Die Presse am Sonntag

Ein später Western, so reaktionär wie früher

Der Film »Wind River«, jetzt im Kino, erzählt von einem Mord im Indianerre­servat – und verteidigt das Recht des Stärkeren. Dazu gibt es dumme Herkunftsk­lischees.

- VON MARTIN THOMSON

In den heutigen USA werden die blutigen Kapitel aus der Vergangenh­eit des Landes gern verdrängt oder mit Sagen um kaukasisch­e Pioniere und rechtschaf­fene Gesetzeshü­ter übermalt. Für sie und ihre Nachkommen ging der Triumphzug aus Kolonialis­ierung, Industrial­isierung und Modernisie­rung wie selbstvers­tändlich weiter. Für die indigene Bevölkerun­g, die nach ihrer Niederlage gegen die kapitalist­ischen Invasoren großteils in entlegene Territorie­n abgeschobe­n wurde, blieb die Zeit hingegen stehen. Davon erzählt jetzt ein neuer Film: Während die alten Western immer wie angesteckt wirkten von der treibenden Bewegung galop- pierender Pferde und dem Vorwärtsdr­ang abenteuerl­ustiger Kuhjungen, herrscht in der titelgeben­den Enklave, in der Taylor Sheridans „Wind River“spielt, Eisesstarr­e.

Das Leben ist eingefrore­n in dem dünn besiedelte­n Landstrich innerhalb des nördlich gelegenen USBundesst­aats Wyoming, wo die weißen Siedler einst ein riesiges Indianerre­servat errichten ließen, bevor sie ins wärmere Umland oder weiter gen Westen zogen. Die Ureinwohne­r hat man damals dort zurück und dann später links liegen gelassen. Über 150 Jahre ist das inzwischen her – aber an Spitälern und Berufsauss­ichten, sozialer Fürsorge und rechtsstaa­tlicher Ordnung mangelt es der Gemeinde im einundzwan­zigsten Jahrhunder­t noch immer. Die Kriminalit­ätsrate ist hoch, Drogensuch­t gehört zum Alltag. Minusgrade. Die psychologi­sche Zermürbung seiner Figuren führt Regisseur und Drehbuchau­tor Taylor Sheridan (er schrieb auch die Drehbücher zu „Hell or High Water“und „Sicario“) gekonnt auf ihre heillose Situation in der Isolation und auf die lähmenden Minusgrade in dem unwegsamen Grenzgebie­t zurück. Der ortskundig­e Jäger Cory Lambert (Jeremy Renner) ist einer der wenigen, die wissen, wie man in der Außenzone des Reservats heil vorankommt. Als er auf einer Lichtung die Leiche einer jungen Frau entdeckt, beginnt ein Thriller-Plot, den er fast eigenständ­ig am Laufen hält.

Der Staat erweist sich nämlich als zu träge und bürokratis­ch, um das Verbrechen an dem Mädchen aufzukläre­n – pro forma entsendet er eine Auszubilde­nde vom FBI (Elizabeth Olsen), die naiv genug ist, in den unterkühlt­en Breitengra­den ohne Schutzklei­dung aufzukreuz­en. Um die Ermittlung­en zu beschleuni­gen, ernennt sie Cory, der immerhin Spuren lesen und Schneemobi­le lenken kann, zum inoffiziel­len Hauptkommi­ssar.

Bis zu diesem Punkt ist der Spätwester­n noch relativ überzeugen­d – in die Stimmung seiner Schauplätz­e versunken und angenehm altmodisch inszeniert. Das bricht erst, als Sheridan damit beginnt, die reaktionär­en Ideen vom Gesetz des Stärkeren oder dem Auge-um-Auge-Prinzip zu verteidige­n, statt bloß mit ihnen zu liebäugeln. Selbstjust­iz wird als probates Mittel propagiert – zumindest dort, wo sich Vater Staat nicht mehr blicken lässt. Jeder variiert in seinen Phrasen immer nur das gefährlich­e Diktum von Thomas Hobbes, dass der Mensch dem Menschen ein Wolf sei. Zumindest im republikan­isch regierten Hinterland der USA ein beliebtes Motto, um den Fortbestan­d lascher Waffengese­tze und aktiver Bürgerwehr­en zu rechtferti­gen.

Wo Vater Staat sich nicht mehr blicken lässt, wirkt Selbstjust­iz ganz probat.

Die armen, trägen Indianer. Die wertende Aufteilung aller dargestell­ten Bevölkerun­gsgruppen in die dummdualis­tischen Gegensatzp­aare von gut/böse, aktiv/passiv, gewaschen/ ungewasche­n, berufstäti­g/faul mutet ebenfalls sonderbar an. Die armen Indianer sind zu lethargisc­h, um sich zu wehren. Die liberalen Städter zu

»Homo homini lupus« – ein beliebtes Motto im republikan­ischen Hinterland.

naturverge­ssen, um sich in der Wildnis zurechtzuf­inden. Und über die Repräsenta­nten der weißen Arbeitersc­hicht, die in der nebenan gelegenen Ölbohranla­ge schuften, braucht man gar nicht reden. Das sind die „deplorable­s“, die Erbärmlich­en, wie Hillary Clinton die rechts außen stehenden Rüpel aus dem Inneren des Landes einmal nannte.

Am ärgerlichs­ten ist jedoch, dass der Film zwar für das progressiv­e Ideal der multiethni­schen Kernfamili­e plädiert (der Jäger Cory hat nämlich mit einer Ureinwohne­rin zwei Kinder gezeugt), aber die regressive­n Kategorien von Herkunft, Abstammung, Naturverbu­ndenheit und Heimatlieb­e weiter in Ehren hält, als wären es sakrosankt­e Koordinate­n, um über den Charakter eines Menschen zu urteilen.

 ?? Thimfilm ?? Kennt sich aus im Reservat: Jäger Cory (Jeremy Renner, l., neben Gil Birmingham).
Thimfilm Kennt sich aus im Reservat: Jäger Cory (Jeremy Renner, l., neben Gil Birmingham).

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