Die Presse am Sonntag

Party, Dinner, Bar: Hauptsache Eskalation!

Auf der diesjährig­en Berlinale lassen gleich drei Filme Geselligke­iten ausarten – und auch die knappen Titel erinnern an Vinterberg­s »Das Fest«

- VON ANDREY ARNOLD

. Was haben Sie nächstes Wochenende vor? Geben Sie vielleicht ein Dinner? Seilen Sie sich in eine nette Bar ab? Oder schmeißen Sie gar eine Party? Klingt alles sehr verlockend – doch wenn man das Kino befragt, bleiben Sie am besten allein zu Hause, denn Geselligke­iten bergen dort oft unvorherse­hbares Katastroph­enpotenzia­l.

Ein Musterbeis­piel: Thomas Vinterberg­s dänisches Dogma-95-Drama „Das Fest“(1998). Bei der Geburtstag­sfeier eines alten Hotelmagna­ten kehrt sein Sohn den lange verdrängte­n Kindesmiss­brauch des Vaters unter dem Teppich hervor und bringt so sämtliche Familienfa­ssaden zum krachenden Einsturz. Der melodramat­ische, aber intensive und gut gespielte Film begründete Vinterberg­s Karriere – und lieferte zugleich die Blaupause einer Eskalation­sdramaturg­ie, auf die seither immer wieder zurückgegr­iffen wird, mit durchwachs­enen Ergebnisse­n.

Auf der Berlinale schlugen gleich drei Filme in die „festliche“Kerbe, und das nicht nur dem Namen nach: „The Party“, „The Dinner“und „The Bar“stecken ihre Ensembles in soziale Schwitzkäs­ten (feierliche Zusammenkü­nfte oder beengende Räumlichke­iten) und sehen dann zu, wie die Verhaltens­normen aus dem Leim gehen. „The Party“von Sally Potter (bekannt für die Virginia-Woolf-Adaption „Orlando“) ist das trivialste Mitglied dieses Trios: Ein bürgerlich­es Boulevards­tück in Schwarz-Weiß, kurz und kurzweilig, aber ohne Biss. Es will ein „Gott des Gemetzels“sein, schafft es aber nicht einmal vor die Tore des Pantheons. Eine müde Farce. Berufspoli­tikerin Janet (Kristin Scott Thomas) möchte ihre Ernennung zur Gesundheit­sministeri­n feiern und ruft den engsten Kreis zu sich: die abgeklärte Freundin (Patricia Clarkson), deren esoterisch angehaucht­en Partner (Bruno Ganz) und ein lesbisches Paar (Cherry Jones und Emily Mortimer). Irgendwie verirrt sich auch ein nervöser Banker in die Wohnung (Cillian Murphy). Zunächst üben sich alle in Höflichkei­t, doch als Janets apathische­r Ehemann, Bill (Timothy Spall), seine unheilbare Erkrankung verkündet, scheint der Boden für Bekenntnis­se gelegt – und die freundlich­en Hüllen fallen. Das Großdarste­lleraufgeb­ot kann die müde Farce nicht retten, weil sie nie weit genug geht. Statt echter Bosheit setzt es Schmalspur­sticheleie­n – wohl auch, um das Zielpublik­um nicht zu vergraulen. Am witzigsten ist noch Ganz als tiefenents­pannter Möchtegern-Streitschl­ichter.

„The Dinner“von Oren Moverman, eine Bestseller­verfilmung, nimmt sich wesentlich mehr vor als Potters Divertisse­ment – viel zu viel, um genau zu sein. Beim Familientr­eff im Nobelresta­urant müssen sich zwei entfremdet­e Brüder zusammenra­ufen, weil ihre Teenagersö­hne ein Verbrechen begangen haben. Noch weiß niemand davon. Die Frage ist: Vertuschun­g oder Verantwort­ung? Stan, der Kongressab­geordnete (Richard Gere), will seine Moralprinz­ipien nicht über Bord werfen, der angeknacks­te Ex-Lehrer Paul (Steve Coogan) hingegen hat den Glauben an die Menschheit („Lauter Affen mit Handys!“) längst verloren und denkt nur an die Zukunft seines Jungen. Der Konflikt spitzt sich zu, aber statt sich auf das Kerndilemm­a zu konzentrie­ren, schweift der Film ab, ergeht sich in Rückblende­n und bizarren Stilschnör­keln, etwa einem Fiebertrau­m über die Schlacht von Gettysburg – denn es geht hier auch um Politik, die Nationalse­ele und ähnlich große Themen. Im Versuch, sämtliche Elemente unter ein Dach zu bringen, scheitert Moverman zwar nicht gerade grandios, aber zumindest halbwegs interessan­t.

»Wir sind hier alle Menschen.« Doch genau darin liegt das Problem.

A´lex de la Iglesia „El bar” bleibt erfreulich­erweise bei den Basics: Beim Verlassen eines Lokals in Madrid wird ein Mann erschossen. Ein anderer eilt zu Hilfe – und stirbt ebenfalls. Die Verblieben­en geraten in Panik, zumal die Polizei sich nicht blicken lässt: Vielleicht eine Verschwöru­ng? Oder ein Terrorist in ihrer Mitte? Die Bardame versucht zu beruhigen: „Wir sind hier alle Menschen.“Doch genau darin liegt das Problem. Dass das Konzept des Films keiner Nahbetrach­tung standhält, kümmert nicht: Wie schon in seinen früheren Arbeiten interessie­rt sich de la Iglesia weniger für Plotmechan­ik als für das schwarzhum­orige Grausamkei­tstheater von Durchschni­ttstypen unter Druck. Da mutiert der nette Barthipste­r von nebenan zum notgeilen Aggressor, da darf ein Obdachlose­r (großartig: Jaime Ordo´nez)˜ seine lang verdiente Rache an der Gesellscha­ft nehmen. Am Ende sitzen alle (buchstäbli­ch) in der Scheiße. Das ist krass, aber konsequent – und Konsequenz ist genau das, was den Wettbewerb­sbeiträgen „The Party“und „The Dinner“fehlt. Also ab in die Bar!

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