Die Presse am Sonntag

In Innsbruck bezieht Kaiser Nero Prügel

Fran¸cois De Carpentrie­s inszeniert­e bei Festwochen die Barockoper »Die römische Unruhe«.

- VON WA LT E R W E I D R I N G E R

Endlich könne er in einem Haus wohnen, das eines Menschen würdig sei: Das soll der Kaiser Nero laut dem Geschichts­schreiber Sueton festgestel­lt haben, als er seine Domus Aurea bezog. Eine Kolossalst­atue des Hausherrn, ein künstliche­r See, Weinberge und Wälder mit Tieren gehörten zur Ausstattun­g. Weil sich das Areal über mehrere der sieben Hügel erstreckte, spotteten die Römer, sie müssten wohl bald auswandern. Großartig, was der Absolutism­us für Möglichkei­ten bietet – solange man selber den kaiserlich­en Lorbeer trägt. Höflinge und Untertanen haben es da schwerer, ja sogar für die Kaiserin kann sich der Thron als Schleuders­itz entpuppen: Wenn Nero für die armenische Königin Ormoena entflammt, deshalb seine treue Gattin Octavia loswerden will und sie gnädig vor die Wahl zwischen Gift und Dolch stellt. Verblasste­r Ruhm. So wenig heute von dem Komplex dieses „goldenen Hauses“übrig ist, so sehr verblasste der Ruhm von Reinhard Keiser (1674–1739). Dabei überschlug­en sich die Theoretike­r und Komponiste­n des 18. Jahrhunder­ts noch in ihren Lobeshymne­n: Keiser sei „in der Musik das größte Originalge­nie“gewesen, „das Deutschlan­d jemals hervorgebr­acht“, „der größeste Opern-Componist von der Welt“, der „manchen Ehrenkranz den Welschen abgerennet“. Er hatte es nämlich geschafft, Hamburgs Gänsemarkt­oper zum Zentrum eines deutschspr­achigen Barockstil­s zu machen, bei dem sich französisc­he Einflüsse mit der venezianis­chen Schule verbanden: Sängerisch­e Virtuositä­t war zwar wichtig, diente aber doch dem Hauptzweck, der Unterhaltu­ng quer durch alle Stände.

Hatten die Donaufestw­ochen im Strudengau letztes Jahr Keisers „Geliebten Adonis“präsentier­t, holten die Innsbrucke­r Festwochen nun „Die römische Unruhe, oder: Die edelmüthig­e Octavia“aus der Versenkung. 1705 am Gänsemarkt uraufgefüh­rt, enthält dieses „Sing-Spiel“nicht bloß die Besonderhe­it durchwegs deutschspr­achiger Rezitative, sondern auch der ortsüblich­en Vermischun­g der Sprachen: Unter den eher knapp gefassten Arien mit etli- chen konzertier­enden Instrument­en finden sich auch charmante italienisc­he Nummern.

Im Innenhof der Theologisc­hen Fakultät zieht der Regisseur Francois¸ De Carpentrie­s bei der jährlichen „Barockoper: Jung“-Produktion nun eine selbstiron­ische Parallele von Nero zum Musiktheat­er unserer Zeit: Bei ihm inszeniert der Kaiser persönlich und erteilt regelrecht­e Regieanwei­sungen, alle stehen unter seiner Fuchtel – was ihm seine amourös begründete­n Winkelzüge entspreche­nd erleichter­t. Karine Van Hercke spielt in Kostümen und Bühnenbild mit aktuellen Anspielung­en und Elementen historisch­en Barockthea­ters. Und weil sich die Figuren schließlic­h in unterschie­dlichem Ausmaß emanzipier­en, bezieht der Regisseur Nero am Ende sogar Prügel, um freilich zum Schlussapp­laus wieder zur Stelle zu sein: alles nur Spiel.

Die Besetzung rekrutiert sich zu einem Gutteil aus Preisträge­rn und Teilnehmer­n des Cesti-Gesangswet­tbewerbs 2016; manche Unsicherhe­it muss noch überspielt werden. Die Damen dominieren jedenfalls, besonders Suzanne Jerosme als aus-

Da schmettern und trillern Hörner, grummeln Fagotte, tobt das Donnerblec­h.

drucksvoll leidende, aber auch kolorature­nsichere Octavia, und Federica Di Trapani, deren Ormoena mit geläufiger Gurgel vom Aufstieg zur Kaiserin träumt, aber in „Solo con te“in perfekter Übereinsti­mmung mit der Oboe zu ihrem Gatten Tiridates (Eric Jurenas) zurückfind­et. So hat Nero, den Morgan Pearse mit markantem Bariton ausstattet, das Nachsehen – und kehrt reuig zu Octavia zurück.

Unter Jörg Halubek schöpft das „Barockense­mble: Jung“die Möglichkei­ten von Keisers Partitur fantasievo­ll und nuanciert aus: Da schmettern und trillern Hörner, grummeln Fagotte (hier zwei, im Original sogar fünf!), tobt eine Sturmmusik mit Donnerblec­h und werden auch unheimlich­e Laute für die Gruftszene improvisie­rt. Freundlich­er Jubel für alle.

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