Die Zukunft der Liebe
Matthias Horx sagt uns in seinem neuesten Buch, wie wir bald leben und lieben werden. Die Vernunftehe kehrt zurück, manche wählen die Ehe light oder die Sologamie.
Mattias Horx ist in Bad Gastein der Liebe begegnet. Nicht einer neuen, denn er ist nach wie vor mit seiner Frau, Oona, zusammen, sondern mehr der Liebe im Allgemeinen. Der in Deutschland geborene Autor und Zukunftsforscher, der seit einigen Jahren hauptsächlich in Wien lebt, verbrachte zuletzt viel Zeit in dem privat geführten Hotel namens Haus Hirt, das er „meine endgültige Lebenswohngemeinschaft“nennt. Dort hat er auch Teile seines neuesten Buches, „Future Love“, geschrieben. Das erste, in dem es ausschließlich um zwischenmenschliche Beziehungen geht. Auch um seine eigenen.
Bevor Horx aber in die Zukunft blickt, sieht er in Gegenwart und Vergangenheit, erklärt uns erstaunlich kurzweilig und pointiert, wie die Familie zustande gekommen ist und warum wir überhaupt lieben, Freunde haben, in Clans, Sippen leben und wie moderne Partnerschaften zustande kommen. Erst im dritten Teil des Buches sieht er in die Zukunft und stellt Thesen und Szenarien futuristischer Liebe auf.
Horx beobachtet, „dass das Heiraten nach einer Phase, in der es zum guten Ton gehörte, keine Ehe einzugehen, ein stetiges Comeback feiert“. Das zeige sich schon daran, dass aufwendig inszenierte Hochzeiten in westlichen Ländern und manchen Kreisen heute zum wichtigsten „Event im Leben“werden. Alte Rituale kehren zurück und werden durch neue ergänzt, das Ereignis wird zusätzlich auf sozialen Kanälen wie Instagram zur Schau gestellt. Die Ehe wird neu codiert, schreibt Horx, sie gilt plötzlich als „selbstbewusste, rebellische Alternative zur ewigen Ambivalenz“. In manchen (Kultur-)Kreisen wird sie auch durch eine neue Form ersetzt oder ergänzt, die in Frankreich und der Schweiz bereits im Aufwind ist: die Ehe light („Pacs“). Eingeführt wurde sie ursprünglich im Jahr 1999 als Alternative für heiratswillige Homosexuelle, als Vertrag mit sanften Verbindlichkeiten, doch seither machen auch heterosexuelle Paare davon Gebrauch. Die Vertragspartner werden in Erbschafts- und Steuerfragen Verheirateten gleichgestellt, dürfen den Partner im Krankenhaus besuchen, aber der Pacs lässt sich schnell und problemlos auflösen. Ich heirate mich selbst. Ein ganz neuer Trend auf dem Heiratsmarkt ist die sogenannte Sologamie, die Heirat mit sich selbst. Es sind interessanterweise vorwiegend Frauen, die sich in jüngster Zeit selbst das Jawort geben, ein Ritual, mit dem man sich und der Außenwelt signalisiert, dass man sich auch allein zurechtfindet. Die Berufsgruppe der Wedding Planer hat diese neue Zielgruppe bereits entdeckt.
Was wie ein Widerspruch wirkt, ist es bei Horx nicht: Neben der Rückkehr zur Ehe sieht er einen anhaltenden Trend zum Single-Dasein, in verschiedensten Schattierungen. Der Mingle („Mixed“und „Single“) zum Beispiel sieht sich als Single, hat aber immer wieder vorübergehend Beziehungen. So lang, bis er genug hat und sich dann entweder durch „Ghosting“aus dem Staub macht (so nennt man das plötzliche Verschwinden von allen elektronischen Kanälen, indem man den anderen blockiert oder nicht mehr auf seine Nachrichten reagiert) oder plötzlich beschließt, auf „Icing“umzustellen. So beschreibt man es, wenn ein Mensch einem anderen besonders kühl gegenübertritt und ihn stetig abweist. Trotzdem sagt Horx: „Nein, wir werden nicht beziehungsunfähig“, zumindest nicht mehr als bisher. „Aber wir können uns heute mehr Beziehungsängstlichkeit leisten und unsere Partnersuchoperationen hysterisch inszenieren.“ Das Baby, ein Alien. Auch die Entstehung von Familien ist einem Wandel unterzogen. Der Fortschritt bringt vor allem neue Möglichkeiten bei der Erfüllung des Kinderwunschs. Unter „Fertile Fitting“versteht man, die Reproduktionsmedizin so zu nutzen, um sich ein besonders gesundes, kluges oder schönes Kind anzuschaffen. Sich sein Maßkind zu entwerfen – das ist ziemlich gruselig. Horx schreibt von Matthias Horx geb. 1955 in Düsseldorf, ist Autor und Unternehmensberater mit Schwerpunkt Trend- und Zukunftsforschung. Er begann seine Karriere als Journalist (u. a. bei „Tempo“und „Zeit“), gründete 1993 das „Trendbüro“, 1997 das Zukunftsinstitut. Die Mehrheit daran hat er vor einiger Zeit abgegeben. Horx ist mit der britischen Journalistin Oona Strathern verheiratet und lebt mit den gemeinsamen Söhnen in Wien. Er verbringt viel Zeit in Bad Gastein.
Matthias Horx:
Future Love - Die Zukunft von Liebe, Sex und Familie DVA Verlag 338 Seiten einer Bekannten, die Zwillinge aus der DNA ihres Mannes und einer Eispenderin ausgetragen hat und danach ein erschütterndes Geständnis machte: „Irgendetwas an den Babys stimmt nicht. Sie riechen nicht nach mir. Sie haben einen fremden Blick. Sie fühlen sich manchmal an wie Aliens.“Ein Gefühl, das auch schon einen Begriff hat: „Baby Alienation“. Horx erklärt, dass die Tatsache, dass Menschen so ein Gefühl haben, darauf hindeutet, dass wir auch als moderne Hyperindividualisten und Technologieverliebte immer noch Säugetiere bleiben.
Wir fürchten uns doch noch eher vor Klonen und Menschenkopien. Das hat auch seine Gründe, so Horx: „Die Natur klont nicht – und wenn Tierarten identische Kopien ihrer selbst herstel-
Die Ehe gilt »als rebellische, selbstbewusste Alternative zur ewigen Ambivalenz«. »Wir werden nicht beziehungsunfähig«, zumindest nicht mehr als bisher.
len, dann sind sie meist instabil und vom Aussterben bedroht, weil sie in einer Umweltänderung nicht mit Differenz reagieren können.“Schließlich führt jeder Trend zu Gegentrends. Die „Bio-Kinder-Pur-Bewegung“könnte in diesem Bereich ein solcher sein, also der bewusste Verzicht auf jegliche Reproduktionsmedizin. Veganer Sex. Spannende neue Entwicklungen und Begriffe gibt es auch im Themenbereich Sex: Unter der Reboot-Bewegung versteht man den Verzicht auf Pornografie und Masturbation, nicht aus religiösen Gründen, sondern, um das sexuelle Erlebnis nicht mit künstlichen, unechten Bildern zu überlagern. Veganer Sex, sozusagen. Noch weiter und wirklich absurd ist die Teledildonik: Sex ohne direkten physischen Kontakt, was an den traurigen Film „Her“mit Joaquin Phoenix erinnert, in dem sich der Protagonist in ein Betriebssystem mit weiblicher Stimme verliebt. Teledildonik ist der nächste Schritt nach dem Sex mit Plastikpuppen. Der Absatz solcher Puppen, die naturgetreue Geschlechtsorgane haben, steigt in manchen Ländern, etwa in Japan und den USA, rasant.