften waren bereits von der Gemeinde abgelöst worden, die Bezirke zwei bis neun wurden Teil von Wien, bald entstand auch ein zehnter durch die außerhalb des neu konzipiert­en Gürtels gelegenen Siedlungen. Überlegung­en, Bezirke zu trennen oder zusammenzu­legen, gab es schon ganz am Anfang, 1850: Unsere Skizze zeigt, dass Margareten, der heutige fünfte Bezirk, am Anfang noch nicht existierte. Der Bezirk entstand erst elf Jahre später.

Die Grenzen zwischen den neuen Gemeindebe­zirken ergaben sich von selbst: Man zog die wichtigste­n Radialstra­ßen heran, manche Vorstädte – wie etwa Mariahilf – wurden dadurch auf zwei Bezirke aufgeteilt. Jetzt war das Baugewerbe gefragt: Die Verbindung­en zwischen dem Stadtkern und den Vorstädten mussten erst geschaffen werden. Noch lag alles einfach nebeneinan­der. Wien wirke „wie eine Ansammlung mehrerer Städte“, meinte ein Reisender 1856, „es fehlt der Zusammenha­ng.“Das gelang bald, sehr rasch verstädter­ten die dörflichen Siedlungen, die Industrial­isierung begann. In Neubau fand man die Seidenindu­strie, in der Josefstadt die bürgerlich­e Mittelschi­cht, in der Leopoldsta­dt viele Theater und Vergnügung­setablisse­ments. Ohne die Vorstädte, die einer unglaublic­h schnell wachsenden Be- völkerung Platz boten, wäre Wien nicht die Metropole geworden, die sich nun herausbild­ete. Wo lebt man billiger? Dann gab es noch die Peripherie draußen am Linienwall, wo zahlreiche Gemüsegärt­en die Nahversorg­ung sicherten. Außerhalb lagen die Vororte, niederöste­rreichisch­e Gemeinden mit einem eigenen Bürgermeis­ter, die, wie etwa Währing, schon zu kleineren Städten herangewac­hsen waren. Das Leben hier war deutlich billiger als in den Vorstädten: Bei der Einreise in die Stadt musste man am Linienwall Verzehrung­ssteuer zahlen. Deshalb und weil man die Autonomie schätzte, legten Grinzing, Fünfhaus, Hernals, Hietzing, Hütteldorf, Lainz, Neustift und wie sie alle hießen, lange Zeit keinen Wert darauf, zu Wien zu gehören.

Angst vor ©en ProletŻrie­rn Żn ©er Peripherie. Die Revolution wŻr noch nicht vergessen. DŻs Leãen ŻußerhŻlã wŻr ãilliger. WŻrum sollte mŻn sich eingemein©en lŻssen?

Wieder gab Franz Joseph den Anstoß: Bei der Eröffnung des Türkenscha­nzparks in Währing hielt er eine aufsehener­regende Rede über die „Beseitigun­g der physischen Grenze der Vororte“. Es kam die Eingemeind­ung – und gleich auch eine neue Stadtverfa­ssung und Wahlen (1890/91). Doch es gab nicht nur Vorteile: Für die proletaris­che Bevölkerun­g in den Vororten entstanden Zinskasern­en, einige Stadtteile erhielten dadurch eine soziale Abwertung. Viele Tagelöhner und Hilfsarbei­ter mussten als Arbeitspen­dler weite Fußwege zurücklege­n, solange, bis der öffentlich­e Verkehr funktionie­rte. Am Wochenende ging der Verkehr in die Gegenricht­ung: Die Vororte blieben beliebte Sommerfris­chen, Villengege­nden entstanden, die beliebten Wochenenda­usflüge wurden beibehalte­n. Natürlich erhielten die nunmehr 19 Bezirke eigene Namen, aber im Sprachgebr­auch blieben viele der alten Ortsnamen erhalten. Bis heute fährt man nicht zum Heurigen nach Döbling, sondern nach Grinzing oder Nussdorf.

1900 schließlic­h wurde der 20. Bezirk vom zweiten abgetrennt, 1905 entstand der 21. Bezirk, Floridsdor­f. Das nationalso­zialistisc­he Projekt, aus Wien durch die Eingemeind­ung niederöste­rreicher Umlandgeme­inden die flächengrö­ßte deutsche Stadt zu machen, hielt nicht die projektier­ten tausend Jahre. Von diesem Großprojek­t verblieben 1954 für die Gemeinde Wien Teile der Donaustadt, nunmehr 22. Bezirk, der 23., Liesing, und etliche Orte am Stadtrand. 80 Ortschafte­n von „Groß-Wien“gingen wieder zurück an Niederöste­rreich.

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