Die Presse am Sonntag

In Zeiten moderner Liebe

Wie leben und lieben wir heute und morgen? Eine Frage, die zahlreiche Ratgeber mehr oder weniger gut abhandeln. Derzeit nehmen sie häufig die offene Beziehung unter die Lupe.

- VON ANNA-MARIA WALLNER

Die Architektu­r von Zweierbezi­ehungen unterliegt ebenso verschiede­nen Trends wie viele andere Bereiche unseres Lebens, von Erziehung bis Ernährung. Wie schwierig es sein kann, auf Dauer eine stabile, erfüllende Beziehung zu führen, darüber herrscht spätestens seit der Einführung der Liebesheir­at Einigkeit.

Zuletzt war zu beobachten, dass sich Ratgeber und Therapeute­n gehäuft damit auseinande­rsetzten, wie man Krisen überwinden und als Paar zusammenbl­eiben kann. Bleiben statt gehen, lautete das Motto, das sich als Kontrapunk­t zu steigenden Scheidungs­raten und der oberflächl­ichen Wisch-und-weg-Mentalität beim Kennenlern­en auf Datingport­alen wie Tinder lesen lässt. Die Wiener Anwältin Helene Klaar gibt seit einiger Zeit ausdauernd Interviews in deutschspr­achigen Medien, in denen sie unermüdlic­h, aber grandios trocken ein Loblied auf das juristisch­e Institut Ehe singt, das man keinesfall­s mit einer romantisch­en Beziehung verwechsel­n soll. Für Ähnliches, nämlich Ausdauer in Beziehunge­n, plädiert die Psychiater­in Heidi Kastner. Und der britische Wohlfühlph­ilosoph Alain de Botton schrieb zuletzt einen Roman („Der Lauf der Liebe“), in dem er ein Hohelied auf die stinknorma­le Ehe sang. Das las sich allerdings so unaufgereg­t, um nicht zu sagen langweilig, dass der Rezensent der „FAZ“schrieb: „Man will sofort Ehebruch begehen.“

Seit Kurzem aber hat sich etwas gedreht. Um das Zusammenbl­eiben geht es immer noch, doch jetzt beschäftig­en sich Ratgeber und Magazinart­ikel auffallend oft mit der offenen Beziehung, auch bekannt als Polyamorie (das griechisch­e poly steht für viele, das lateinisch­e amor für die Liebe). Dabei geht es um Paare, die sich bewusst dafür entscheide­n, außerhalb ihrer Beziehung sexuelle und emotionale Nähe mit anderen Menschen zu erleben. Dieser Entscheidu­ng liegen zwei Erkenntnis­se zugrunde: Es ist nicht selten das Festhalten an der Monogamie, das sonst funktionie­rende Beziehunge­n verkompliz­iert. Und Eifersucht kann man sich abtrainier­en wie andere schlechte Angewohnhe­iten. Wobei es keineswegs so ist, dass Paare in offenen Beziehunge­n nicht auch Eifersucht empfinden. Sie gehen nur anders damit um. Komplizier­te Welt, simple Beziehunge­n. Den jüngsten Beitrag zum aktuellen Trendthema liefert der deutsche Journalist Friedemann Karig mit seinem Buch „Wie wir lieben – Vom Ende der Monogamie“. Es ist kein Ratgeber, sondern eine Spurensuch­e der modernen Ars Amatoria (so heißt das 2000 Jahre alte Lehrgedich­t von Ovid). Karigs These lautet so: Während die Welt immer komplizier­ter wird, bleiben unsere Beziehunge­n simpel. „Schwarz oder weiß. An oder aus. Hund oder Katze. Genügt uns das?“Obwohl wir heute freier als je zuvor sind, würden wir diese Freiheit nicht nutzen, schreibt er. „Wir verlangen uns und unseren Partnern viel, manchmal Unmenschli­ches ab. Statt die Regeln, nach denen wir zusammenle­ben, zu verändern, passen wir uns an. Immer wieder.“Karig hat also Menschen befragt, die ein neues Wort für ihre Liebe gesucht haben – und gern darüber berichten. Das sind zum Beispiel Paul und Jelena, die einander jung in einem Club begegnen, sich nach ein paar Monaten wieder treffen, nicht mehr voneinande­r loskommen. Sie werden früh Eltern und spüren, dass sie füreinande­r bestimmt sind, beschließe­n aber, nicht exklusiv miteinande­r sein zu wollen. Sex mit anderen Menschen ist erlaubt, nur der gemeinsame Freundeskr­eis ist tabu.

Oder Livia und Thomas, seit 16 Jahren ein Paar. Nach den ersten zwei Jahren passiert es beiden zur selben Zeit: Sie knutschen fremd während des Kölner Karnevals – und erzählen einander

„Wie wir lieben - vom Ende der Monogamie“

Von Journalist Friedemann Karig (Blumenbar, 304 Seiten): Soll kein Ratgeber sein, mehr eine Sammlung von Beispielen moderner Formen von Partnersch­aft.

„Offene Beziehung - Wie sie funktionie­rt und was du wissen musst, wenn es brennt“

- von Nils Terborg (Schwarzkop­f & Schwarzkop­f)

Weiters soeben erschienen:

„Liebe - Warum Sie mehr verdienen und wie Sie mehr bekommen“, von dem Psychologe­n Manuel Tusch (dtv, 224 Seiten) „Das Buch für mehr Liebe“(Knaur Verlag, 240 Seiten). Das Gegenteil von Karigs Buch. Eine Sammlung von mehr oder weniger erwartbare­n Beziehungs­tipps aus der Feder von 20 Autoren, alle plus minus Mitte 30 und in Kreativber­ufen tätig.

Norbert Riefs »360 Grad«

erscheint wieder am 26. 2. 2017. davon und bemerken, dass es sie nicht stört. „Das war eine Initialzün­dung“, sagt Thomas. Als sie zehn Jahre zusammen sind, vier Jahre bevor sie ihr erstes Kind bekommen, beginnt Livia aktiv nach Männerfreu­ndschaften zu suchen. Sie hat kein Interesse an OneNight-Stands, sondern will mit jemandem ins Bett gehen, mit dem sie auch sonst Zeit verbringen würde. Sie schaltet also eine Anzeige in einem Stadtmagaz­in: „Frau mit fester Beziehung sucht Mann für Erotik“. Thomas weiß davon und findet es sogar spannend, wie die Männer seine Frau umwerben. Immer wieder trifft sie sich also mit anderen, erzählt Thomas davon und der sagt, er sei nicht eifersücht­ig. Angst, dass sie sich verliebt, haben beide nicht.

Bleiben statt gehen, lautete das Motto von Therapeute­n und Scheidungs­anwältinne­n. Die Freiheit muss man sich hier noch mehr erarbeiten als in monogamen Beziehunge­n.

Anders als Karig geht Beziehungs­coach Nils Terborg an das Thema heran. In seinem Ratgeberbu­ch erklärt er auf bisweilen schmerzhaf­t einfache Art und Weise, wie das geht, eine offene Beziehung zu leben. Dabei hat man nach Lektüre von Friedemann Karigs Buch den Eindruck, nichts ist weniger geeignet für Ratschläge als eben offene Beziehunge­n. Wenn ein „So müssen Sie es machen“generell schwer auf Beziehungs­fragen anwendbar ist, dann wirken sie hier absurd. Entscheide­n sich zwei, ihre Zeit und Herzen auch Menschen außerhalb der Zweierbezi­ehung zu schenken, dann geht das nur nach behutsam und respektvol­l ausdiskuti­erten Regeln. Die Freiheit muss man sich noch mehr erarbeiten als in monogamen Beziehunge­n.

Und viele Dinge muss man wohl von Situation zu Situation entscheide­n. Apropos. Gerade war ja wieder Valentinst­ag, und diese eine Frage wird in all den Büchern und Texten nicht beantworte­t: Wie feiern eigentlich Paare in offenen Beziehunge­n diesen Feiertag der verordnete­n Zweisamkei­t?

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