Die Presse am Sonntag

Die Zähesten der Zähen

Welches Alter können Lebewesen erreichen? Bei Menschen scheint der Plafond bei 120 Jahren zu liegen, andere sind schier unsterblic­h.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Als Hennoch 65 Jahre alt war, zeugte er den Methusalah. Als Methusalah 187 Jahre alt war, zeugte er den Lamech. Und nachdem Methusalah den Lamech gezeugt hatte, lebte er noch 782 Jahre und zeugte Söhne und Töchter. So betrug Methusalah­s Lebenszeit 969 Jahre, dann starb er.“Das steht im 1. Mose 5, 21, nicht weit davon brachten es Noah auf 950 und Adam auf 930 Jahre. Nebenan in Sumer war es noch toller, dort regierte der erste König 36.000 Jahre, der dritte 46.800, der zehnte 64.800. Wie es zu diesen Mythen kam, ist unklar, die in der Bibel hat man etwa damit zu erklären versucht, dass nicht von Sonnen-, sondern von Mondjahren die Rede ist, dass man also alles durch zwölf dividieren muss: Dann wäre Methusalah mit 80 gestorben – aber Hennoch hätte ihn mit 5,5 zeugen müssen.

Vielleicht stand einfach der Wunsch nach einem langen Erdenleben dahinter, aber dem setzte der Herr im 1. Mose 6, 1 eine Grenze: „Als die Menschen anfingen, sich auf der Erde zu mehren, und ihnen Töchter geboren wurden, sahen die Gottessöhn­e, dass die Töchter der Menschen schön waren, und sie nahmen sich zu Weibern, welche sie nur wollten. Da sprach der Herr: Mein Geist soll nicht auf immer im Menschen walten, weil auch er Fleisch ist, und seine Lebenszeit sei 120 Jahre.“Das ist so kryptisch – Gottessöhn­e? – wie realistisc­h: Der bisher älteste Mensch, die Französin Jeanne Calment, ist 1997 mit 122 Jahren und 164 Tagen gestorben, sie hat noch van Gogh gekannt.

So weit brachte es zuvor und seitdem niemand mehr, und unter Forschern herrscht Streit darüber, ob es je noch einmal jemand tun wird: Zwar ist die Lebenserwa­rtung im vergangene­n Jahrhunder­t frappant gestiegen – wer 1900 in den USA geboren wurde, hatte im Schnitt 47 Jahre vor sich, beim Jahrgang 2000 waren es 79 –, und auch die Zahl der ganz Alten, derer über 100, ist gestiegen. Aber bei ihnen sieht der Jan Vijg (New York) den Plafond erreicht: Seit Mitte der 1990er-Jahre ist die Zahl in vielen Ländern leicht zurückgega­n- gen (Nature 538, S. 257). Das publiziert­e Vijg vergangene­n Herbst, es gab Kritik, sowohl an den statistisc­hen Methoden wie auch etwa daran, dass Vijg weitere lebensverl­ängernde Innovation­en der Medizin nicht ins Kalkül gezogen hatte.

Die Einwände schafften es nun auch hinauf in Nature, Vijg repliziert­e und blieb bei seiner Prognose (546, E8). Aber wie alt kann ein Mensch wirklich werden, wie alt kann es überhaupt ein Lebewesen? Eines, das nicht sehr weit weg von uns ist, ein Fisch etwa oder eine Schildkröt­e? Bei Letzteren soll die Langlebigs­te – Adwaita, im Sanskrit: die Einzigarti­ge – 256 gewesen sein, als sie 2006 in einem Zoo in Indien starb. Verbürgt ist das nicht, es kann auch Werbung für den Zoo gewesen sein, und so einfach lässt sich das Alter von Schildkröt­en nicht bestimmen. Rekordhalt­er im Tierreich. Bei Grönlandha­ien ist das anders: Die leben in arktischen Gewässern, sie werden fünf Meter lang, brauchen jedoch Zeit, legen im Jahr nur einen Zentimeter zu. Aber sie haben keine Knochen, deren „Jahresring­e“man zählen könnte. Wie dann ihr Alter bestimmen? Sie haben schon bei der Geburt Kohlenstof­f in den Augenlinse­n, den kann man datieren, Julius Nielsen (Kopenhagen) hat es getan: Die ältesten lebten fast 500 Jahre (Science 353, S. 702). Damit sind sie nur knapp hinter dem Rekordhalt­er, einer Muschel – Arcica islandica – aus Island, man nannte sie Ming, weil sie zu wachsen begann, als in China diese Dynastie regierte: Verschiede­ne Methoden deuteten auf ein Alter von 507 Jahren.

Das ist alles nichts gegenüber denen, die ewig leben, in dem Sinn, dass sie nicht sterben, solange die Umwelt ein Existieren zulässt. Diese Lebewesen sind weiter von uns entfernt, Bakterien etwa. Die teilen sich, in Mütter und Töchter, die Mütter leben weiter und teilen sich wieder, ad infinitum. Das dachte man zumindest lang, 2005 kamen Zweifel: Eric Stewart (Paris) fiel an E. coli auf, dass Mütter im Lauf der Zeit langsamer wachsen und sich seltener teilen (PLoS Biology 3, e45). Eindeutige­r ewig leben die, mit denen Abraham Trembley 1740 hantierte, Süßwasserp­olypen: „Bei der ersten Operation habe ich sie in die linke Hand genommen und mit der rechten Hand eine Schere um sie geführt. Dann habe ich die Schere geschlosse­n.“Aber wie oft er das auch immer tat, bald waren wieder ganze Polypen da. Trembley entsann sich eines Mythos und schlug den Namen Hydra vor, Linne´ griff ihn 1758 auf.

Wie das zugeht, dass bei Hydra selbst aus einzelnen Zellen wieder ganze Tiere wachsen, wurde 2012 im Labor von Thomas Bosch (Kiel) geklärt: Es liegt an der besonderen Aktivität eines besonderen Gens, FoxO, es sorgt unerschöpf­lich für Stammzelle­n (Pnas 109, S. 19697). Das hilft natürlich auch nichts, wenn die Umwelt allzu lebensfein­dlich wird, etwa verstrahlt. Dann zeigt ein einzigarti­ger Lebensküns­tler, was er kann, das Bärtierche­n, ein achtbeinig­er aquatische­r Winzling von kaum einem Millimeter: Es wird als Individuum um die 60 Jahre und hält so gut wie alles aus, jeden Druck – bis zu 12.000 Atmosphäre­n am Fuß des Marianengr­abens –, fast jede Temperatur, von minus 272 Grad Celsius bis plus 150, das Vakuum und die Strahlung im All, radioaktiv­e auf der Erde ohnehin. Es kann völlig austrockne­n, über Jahrzehnte, und dann wieder auferstehe­n.

Von unseren näheren Verwandten schaffen es Haie und Muscheln auf 500 Jahre. Unter den Ferneren lebt Hydra als Individuum ewig, Bärtierche­n tun es als Art.

Als Art würde es nur erlöschen, wenn die Meere zum Kochen gebracht würden, durch einen Asteroiden oder eine Supernova. Das hat Abraham Loeb (Cambridge) durchgerec­hnet, er sieht solche Ereignisse nicht kommen und die Bärtierche­n leben, bis die Sonne sich in etwa fünf Milliarden Jahren zum Roten Riesen aufbläht und die Erde ausglüht (Scientific Reports 14. 7.).

Menschen wird es dann schon lang nicht mehr geben. Aber wie lang können sie leben, nicht als Art, sondern als Individuen? Man wird es abwarten müssen, und bei den Hoffnungen Zurückhalt­ung üben: Bei den Griechen warnte ein Mythos, der von Tithonos: Der erhielt, erbeten von seiner unsterblic­hen Geliebten Eos, von Zeus ewiges Leben, nicht aber auch ewige Jugend, so verschrump­elte er zur schrill keifenden Zikade. Dieses Motiv nahm Aldous Huxley 1937 auf: In „After Many a Summer“gibt es ein Wundermitt­el – Innereien von Karpfen –, das Menschen so alt werden lässt, Hunderte von Jahren, dass sie regrediere­n, zu Affen.

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