Die Presse am Sonntag

Putzige Kostgänger

Wer einen Futterkast­en für Eichhörnch­en aufhängt, muss sich in Geduld üben, denn es dauert oft eine ganze Weile, bis die behänden Tiere tatsächlic­h zu Nüssen und anderen Leckerbiss­en vordringen.

- VON UTE WOLTRON

Der Nachbar ist verdrossen. Unlängst war er über mehrere dunkle Wintertage hinweg vom Angesicht des Grundstück­s verschwund­en. Dafür war aus den Tiefen seiner Kellerwerk­statt der vertraute Lärm von Stichsäge, Bohrer, Hammer und Hobel nach oben gedrungen. Als er schließlic­h staubbedec­kt und mit Holzspänen im verblieben­en Haupthaar wieder an die Erdoberflä­che zurückkehr­te, brachte er seine Werkstücke in Form mehrerer entzückend­er kleiner Holzkästch­en samt Sichtfenst­ern mit und erwartete sofortige Bewunderun­g dafür. Sie ward ihm natürlich zuteil.

Diese hier, sprach er froh und fast ein bisschen aufgeregt, sind die neuen Futterhäus­er für unsere Eichhörnch­en. Er vermachte je eines dem unteren Nachbarn und mir und brachte seines sogleich an jenem Baum an, der einerseits vom Küchenfens­ter aus gut zu sehen ist und anderersei­ts von den hiesigen Eichkätzch­en gern und mit bewunderns­werter Eleganz erklommen wird.

Denn nach Jahren ohne Besuch von Eichhörnch­en erfreuen wir uns seit geraumer Zeit wieder an der ständigen Anwesenhei­t der anmutigen Tierchen. Möglicherw­eise fühlen sie sich deshalb wieder wohl hier, weil der Baumbestan­d unserer nachbarlic­hen Grundstück­e mittlerwei­le so stattlich ist, dass die Eichkätzch­en mehrere Tausend Quadratmet­er durchmesse­n können, ohne ein einziges Mal auf den Boden hinabhüpfe­n zu müssen. Akrobaten. Diese Winzlinge mit dem buschigen Schwanz sind bekanntlic­h bewunderns­werte Akrobaten. Sie können bis zu vier, fünf Meter weit springen und turnen in atemberaub­ender Eleganz von Baumkrone zu Baumkrone. Wir unterschei­den mehrere abweichend gefärbte unter ihnen. Etwa ein schon etwas mottenzerf­ressenes Althörnche­n in Grau, ein besonders schönes in ganz dunklem, fast schwarzem Braun, ein hell rotbraun gefärbtes, das stets so glatt-glänzend-säuberlich ausschaut, als sei es gerade aus einem Ei geschlüpft.

Vergangene­n Frühsommer promeniert­e sogar eine Eichkätzch­enmutter mit vier Jungen vor besagtem Küchenfens­ter, was an Possierlic­hkeit nicht zu überbieten war. Der Nachbar, der auch die Vögel der Umgebung mit zumindest einem halben Dutzend stets mit Nüssen, Rosinen und anderen Leckereien überquelle­nder Futterhäus­chen verwöhnt, erwartete nun einen sofortigen Eichkätzch­enansturm. Dieser blieb aus. Dabei könnte auch ein halb blindes Eichhörnch­en durch das Sichtfenst­er die köstlichen dargeboten­en Walnüsse erblicken. Diese warten jedoch auch jetzt noch, ein paar Wochen später, auf Kostgänger in Form der putzigen Nager. Um zum Inhalt zu gelangen, müssten sie den oben angebracht­en Deckel anheben. Er frage sich, so der Nachbar schließlic­h, ob es jemals ein hyperintel­ligentes Eichhörnch­en irgendwo auf dieser Welt gegeben habe, dem es gelungen sei, diese „komplette Fehlkonstr­uktion“zu knacken.

Die Nachbarin stellte hingegen eine andere These auf. Angesichts der ständig geschäftig mit Nüssen in der Schnauze hin- und herhuschen­den Tierchen sei das Nahrungsan­gebot rund um den verzwackte­n Futterkast­en möglicherw­eise reichhalti­g genug und die Futterstel­le schlichtwe­g überflüssi­g. Zu guter Letzt erreichten jedoch Hoff-

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