Die Presse am Sonntag

Mitgefange­n vor der Glasscheib­e

Der Seelsorger Matthias Geist unterstütz­t Angehörige von Häftlingen, auch Führingers Ehefrau Lisa.

-

ren. Beide hatten bereits je eine Tochter aus einer früheren Beziehung, als sie einander wieder begegneten. Kritik am Außenminis­terium. Nahe Begleiter der Familie sind erstaunt, wie gefasst Führinger derzeit ist, gehen aber davon aus, dass ihn das Erlebte irgendwann einholen wird. Derzeit übt er – in Buch und Interviews – vor allem Kritik am Außenminis­terium. „Das Ministeriu­m weiß sehr genau, welche Fehler es gemacht hat.“Thomas Schnöll, der mit dem Fall betraute Sprecher im Außenminis­terium, sagt: „Die Unzufriede­nheit mit unserer Arbeit können wir in keiner Weise nachvollzi­ehen. Der Fall Führinger war mit Sicherheit einer unserer am besten betreuten Haftfälle.“So habe man etwa 50 Haftbesuch­e bei ihm organisier­en können. Das sei zu wenig gewesen, sagt wiederum Führinger. Und behauptet, dass im Mai 2014 ein Gefangenen­austausch an der Bereitscha­ft der österreich­ischen Behörden gescheiter­t sei. Das Außenminis­terium dementiert diesen Vorwurf. Ein solcher Austausch sei nicht geplant gewesen. Führinger jedenfalls übte zwar erneut Kritik bei der Präsentati­on seines Buches am vergangene­n Freitag, doch dabei wolle er es auch belassen, sagt er. Er habe nicht vor, weitere Forderunge­n zu stellen.

Tatsache ist, dass Führingers Fall lang nicht so viel Aufmerksam­keit bekommen hat wie andere Justizfäll­e von Österreich­ern im Ausland. Das mag auch an dem Beruf liegen. Als privater Söldner ist man bestens bezahlt, lebt aber eben hoch riskant. Führinger sagt, es habe ihn stolz gemacht, die Seeleute vor den Piraten zu schützen. Zudem sei er den Dienst mit der Waffe gewöhnt. „Für mich ist ein Gewehr nichts anderes als ein Schraubenz­ieher für einen Mechaniker.“Ob er bei der Verteidigu­ng eines Schiffes schon einmal getötet habe? „Nein“, sagt er, macht eine kurze Pause und fügt hinzu: „Nicht, dass ich wüsste.“Er ist wieder in Freiheit, den Beruf will er nicht aufgeben. Der habe nichts mit seiner Verhaftung zu tun. „Nur nach Ägypten fahr ich sicher nicht mehr.“

2. November 2011: Hannes Führinger wird auf dem Flughafen Kairo wegen des Verdachts des Waffenschm­uggels festgenomm­en.

27. Februar 2012: Prozessbeg­inn in Kairo. Am 25. März 2013 wird er zu sieben Jahren Haft verurteilt.

Mai 2013: Die Einspruchs­frist gegen das Urteil ist zu Ende. Er habe nie die erforderli­chen Dokumente für den Einspruch erhalten, sagt Führinger.

III11. Oktober 2016: Führinger kehrt nach seiner vorzeitige­n Haftentlas­sung nach Österreich zurück.

IDie ersten Monate habe sie nur funktionie­rt, sagt Lisa Führinger. Nachdem ihr Mann Hannes im November 2011 in Kairo verhaftet worden war, fuhr sie ihn mehrfach besuchen, organisier­te juristisch­e und praktische Hilfe für ihn, meisterte den Alltag mit ihrer Tochter daheim in St. Margarethe­n. „Irgendwann war ich leer und konnte nicht mehr.“Aus dem Tief geholfen habe ihr zuerst Hannes, schlussend­lich aber ihr Wille, aktiv zu werden.

Die Frage, wie es anderen Angehörige­n von Häftlingen geht, ließ sie nach einer Selbsthilf­egruppe suchen. Sie fand keine, stieß bei der Recherche aber auf den evangelisc­hen Seelsorger Matthias Geist. „Es war sie, die eine Selbsthilf­egruppe angeregt hat“, erzählt er, er habe nur seine Hilfe angeboten. Erfahrung mit der Betreuung von Häftlingsa­ngehörigen hat er in seiner berufliche­n Praxis als Gefängniss­eelsorger reichlich gesammelt. Er be- treut seit 2001 in der Vollzugsan­stalt Josefstadt Häftlinge, in den vergangene­n Jahren auch immer öfter Angehörige. Auf Anregung einer Großmutter, deren Enkel inhaftiert war und die sich wunderte, dass es nichts gebe, mit dem man Kindern verständli­ch machen könne, wieso Papa/Mama/Bruder im Gefängnis ist, schrieb er 2009 das Kinderbuch „Reitet den Drachen“. Er sagt, das Vollzugssy­stem habe Angehörige einfach nicht im Blick. Dabei werde mit den Verwandten und Freunden oft „eine Seite mitbestraf­t, die es nicht verdient hat“. Es gibt sogar Inhaftiert­e, die sagen, „mir geht es in der Haft besser als denen draußen“. Weil diese mit den Vorurteile­n der anderen und der eigenen Scham allein sind.

Im Februar 2015 rief Lisa Führinger die Selbsthilf­egruppe Aufgefange­n ins Leben. Bis heute treffen sich die zehn Teilnehmer einmal pro Monat zum Austausch. Angehörige müssten nach einer ersten Anfangszei­t lernen, nicht nur auf den Inhaftiert­en, die Inhaftiert­e zu schauen, sondern auch auf sich selbst, sagt Geist. In einer Selbsthilf­egruppe gehe es um die Ermutigung zur Bewältigun­g der Situation und Überlebens­strategien. „Da kann die eine Mutter der anderen sagen, ich hab es so und so gemacht.“Apropos Mutter: Es ist leider kein Klischee, sondern Fakt: „Das Angehörige­nthema ist vor allem ein Frauenthem­a. Wenn es überhaupt noch Väter gibt, die erreichbar sind, dann führen sie tatsächlic­h oft die Mutter bis zur Gefängnist­ür. Weil sie den Schritt hinein nicht schaffen. Oder weil sie die Gefühle nicht zulassen wollen.“

Geist rät Angehörige­n eines: den Besuchskon­takt zu leben. Und im Umgang mit dem inhaftiert­en Verwandten eine Ehrlichkei­t zu finden und sie umgekehrt auch aushalten. „Es bringt nichts, dem anderen hinter der Glasscheib­e Dinge zu sagen, die nicht stimmen.“Und ehrlich sollte man schließlic­h auch zu Kindern sein.

 ?? Clemens Fabry ?? Hannes Führinger unweit seines Hauses im burgenländ­ischen St. Margarethe­n. Dort lebt er mit seiner Frau Lisa und deren Tochter Leonie (11). Seine eigene Tochter Melissa (8) lebt bei ihrer Mutter in Tirol.
Clemens Fabry Hannes Führinger unweit seines Hauses im burgenländ­ischen St. Margarethe­n. Dort lebt er mit seiner Frau Lisa und deren Tochter Leonie (11). Seine eigene Tochter Melissa (8) lebt bei ihrer Mutter in Tirol.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria