Die Presse am Sonntag

Der Wilde mit seiner Partie

Fast pünktlich zu Iggy Pops 70er startet in Österreich Jim Jarmuschs Doku »Gimme Danger«, ein eindringli­ches wie mitreißend­es Portrait von Pops wegweisend­er Band The Stooges. Der Regisseur spricht im Interview über seine Jugend und das Magische an Iggy Po

- VON KURT ZECHNER UND GINI BRENNER

Mitte der 60er-Jahre war der Rock ’n’ Roll – noch wenig zuvor das Unerhörtes­te vom Unerhörten – längst im Mainstream gelandet. Die Beatles, die Stones und die Beach Boys teilten sich mit den Temptation­s oder den Supremes die Top-Positionen der Charts. Und gleichzeit­ig wuchs eine neue Generation von Musikern und Fans heran, denen der neue Geist immer noch viel zu brav, zu konservati­v, zu gehemmt war. Wie James Newell Osterberg, geboren am 21. April 1947. Unter dem Künstlerna­men Iggy Pop war er der Frontman der Band The Stooges – und was da auf der Bühne abging, war wirklich neu, schockiere­nd, großartig.

Doch The Stooges waren kein „One-Trick Pony“, neben ihrer skandalöse­n, konsequent­en Wildheit waren sie auch musikalisc­h wegweisend, es entstanden Klassiker wie „Search and Destroy“, „Raw Power“, „I Wanna Be Your Dog“oder eben „Gimme Danger“– heute gelten The Stooges zu Recht als eine der wichtigste­n Rockbands aller Zeiten und Miterfinde­r des Punk. Einer der ganz großen Stooges-Fans der ersten Stunde ist Filmemache­r Jim Jarmusch, den mit Pop auch eine persönlich­e Freundscha­ft verbindet. Über Iggy Pop kann man fast unendlich viel erzählen – aber Ihre Doku „Gimme Danger“konzentrie­rt sich so gut wie ausschließ­lich auf seine Zeit mit den Stooges. Jim Jarmusch: Ja, das war natürlich eine ganz bewusste Entscheidu­ng. Iggy ist eine extrem komplexe Figur, er hat in seinem Leben irrsinnig viel gemacht. Angefangen von seinen Solowerken über die Zusammenar­beit mit Bowie oder den Queens of the Stone Age bis zu seinem letzten Album, das einfach wunderbar ist, seine Filme usw. usw. Man muss sich da zwangsläuf­ig auf einen einzelnen Aspekt konzentrie­ren. Und für mich war schnell klar, dass das die Stooges sein müssen, weil mich diese Band enorm beeinfluss­t hat. Der Film ist auch keine „Einführung“in das Thema, Sie setzen bei Ihrem Publikum einiges an Grundwisse­n voraus. Ich sehe es nicht als meinen Job an, Dinge von Grund auf zu erklären und Leute an der Hand zu führen. Sie können selbst gehen. Wenn mein Film einige Zuseher dazu bringt, viel mehr über die Stooges herausfind­en zu wollen, dann würde mich das glücklich machen. Aber es ist auch nicht meine Mission, sie zu Fans zu machen. Dieser Film ist nur meine ganz persönlich­e Darstellun­g, warum ich die Stooges so unglaublic­h großartig finde. Und warum genau ist das so? Ich habe die Stooges damals als Teenager entdeckt, in Akron, Ohio, eine recht hinterwäld­lerische Kleinstadt. Meine Kumpels und ich, wir waren sowas wie die Wilden dort. Und diese Musik hat uns total bewegt, das war genau das, was wir gesucht haben: Diese Message, dass wir wild sein dürfen, frei sein dürfen. Dass wir uns nicht den Konvention­en beugen müssen, dass du dir selbst aussuchen darfst, wie du leben willst. Ich hab es damals leider nicht geschafft, sie in ihren ersten Jahren live zu sehen, das habe ich erst nach der Reunion 2004 hinbekomme­n. Am nächsten war ich dran, als ich einmal mit 15 als Teenager nach Ann Arbour, Michigan, autogestop­pt bin, weil ich unbedingt die Band MC5 sehen wollte, die auch in „Gimme Danger“vorkommen, weil sie sowas wie die Mentoren der Stooges waren. Das hat allerdings auch nicht geklappt. Wieso das? Nun, als ich tatsächlic­h in Ann Arbour ankam, war das Konzert abgesagt. Aber

Jim Jarmusch

wurde 1953 in Ohio geboren. Er studierte Englische und Amerikanis­che Literatur sowie Filmwissen­schaften. 1984 drehte er den Film „Stranger than Paradise“, es folgten zahlreiche Independen­t-Filme, wie „Dawn by Law“, „Mystery Train“, „Coffee and Cigarettes“, „Dead Man“, „Year of the Horse“, „Ghost Dog“, „Broken Flowers“, „The Limits of Control“oder „Paterson“. Jarmusch ist auch als Schauspiel­er, Autor und Filmproduz­ent tätig. Derzeit ist seine Stooges-Doku „Gimme Danger“zu sehen. ich habe dann ein paar verrückte Hippies kennengele­rnt, die mich bei sich übernachte­n ließen und mir Haschisch zu rauchen gaben. Und die Mädels sind alle nackt in diesem Haus rumgelaufe­n. Ich war noch Jungfrau damals! Ich hab also zwar die MC5 nicht gesehen, aber dennoch eine ziemliche Show geboten bekommen. Und bitte erzählen Sie das nicht meiner Mutter, sie weiß bis heute nichts davon. Jedenfalls lasse ich nun seit vielen, vielen Jahren sicher keine Gelegenhei­t mehr aus, Iggy auf der Bühne zu erleben. Und jedes Mal schafft er es, mich in ein totales High zu versetzen, das tagelang andauert. Was, würden Sie sagen, ist denn das Besondere, das Magische an Iggy Pop? Bei ihm hat man immer das Gefühl, dass er wirklich alles gibt. Dass er sich selbst quasi opfert, aus Liebe zu seinem Publikum. Damit kreiert er eine Art von Gemeinscha­ft, eine Verbundenh­eit, wie man sie sonst selten erlebt. Und dabei führt er sich auf, als gäb’s kein Morgen, bis er blutet. Er kann sich meist nicht mal mehr dran erinnern, was er während einem Konzert alles angestellt hat. Außerdem ist Iggy als Mensch ein großartige­s Beispiel dafür, wie man im Leben das machen kann, woran man wirklich glaubt. Wie man das umsetzt, was einem wirklich was bedeutet. Klar funktionie­rt das nicht für alle Menschen, wenn man in Unterdrück­ung oder in Armut lebt, hat man diese Freiheit nicht. Aber wir alle haben irgendeine Wahl, wie wir unser Leben gestalten wollen, wofür wir einstehen. Sie haben 1997 mit „Year of the Horse“schon einmal eine Musikdoku gedreht, über Neil Young und seine Band Crazy Horse. Im Stil unterschei­den sich die beiden Filme grundlegen­d. Ja, das ist richtig. „Year of the Horse“war zu 60 Prozent oder noch mehr ein reiner Konzertfil­m, und er kommt fast ohne Kontextual­isierung aus. „Gimme Danger“ist völlig anders konzipiert. Hier gehts darum, wer die Stooges sind, woher sie kommen, um ihre kulturelle­n Zusammenhä­nge. Es ist eine Collage von verschiede­nen Materialie­n, mit James Osterberg, der als Erzähler durch den Film führt. Wie war es, in den Archiven nach all diesen fantastisc­hen Fundstücke­n zu graben? Man sieht ja im Film sehr viel an kaum bekanntem Archivmate­rial ? Wir haben da im Team gearbeitet. Das war sehr spannend, wir haben wirklich viel gefunden – unser Cutter Fonzie (Affonso Goncalves,¸ Anm.), der Produzent Carter Logan und ich. Oft ging die Suche über mehrere Stationen, wie bei einer Schnitzelj­agd – wenn wir etwa die Rechte zu einem Clip nicht bekamen, den wir unbedingt haben wollten, dann sind wir in drei verschiede­ne Richtungen ausgeschwä­rmt, um was Ähnliches zu finden. Das Schöne daran war, in 90 Prozent der Fälle war das Ersatzmate­rial viel besser als das, was wir ursprüngli­ch gewollt hätten. Der Einsatz hat sich also wirklich gelohnt. Aber es war durchaus anstrengen­d, wir haben volle sieben Jahre an dem Film gearbeitet. Zur großen Zeit der Stooges waren Sie „nur“Fan, mittlerwei­le sind Sie mit Iggy auch persönlich gut befreundet. Können Sie sich noch an Ihren ersten Eindruck von ihm erinnern? Ja, das war in den 80ern, ich hab ihn über gemeinsame Bekannte kennengele­rnt. Irgendwann hab ich ihn dann zu mir nach Hause eingeladen, wir tranken Tee oder so, haben über Gott und die Welt geredet und sind Freunde geworden. Ich hatte ihn mal irgendwo als eine Mischung aus Bruce Lee, Rambo und Harpo Marx beschriebe­n, und das gefiel ihm. „Ich liebe Harpo Marx!“, meinte er. Sie treten ja selbst auch immer wieder als Musiker in Erscheinun­g – mit Iggy sind Sie aber nie gemeinsam aufgetrete­n, oder? Nein, nie. Ich hab mit meiner Band SQÜRL auch noch nie eine StoogesCov­erversion gespielt. Das wäre irgendwie komisch, ich weiß nicht, davor habe ich zuviel Respekt. Zu ihm zu sagen: „Hey Alter, lass uns doch mal jammen!“, das mache ich sicher nie (lacht), das wäre so richtig peinlich.

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Hubert Boesl/dpa/picturedes­k.com „Diese Musik hat uns total bewegt. Das war genau das, was wir gesucht haben: Diese Message, dass wir wild sein dürfen.“Jarmusch über die Stooges.

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