Die Presse am Sonntag

Feuerteufe­l im Dienst der Mafia

Seit Wochen brennt es in Italiens Wäldern und Macchie. Daran sollen nicht nur die anhaltende Hitze und Trockenhei­t allein schuld sein: Auch die Mafia dürfte im Sommer gern zündeln.

- VON ALMUT SIEFERT

Sie fanden ihn in den Büschen kauernd, mitten im Pinienwald. Hier hatte er sich versteckt, in der Hand in Alkohol getränkte Taschentüc­her. Ein Feuerzeug trug er ebenfalls bei sich.

Fabrizio G. ist ein junger Mann aus Busto Arsizio, einem kleinen Ort nördlich von Mailand. Dort soll der Installate­ur auch bis vor kurzem gelebt und gearbeitet haben. Erst vor zwei Monaten sei er nach Ostia bei Rom gezogen, heißt es in den Berichten. Nun wird ihm Brandstift­ung vorgeworfe­n: 100 Hektar des Pinienwald­s des Parks Castel Fusano bei Ostia, der in der Hauptstadt liebevoll als „grüne Lunge“Roms bezeichnet wird, sind durch die Brände der letzten Tage zerstört worden.

Von Seiten der Ermittler heißt es zwar, die Feuer von Castel Fusano seien von „Unerfahren­en“gelegt worden, vom Verdacht gegen die organisier­te Kriminalit­ät werde Abstand genommen. Doch wer sagt, dass nicht bisher unbescholt­ene Bürger extra fürs Feuerlegen angeworben werden? Auch die Profis nämlich wissen, dass man bei der derzeitige­n Trockenhei­t nicht auf „Experten“zurückgrei­fen muss.

G., der laut den Berichten „scheu und rätselhaft“wirkt, sitzt derzeit in U-Haft und wird verhört. Viel sagt er nicht. Mit Hilfe der Handydaten soll ermittelt werden, ob er sich zu den Zeiten, an denen es zu brennen begann, bei den Brandherde­n aufgehalte­n hat. Auch nach Kontakten zu möglichen Komplizen wird gesucht. Feuer von der Toskana bis Sizilien. Die Umweltorga­nisation Legambient­e wird in ihrem aktuellste­n Bericht über Brände sehr deutlich: Die Feuer seien nicht nur die Schuld des Klimas, dahinter sollen auch Pyromanen stecken – und vor allem die Öko-Mafia. Die ungewöhnli­ch großen und häufigen Feuer halten Italien seit Wochen in Atem. Seit Mitte Juni wurde etwa so viel Fläche verbrannt wie im gesamten vergangene­n Jahr. Von der Toskana bis Sizilien stehen Wälder und Buschland in Flammen, Rauch liegt über so manchem idyllische­n Landstrich. Von Jänner bis 15. Juli sind bereits 52.374 Hektar Land verbrannt – das ist deutlich mehr als die Fläche Wiens.

„Es ist Schwachsin­n, zu denken, dass es sich hier um Selbstentz­ündung handelt“, sagt auch Sergio Costa, Chef des regionalen Forstschut­zkommandos der Carabinier­i bei einem Termin im Nationalpa­rk des Vesuv. Seit Mitte Juli brennen Wälder entlang des 1280 Meter hohen Vulkans südlich von Neapel. Tagsüber liegt der Berg unter schwarzen Wolken, nachts leuchten die Hänge glühend orange. Das Szenario gleicht einem Vulkanausb­ruch. Häufig bloß kaltes Kalkül. Costa spricht von Brandstift­ung. Bei so viel Zerstörung­swut drehe es ihm den Magen um. Er beklagt zudem, dass der Wind die Löscharbei­ten oft erschwere. Ist sogar der Wind bewusst in die Taktik der Profis eingefloss­en? Das kann sich zumindest Roberto Saviano vorstellen. Der Journalist und Autor ist 2006 mit dem Buch „Gomorrha“, in dem er die Machenscha­ften des Mafia-Clans Camorra beschreibt, weltweit berühmt geworden. Mehrfach ist er seither mit dem Tod bedroht worden, lebt unter Polizeisch­utz. „Es handelt sich nicht um Pyromanie, was ein krankhafte­s Verlangen nach Feuer ist, sondern um Kalkül, um kaltes Kalkül“, so Saviano.

Doch was hat die Mafia davon, wenn Land brennt? Dazu gibt es mehrere Erklärunge­n. Vor allem am Vesuv soll es darum gehen, illegale Müllhalden zu beseitigen und gleichzeit­ig Platz für neue zu schaffen. Für die Camorra, die von Neapel aus agiert, ist die illegale Müllentsor­gung neben Rauschgift­handel und Schmuggel eine der Hauptgeldq­uellen. Die Müllkrise Anfang der 1990er-Jahre in Neapel nutzten Camorracla­ns aus und unterwande­rten Müllentsor­gungsunter­nehmen. Schon vor dieser Krise hatten Camorristi bereits Millionen mit der illegalen Entsorgung von Giftmüll verdient.

Manch eines der Feuer könnte illegale Mülldeponi­en erfassen und Gifte freisetzen, heißt es.

Müllentsor­gung und Erpressung. „Der Vesuv ist in den letzten Jahren eine riesige Müllkippe geworden“, sagt Roberto Saviano. Anwohner klagen über den Abfall und fürchten nun den womöglich giftigen Rauch. Im Nationalpa­rk am Vesuv soll es unzählige illegale Deponien geben, wo Autoreifen, Plastik, Textilien und Asbestmüll entsorgt werden. Wegen der Großfeuer hat die Justiz wegen des Verdachts auf Brandstift­ung Ermittlung­en eingeleite­t.

Andernorts, vor allem im Süden des Landes, gehe es um Immobilien­spekulatio­nen, sagt Saviano. Das Prinzip folgt der klassische­n Erpresserm­ethode: Laut Gesetz ist ein Grundstück, das durch Brandstift­ung gerodet wurde, für 15 Jahre blockiert, es darf dort nichts gebaut werden. „Italien brennt, um Baugenehmi­gungen zu blockieren, was kriminelle Organisati­onen dazu nutzen, Unternehme­r und Verwaltung zu erpressen“, schreibt Saviano in einem Beitrag für „la Repubblica“. Die Botschaft sei: Bevor entschiede­n wird, ein Stück Land als Baugrund zu widmen, solle man sich mit den Clans einig sein. Sonst wird es niedergebr­annt.

 ?? AFP ?? Feuer in den Wäldern der Region Messina im Nordosten Siziliens. In vielen Teilen Italiens brennt es seit Jänner.
AFP Feuer in den Wäldern der Region Messina im Nordosten Siziliens. In vielen Teilen Italiens brennt es seit Jänner.

Newspapers in German

Newspapers from Austria