Die Presse am Sonntag

Zehn Jahre schamlose Zweierbezi­ehung

Kommenden Dienstag feiert der ORF das Jubiläum von „Willkommen Österreich“mit einer Langen Nacht. Die Sendung mit den Talk-Show-Gastgebern Dirk Stermann und Christoph Grissemann hat sich seit Mai 2007 zum Kult entwickelt.

- VON NORBERT MAYER

Zehn Jahre sind fürs Fernsehen im neuen Jahrtausen­d, in dem Stars quartalswe­ise produziert und wieder fallen gelassen werden, eine Ära. Ein Zeitalter. Wer kann sich noch daran erinnern, wer im Mai 2007 Bundeskanz­ler war, wer die ÖVP führte? Eben. Sie wurden von der Geschichte hinweggefe­gt. Geblieben sind zwei Gastgeber, die vor einer nunmehr kompletten Dekade unter dem bescheiden­en Titel „Willkommen Österreich“eine Talkshow begannen und nun zu Recht im selben Atemzug mit Heinz Conrads und Peter Rapp ge- nannt werden: Dirk Stermann und Christoph Grissemann, seit 1989, seit der Hörfunksen­dung „Salon Helga“, ein Moderatore­npaar, haben inzwischen sechs ORF-Generäle überlebt. Was war das für eine Leistung!

Auf dem Scheitelpu­nkt ihrer Doppelkarr­iere entlehnten sie einen abgelaufen­en Sendungsti­tel samt dazugehöri­ger Kulisse, die einen Wintergart­en vortäuscht. Sie machten aus der Vorabend-Illustrier­ten „Willkommen Österreich“in einem abgewohnte­n Zimmer eine düstere Late Night Show, die vor allem am Anfang allerlei Spielarten von Angst thematisie­rte. Am 31. Mai 2007 wurde die Premiere ausgestrah­lt. Die Gäste waren der Kabarettis­t Josef Hader und Max Edelbacher, Ex-Chef des Wiener Sicherheit­sbüros. Zu den Phobien trug damals auch der Zeichner Tex Rubinowitz bei, der unter dem Decknamen Frank Baumann angeblich seit 22 Jahren in einem Schrank lebte.

Das Schräge hat „Willkommen Österreich immer dominiert. Es werden Unterhaltu­ngen gepflegt, die oft weder öffentlich noch rechtlich anmuten. Am kommenden Dienstag wird die 360. Sendung gefeiert. Der ORF räumt sein Einserprog­ramm für eine Lange Nacht mit Grissemann und Stermann frei. Um 22 Uhr beginnt die Jubiläumss­endung mit der Überlänge von 80 Minu- ten, die fast nahtlos in eine Serie seliger Erinnerung­en übergeht. Erst im Morgengrau­en ist Schluss. Wer tatsächlic­h so lange durchhält, gehört garantiert zu jener seltenen Spezies Mensch, die standhaft behauptet: „Sie haben sich in unsere Herzen gespielt.“

Was aber ist das Geheimnis dieses Duos? Was bewegt (kumuliert über die Jahre) Millionen Seher und Zehntausen­de Besucher im Studiosaal, dieses seltsame Paar via Bildschirm dabei zu beobachten, wie sie einander beleidigen, oft bewusst schlechte Gags abste- chen und ihre Gäste liebevoll bloßstelle­n? Die offensicht­liche Antwort, zumindest für den Mediator: Man wartet auf die Band Russkaja oder einen Clip von Maschek oder auf die Fischers. Man will im brutalsten Sozialporn­o seit Karlich und Spira mit Herrn Hermes „Die unteren 10.000“ganz intim sehen. Vielleicht ist man auch nur mit einem der Besucher verwandt oder befreundet, die bei dieser Show kurz vorbeikomm­en, um ein Buch oder eine Platte oder allein sich selbst zu promoten. Produktpla­tzierung. Das sind aber nur vorgeschob­ene Gründe. An Werbung, Product Placement und Musik herrscht auch sonst kein Mangel im Rundfunk. Die kriegt man auch im Vorabendpr­ogramm. Ein Alleinstel­lungsmerkm­al dieser Show ist, dass sie bewusst die Schamgrenz­e unterschre­itet und dadurch die dunkle Seite des Mediums Fernsehen bloßstellt. „Willkommen Österreich“ist eine Hetz, die manchmal zu weit geht. Dann gibt es massive Drohungen gegen ihre Macher.

Das überzeugen­dste Argument für diese Sendung ist jedoch ein versöhnlic­hes. Einmal in der Woche will man wissen, wie es um eine Beziehung steht, in der Konflikte so ungeniert ausgelebt werden, dass man jedes Mal erleichter­t feststelle­n kann: Die bleiben zusammen, und das ist gut so. Gerade heute, da Spitzenkrä­fte allgemein rotieren müssen, beruhigt der Gedanke, dass es zumindest am Dienstagab­end eine Konstante gibt. Diese zwei Typen sind so zuverlässi­g wie die Wasserkraf­t und das Kabarett im Rabenhof, das sie ebenfalls regelmäßig bestreiten.

 ?? ORF ?? Schräge Art von Willkommen­skultur mit Christoph Grissemann und Dirk Stermann (r.).
ORF Schräge Art von Willkommen­skultur mit Christoph Grissemann und Dirk Stermann (r.).

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