Das Geschäftsmodell der alternativen Heiler
Aus alternativen Heilmethoden ist ein zwielichtiges Geschäftsmodell erwachsen.
Heilung überprüft. Logistisch ist das für die Wiener Familie aufwendig; der ältere Sohn, Felix’ großer Bruder, „hatte damals gar keine Eltern mehr“, sagt Forstinger – vor allem im Hinblick darauf, was noch alles passieren sollte.
„Meine Eltern meinten es gut damit.“Nach rund einem dreiviertel Jahr jedenfalls, im Herbst 1991, geht es Felix Forstinger rapide schlechter. Das rechte Auge, jenes mit dem Retinoblastom, war damals schon doppelt so groß wie das linke, „und eigentlich nur noch Tumor“. Der Mann, der Forstinger in Tirol behandelte, dürfte da schon bemerkt haben, dass er diesmal den Kranken nicht heilen können würde. „Reagiert hat er dann so, wie er nicht reagieren hätte sollen“, erzählt Forstinger: „Im ersten Gespräch sagte er noch, das sei normal und er hätte uns das so von Anfang an gesagt: dass die Krankheit am Schluss versuchen werde, auszubrechen. Aber ich sei in einem solch guten Zustand, dass ich das letzte Aufbäumen der Krankheit überstünde.“Die Krankheit, sagte der Mann, bündle jetzt ihre letzten Kräfte, bevor sie dann abflauen werde: „Wir sollten sehr konsequent sein und seinen Rat befolgen. Er dürfte dabei aber doch in Kauf genommen haben, dass sich das eventuell für mich nicht ausgehen könne.“ Der Heiler hat sich abgesetzt. „Mir ging es zu dem Zeitpunkt schon so schlecht, dass mein Vater allein nach Tirol fuhr“– und vor der verriegelten Hütte stand. Und schließlich zuhause anrief, um zu sagen, dass Felix ins Spital gebracht werden müsse.
Der Heiler, ein Deutscher, hatte sich nach Deutschland abgesetzt, wurde polizeilich gesucht – ob die Fahndung wegen anderer Patienten oder wegen der Familie des Mannes eingeleitet wurde, wissen die Forstingers nicht; selbst leitete die Familie keine rechtlichen Schritte ein. Felix’ Mutter sagte später bei einem Prozess in Deutschland gegen den Mann aus.
Der Schulmedizin verdankt Felix Forstinger schlussendlich sein Leben. Durch die Familie seines Vaters fanden seine Eltern einen jungen Arzt an der Wer als Patient oder Angehöriger im Internet auf die Suche nach einem alternativen Heiler für diverse schwere Krankheiten geht, wird nicht so schnell fündig, wie man vielleicht meinen möchte: Die selbst ernannten „Heiler“werben im Netz nämlich nur äußerst selten mit ihren Diensten. Sie setzen eher auf Mundpropaganda und werden dadurch im regionalen Rahmen so zu Größen, die von ihren Kunden auch an andere weiterempfohlen werden. Auch sogenannte „Freundeskreise“bewerben „Heiler“, die ihnen bei einer Erkrankung geholfen haben sollen, auf diversen Internetseiten: Die aufgeschriebenen Geschichten der „Freunde“erinnern dabei vermutlich nicht zufällig an eine Heilung biblischen Ausmaßes. Und die „Heiler“selbst, die tauschen sich häufig auf Kongressen aus. „Sie leben auf ihrer Wunderheilerwolke und glauben wirklich daran, dass sie besondere Kräfte haben“, erzählt ein Mann, der einst bei einem solchen „Heiler“in Behandlung war. „Erdstrahlungsblocker“. Während das klassisch-mystische Handauflegen noch eine tatsächliche Behandlung ist, gibt es auch allerlei Wundermittel, die von Heilern oder Firmen in deren Umfeld vertrieben werden. Begriffe wie „Heilamulette“klingen da noch recht gewöhnlich, spezieller wird es dann schon bei „Erdstrahlungsblockern“oder „Quantum-Zellheilung“-Aufklebern. Auch wenn laut den Angaben der Verkäufer schon ein einziges Stück dieser Produkte reichen soll, um eben „Erdstrahlen“zu „blocken“: In Summe Universitätsklinik in Essen, der Felix operieren würde, mit einem Procedere, das davor noch nicht angewendet worden war. Auch an diesen Arzt kann sich Felix Forstinger erinnern: „Wir waren in einem Raum, der Arzt, meine Eltern und ich. Und trotzdem sprach der Arzt nur mit mir, so wie mit einem Erwachsenen. Er erklärte mir ganz genau, was ich hatte, was er machen würde, wie das passieren würde. Er nahm mich wahr, er nahm mich ernst.“Nach der Operation würde Forstinger dann in eine Kinderklinik in Nordrhein-Westfalen kommen, die alternative Methoden zusätzlich in die Behandlung einfließen ließ: Haflinger-Pferdereiten, Tanz, gemeinsames Essen. Für Forstinger ein Beispiel dafür, wie Schulmedizin und alternativere Zugänge erfolgreich zusammenspielen können.
Von der achtstündigen Operation, bei der die Haut des Gesichts von Felix nach vor geklappt, dann das rechte Auge und viele Muskeln und Nerven der rechten Gesichtshälfte entnommen wurden, zeugt heute noch eine lange, scharf geschnittene Narbe auf der linken Kopfseite Forstingers. Wüsste man nicht um seine Geschichte, könnte man meinen, sie sei Teil seiner rasier- kann damit viel Geld verdient werden. „Oft sind es lediglich auf Papier gedruckte Symbole, die mit Kunststofffolie laminiert werden, um dann – mit Heil-, Schutz- oder Kraftwirkungen versehen – zu einem Preis verkauft werden, der oft zu 500 Prozent über dem eigentlichen Kaufpreis liegt“, schreibt ein Mann in einem E-Mailinterview für diesen Artikel: Er ist ein Angehöriger einer Krebspatientin, die sich mit solchen Produkten eindeckte. Er versuchte, ihr per Vorrechnen die Einkäufe auszureden. „Zuerst bieten die ,Heiler‘ ihre Dienste für eine Anfangsphase kostenlos an“– die psychische Entlastung des Patienten setze bereits hier ein – „dann muss man ein Produkt erwerben.“Mit diesem Erwerb wird der Patient zum Geschäftspartner. Jede Anwendung hinterfragen. Das österreichische Bundesministerium für Gesundheit empfiehlt Patienten, die eine komplementärmedizinische Anwendung überlegen, jede Anwendung genau zu hinterfragen – wie etwa der Arbeitsaufwand berechnet wird, warum man teure Cremen oder Nahrungsergänzungsmittel kaufen muss, oder welche Kompetenzen der Anwender der Therapie erworben hat. Generell gibt das Ministerium den Hinweis: Wer eine solche Anwendung bei einem Anbieter in Anspruch nimmt, der über keinerlei medizinische Grundkompetenzen verfügt, für den besteht die Gefahr, dass eine effektive medizinische Therapie verabsäumt wird. Die generellen Heilungschancen können in solchen Fällen stark sinken. ten Frisur, Stil südeuropäischer Fußballstar. Offensichtlicher ist da das Glasauge, das Forstinger seitdem trägt.
Heute lautet die Aufstellung: großer Bruder, Mutter in Wien, Vater in Deutschland, ein Auge und ein Glasauge. Ein zweites Glasauge im Handschuhfach von Forstingers Volvo, zur Sicherheit. (Einmal flutschte ihm das Glasauge beim Schwimmen im Attersee heraus, Hobbytaucher hatten viel Freude daran, es im Seegras zu suchen.)
Dass seine Eltern ihn damals zu einem Heiler brachten, anstelle ihn im Krankenhaus versorgen zu lassen, nimmt Forstinger ihnen nicht übel, versteht sie sogar. „Man darf nicht vergessen: Damals gab es noch kein Internet, Informationen waren schwierig zu erhalten, und die Ärzte besaßen eine gewisse Arroganz“, meint er. „Geheilt wird man, wenn man Zeit investiert, nicht unbedingt Geld, wenn man wahrgenommen wird.“