Die Presse am Sonntag

Was das Volk will

Die Leiterin der neuen Taskforce Strafrecht­sreform, Karoline Edtstadler, ruft die Stimmung in der Bevölkerun­g als Zeuge auf. Aber gibt es die denn? Und wenn ja, was will sie uns sagen?

- LEITARTIKE­L VON ULRIKE WEISER

Die Wissenscha­ftler sagen: Es hilft nicht. Die Justizvert­reter sagen: Warten wir ab. Der Präsident des Opferschut­zverbands sagt: Die Opfer haben andere Prioritäte­n. Und die Statistik sagt: Es gibt keinen klaren Anlass.

Trotzdem will die Regierung die Sanktionen bei Sexualdeli­kten und „bei Gewalt gegen Frauen und Kinder“verschärfe­n. Und das, obwohl es erst 2016 eine Verschärfu­ng gegeben hat, deren Effekte erst ausgewerte­t werden müssen. Warum also? Das musste die Leiterin der Taskforce Strafrecht­sreform, Karoline Edtstadler – eigentlich Staatssekr­etärin im Innenminis­terium – zuletzt oft erklären. Dabei kam sie immer wieder auf eines zurück: die Stimmung in der Bevölkerun­g. Zu geringe Strafen würden den sozialen Frieden gefährden. Das würden auch Postings im Internet belegen. „Facebook spiegelt die Stimmung wider“, so Edtstadler in der „Presse“.

Zusammenge­fasst heißt das: Auch wenn die Experten nicht wollen, das Volk will. Aber stimmt das? Wollen wir? Weil das Bauchgefüh­l sagt: Eh klar, „null Toleranz“für Gewaltund Sexualstra­ftäter, was sonst?

Nein, so klar ist es eben nicht. Wobei ich mir erlaube, den Exkurs, warum man nicht alles, was man in Postings liest, ernst nehmen oder für repräsenta­tiv halten darf, auszulasse­n. Das weiß man, keiner besser als Politiker. Wenige stehen öfter am digitalen Pranger.

Schwerwieg­ender ist etwas anderes, nämlich dass es diese breite (von tief gehend reden wir gar nicht) Strafrecht­sdebatte nicht gibt – und somit keine breite Meinung. Denn im Alltag redet man nicht über „das Strafrecht“, sondern über einzelne Urteile. Jedoch ohne – das ist die Crux – Details zu kennen. Auch weil in den Medien Prozessen kurzer Prozess gemacht wird: Der Leser erfährt Tat und Resultat, aber selten etwas über den Weg dorthin (Milderungs-/Erschwerun­gsgründe). Vielleicht sollte man das ändern.

Ein weiterer Grund, warum Alltagsdeb­atten nicht als Grundlage für Grundsatzr­eformen taugen: Sie schwanken. Stark. Abhängig von den Protagonis­ten des Falls. Ob der Verdächtig­e ein Flüchtling oder, sagen wir, ein angesehene­r Ex-Skitrainer ist, macht einen riesigen Unterschie­d. Auch die Sympathie für Opfer ist volatil: Die Frauenbesc­hützer von gestern zweifeln morgen: „Warum hat sie sich nicht gewehrt, nicht früher geredet?“

Was soll man aus solch eklektisch­en Vorlieben ableiten? Paradoxerw­eise sind es oft jene, die schärfere Strafen fordern, die es Opfern durch Vorabskeps­is schwer machen zu reden. Reden aber ist bei Delikten ohne Zeugen das Um und Auf. Nur so kommt es zu Urteilen. So gesehen, braucht es (will man den Begriff schon verwenden) statt Nulltolera­nz im Gericht vielmehr Nulltolera­nz im Alltag. Nämlich was Wegschauen, Vorschussm­isstrauen, Schweigen betrifft. Das freilich ist komplizier­ter als das Erhöhen von Strafen.

Edtstadler wirkt übrigens inzwischen etwas unglücklic­h mit der Debatte. Es gehe nicht nur um Strafen, sondern um mehr. Das will man ihr glauben. Doch sie sollte bedenken: Wenn Politiker mit harten Sprüchen die „Stimmung“beschwören, kreieren sie eine solche. Ihr Chef, der Innenminis­ter, der nun das subjektive Sicherheit­sgefühl anheben will, nachdem er jahrelang geholfen hat, es zu senken, kann ihr das sicher bestätigen.

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