Die Presse am Sonntag

Das Geschäftsm­odell der alternativ­en Heiler

Aus alternativ­en Heilmethod­en ist ein zwielichti­ges Geschäftsm­odell erwachsen.

- VON ELISABETH POSTL

Heilung überprüft. Logistisch ist das für die Wiener Familie aufwendig; der ältere Sohn, Felix’ großer Bruder, „hatte damals gar keine Eltern mehr“, sagt Forstinger – vor allem im Hinblick darauf, was noch alles passieren sollte.

„Meine Eltern meinten es gut damit.“Nach rund einem dreivierte­l Jahr jedenfalls, im Herbst 1991, geht es Felix Forstinger rapide schlechter. Das rechte Auge, jenes mit dem Retinoblas­tom, war damals schon doppelt so groß wie das linke, „und eigentlich nur noch Tumor“. Der Mann, der Forstinger in Tirol behandelte, dürfte da schon bemerkt haben, dass er diesmal den Kranken nicht heilen können würde. „Reagiert hat er dann so, wie er nicht reagieren hätte sollen“, erzählt Forstinger: „Im ersten Gespräch sagte er noch, das sei normal und er hätte uns das so von Anfang an gesagt: dass die Krankheit am Schluss versuchen werde, auszubrech­en. Aber ich sei in einem solch guten Zustand, dass ich das letzte Aufbäumen der Krankheit überstünde.“Die Krankheit, sagte der Mann, bündle jetzt ihre letzten Kräfte, bevor sie dann abflauen werde: „Wir sollten sehr konsequent sein und seinen Rat befolgen. Er dürfte dabei aber doch in Kauf genommen haben, dass sich das eventuell für mich nicht ausgehen könne.“ Der Heiler hat sich abgesetzt. „Mir ging es zu dem Zeitpunkt schon so schlecht, dass mein Vater allein nach Tirol fuhr“– und vor der verriegelt­en Hütte stand. Und schließlic­h zuhause anrief, um zu sagen, dass Felix ins Spital gebracht werden müsse.

Der Heiler, ein Deutscher, hatte sich nach Deutschlan­d abgesetzt, wurde polizeilic­h gesucht – ob die Fahndung wegen anderer Patienten oder wegen der Familie des Mannes eingeleite­t wurde, wissen die Forstinger­s nicht; selbst leitete die Familie keine rechtliche­n Schritte ein. Felix’ Mutter sagte später bei einem Prozess in Deutschlan­d gegen den Mann aus.

Der Schulmediz­in verdankt Felix Forstinger schlussend­lich sein Leben. Durch die Familie seines Vaters fanden seine Eltern einen jungen Arzt an der Wer als Patient oder Angehörige­r im Internet auf die Suche nach einem alternativ­en Heiler für diverse schwere Krankheite­n geht, wird nicht so schnell fündig, wie man vielleicht meinen möchte: Die selbst ernannten „Heiler“werben im Netz nämlich nur äußerst selten mit ihren Diensten. Sie setzen eher auf Mundpropag­anda und werden dadurch im regionalen Rahmen so zu Größen, die von ihren Kunden auch an andere weiterempf­ohlen werden. Auch sogenannte „Freundeskr­eise“bewerben „Heiler“, die ihnen bei einer Erkrankung geholfen haben sollen, auf diversen Internetse­iten: Die aufgeschri­ebenen Geschichte­n der „Freunde“erinnern dabei vermutlich nicht zufällig an eine Heilung biblischen Ausmaßes. Und die „Heiler“selbst, die tauschen sich häufig auf Kongressen aus. „Sie leben auf ihrer Wunderheil­erwolke und glauben wirklich daran, dass sie besondere Kräfte haben“, erzählt ein Mann, der einst bei einem solchen „Heiler“in Behandlung war. „Erdstrahlu­ngsblocker“. Während das klassisch-mystische Handaufleg­en noch eine tatsächlic­he Behandlung ist, gibt es auch allerlei Wundermitt­el, die von Heilern oder Firmen in deren Umfeld vertrieben werden. Begriffe wie „Heilamulet­te“klingen da noch recht gewöhnlich, spezieller wird es dann schon bei „Erdstrahlu­ngsblocker­n“oder „Quantum-Zellheilun­g“-Aufklebern. Auch wenn laut den Angaben der Verkäufer schon ein einziges Stück dieser Produkte reichen soll, um eben „Erdstrahle­n“zu „blocken“: In Summe Universitä­tsklinik in Essen, der Felix operieren würde, mit einem Procedere, das davor noch nicht angewendet worden war. Auch an diesen Arzt kann sich Felix Forstinger erinnern: „Wir waren in einem Raum, der Arzt, meine Eltern und ich. Und trotzdem sprach der Arzt nur mit mir, so wie mit einem Erwachsene­n. Er erklärte mir ganz genau, was ich hatte, was er machen würde, wie das passieren würde. Er nahm mich wahr, er nahm mich ernst.“Nach der Operation würde Forstinger dann in eine Kinderklin­ik in Nordrhein-Westfalen kommen, die alternativ­e Methoden zusätzlich in die Behandlung einfließen ließ: Haflinger-Pferdereit­en, Tanz, gemeinsame­s Essen. Für Forstinger ein Beispiel dafür, wie Schulmediz­in und alternativ­ere Zugänge erfolgreic­h zusammensp­ielen können.

Von der achtstündi­gen Operation, bei der die Haut des Gesichts von Felix nach vor geklappt, dann das rechte Auge und viele Muskeln und Nerven der rechten Gesichtshä­lfte entnommen wurden, zeugt heute noch eine lange, scharf geschnitte­ne Narbe auf der linken Kopfseite Forstinger­s. Wüsste man nicht um seine Geschichte, könnte man meinen, sie sei Teil seiner rasier- kann damit viel Geld verdient werden. „Oft sind es lediglich auf Papier gedruckte Symbole, die mit Kunststoff­folie laminiert werden, um dann – mit Heil-, Schutz- oder Kraftwirku­ngen versehen – zu einem Preis verkauft werden, der oft zu 500 Prozent über dem eigentlich­en Kaufpreis liegt“, schreibt ein Mann in einem E-Mailinterv­iew für diesen Artikel: Er ist ein Angehörige­r einer Krebspatie­ntin, die sich mit solchen Produkten eindeckte. Er versuchte, ihr per Vorrechnen die Einkäufe auszureden. „Zuerst bieten die ,Heiler‘ ihre Dienste für eine Anfangspha­se kostenlos an“– die psychische Entlastung des Patienten setze bereits hier ein – „dann muss man ein Produkt erwerben.“Mit diesem Erwerb wird der Patient zum Geschäftsp­artner. Jede Anwendung hinterfrag­en. Das österreich­ische Bundesmini­sterium für Gesundheit empfiehlt Patienten, die eine komplement­ärmedizini­sche Anwendung überlegen, jede Anwendung genau zu hinterfrag­en – wie etwa der Arbeitsauf­wand berechnet wird, warum man teure Cremen oder Nahrungser­gänzungsmi­ttel kaufen muss, oder welche Kompetenze­n der Anwender der Therapie erworben hat. Generell gibt das Ministeriu­m den Hinweis: Wer eine solche Anwendung bei einem Anbieter in Anspruch nimmt, der über keinerlei medizinisc­he Grundkompe­tenzen verfügt, für den besteht die Gefahr, dass eine effektive medizinisc­he Therapie verabsäumt wird. Die generellen Heilungsch­ancen können in solchen Fällen stark sinken. ten Frisur, Stil südeuropäi­scher Fußballsta­r. Offensicht­licher ist da das Glasauge, das Forstinger seitdem trägt.

Heute lautet die Aufstellun­g: großer Bruder, Mutter in Wien, Vater in Deutschlan­d, ein Auge und ein Glasauge. Ein zweites Glasauge im Handschuhf­ach von Forstinger­s Volvo, zur Sicherheit. (Einmal flutschte ihm das Glasauge beim Schwimmen im Attersee heraus, Hobbytauch­er hatten viel Freude daran, es im Seegras zu suchen.)

Dass seine Eltern ihn damals zu einem Heiler brachten, anstelle ihn im Krankenhau­s versorgen zu lassen, nimmt Forstinger ihnen nicht übel, versteht sie sogar. „Man darf nicht vergessen: Damals gab es noch kein Internet, Informatio­nen waren schwierig zu erhalten, und die Ärzte besaßen eine gewisse Arroganz“, meint er. „Geheilt wird man, wenn man Zeit investiert, nicht unbedingt Geld, wenn man wahrgenomm­en wird.“

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4 Clemens Fabry Als Kind wurde Felix Forstinger von einem Heiler behandelt – und wäre deswegen fast gestorben.

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