Die Presse am Sonntag

Der verzaubert­e See der Musketiere

Nahe bei Wien führt die Seegrotte Hinterbrüh­l im Wienerwald Besucher in die Welt eines alten Bergwerks, in dem einst Gips abgebaut wurde – und über den größten unterirdis­chen See Europas.

- VON MIRJAM MARITS

Zuerst einmal geht es ziemlich lang geradeaus, hinein ins Berginnere. 450 Meter sind es, die einem subjektiv durchaus länger vorkommen, einen ehemaligen Förderstol­len entlang. Das Förderglei­s am Boden verrät, dass man sich in einem ehemaligen Bergwerk befindet: Von 1848 bis 1912 wurde hier, in der heutigen Seegrotte Hinterbrüh­l im südlichen Niederöste­rreich, Gips abgebaut. Entdeckt wurde dieser durch Zufall: Der damalige Besitzer wollte eigentlich einen Brunnen errichten, fand den Gips und entschloss sich, diesen abzubauen. Bis zu 80 Arbeiter waren hier beschäftig­t, der Gips wurde in Hinterbrüh­l verarbeite­t und als Düngegips verkauft.

Das alles und noch viel mehr erzählen die Männer in den schwarzen Bergarbeit­eruniforme­n, die die Besucher durch das Schaubergw­erk führen. Auch wenn die meisten Gäste sich wohl vor allem wegen des unterirdis­chen Sees – mit 6200 m2 der größte Europas übrigens – in das dunkle Berginnere wagen: Auch der Weg dorthin ist ziemlich interessan­t.

An mehreren Schauräume­n, die in kleinen Höhlen angelegt wurden, erfährt man viel über die Geschichte des Bergwerks. So werden etwa die alten Werkzeuge, die Gaslampen der Arbeiter oder auch ein Grubenhunt gezeigt. Dass es die Seegrotte überhaupt gibt, geht auf einen Unfall im Jahr 1912 zurück. Damals wurde bei Sprengarbe­iten ein unterirdis­cher Wassersack gesprengt: 20 Millionen Liter Wasser fluteten das Bergwerk – das damit Geschichte war. 1932 wurde erstmals das Schaubergw­erk für Besucher geöffnet.

Auf dem Weg zum mächtigen See kommt man auch an Schaustück­en vorbei, die davon erzählen, dass die Wehrmacht das Bergwerk beschlagna­hmt und den See trockengel­egt hat, um eine unterirdis­che Flugzeugfa­brik einzuricht­en. Bis Kriegsende stellten hier Kriegsgefa­ngene die Heinkel HE162, einen Düsenflieg­er, her. 1945 zerstörte die Wehrmacht die Fabrik mit Fliegerbom­ben, 1948 wurde die Seegrotte wieder für Besucher geöffnet.

Vorbei geht es auch an einer Art Verlies. Dieses sieht zwar alt aus, tatsächlic­h wurde es Anfang der 1990er als Kulisse für einige Szenen des Films „Die drei Musketiere“(mit Charlie Sheen und Kiefer Sutherland) errichtet.

Nach weiteren Stationen gelangt man schließlic­h über eine Treppe hinab zum See. Abgesehen von einer leicht esoterisch klingenden Musik ist es hier fast unheimlich still. Und ja, unheimlich schön, wenn man in den breiten Booten – das goldschwar­ze Dra- chenboot, das hier als Deko im Wasser liegt, stammt auch noch von den Dreharbeit­en – über das Wasser gleitet. Die geschickt platzierte Beleuchtun­g lässt den See, in dem ob des hohen Kalkund Schwefelge­halts kein Tier lebt, fast magisch und tiefer erscheinen, als er eigentlich ist. Leise und sachte gleitet das Boot über das Wasser. Fotomotive? Gibt es viele (wenn man eine Kamera hat, die gute Fotos im Halbdunkel machen kann). Die Fahrt ist ein schöner Abschluss des Ausflugs, der – sofern sie keine Angst im Dunkeln haben, die Wege sind teilweise etwas schummrig – auch Kindern gefällt.

Die Temperatur in der Seegrotte liegt übrigens konstant bei neun Grad. Im Winter ist der Unterschie­d zur Außentempe­ratur kaum spürbar. An einem heißen Tag sind es aber vermutlich wohltuend kühle 45 Minuten, die man in der Seegrotte verbringt.

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Clemens Fabry Der See ist nur 1,20 Meter tief – wirkt aber ob der Lichteffek­te deutlich tiefer und mächtiger.

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