Ein später Western, so reaktionär wie früher
Der Film »Wind River«, jetzt im Kino, erzählt von einem Mord im Indianerreservat – und verteidigt das Recht des Stärkeren. Dazu gibt es dumme Herkunftsklischees.
In den heutigen USA werden die blutigen Kapitel aus der Vergangenheit des Landes gern verdrängt oder mit Sagen um kaukasische Pioniere und rechtschaffene Gesetzeshüter übermalt. Für sie und ihre Nachkommen ging der Triumphzug aus Kolonialisierung, Industrialisierung und Modernisierung wie selbstverständlich weiter. Für die indigene Bevölkerung, die nach ihrer Niederlage gegen die kapitalistischen Invasoren großteils in entlegene Territorien abgeschoben wurde, blieb die Zeit hingegen stehen. Davon erzählt jetzt ein neuer Film: Während die alten Western immer wie angesteckt wirkten von der treibenden Bewegung galop- pierender Pferde und dem Vorwärtsdrang abenteuerlustiger Kuhjungen, herrscht in der titelgebenden Enklave, in der Taylor Sheridans „Wind River“spielt, Eisesstarre.
Das Leben ist eingefroren in dem dünn besiedelten Landstrich innerhalb des nördlich gelegenen USBundesstaats Wyoming, wo die weißen Siedler einst ein riesiges Indianerreservat errichten ließen, bevor sie ins wärmere Umland oder weiter gen Westen zogen. Die Ureinwohner hat man damals dort zurück und dann später links liegen gelassen. Über 150 Jahre ist das inzwischen her – aber an Spitälern und Berufsaussichten, sozialer Fürsorge und rechtsstaatlicher Ordnung mangelt es der Gemeinde im einundzwanzigsten Jahrhundert noch immer. Die Kriminalitätsrate ist hoch, Drogensucht gehört zum Alltag. Minusgrade. Die psychologische Zermürbung seiner Figuren führt Regisseur und Drehbuchautor Taylor Sheridan (er schrieb auch die Drehbücher zu „Hell or High Water“und „Sicario“) gekonnt auf ihre heillose Situation in der Isolation und auf die lähmenden Minusgrade in dem unwegsamen Grenzgebiet zurück. Der ortskundige Jäger Cory Lambert (Jeremy Renner) ist einer der wenigen, die wissen, wie man in der Außenzone des Reservats heil vorankommt. Als er auf einer Lichtung die Leiche einer jungen Frau entdeckt, beginnt ein Thriller-Plot, den er fast eigenständig am Laufen hält.
Der Staat erweist sich nämlich als zu träge und bürokratisch, um das Verbrechen an dem Mädchen aufzuklären – pro forma entsendet er eine Auszubildende vom FBI (Elizabeth Olsen), die naiv genug ist, in den unterkühlten Breitengraden ohne Schutzkleidung aufzukreuzen. Um die Ermittlungen zu beschleunigen, ernennt sie Cory, der immerhin Spuren lesen und Schneemobile lenken kann, zum inoffiziellen Hauptkommissar.
Bis zu diesem Punkt ist der Spätwestern noch relativ überzeugend – in die Stimmung seiner Schauplätze versunken und angenehm altmodisch inszeniert. Das bricht erst, als Sheridan damit beginnt, die reaktionären Ideen vom Gesetz des Stärkeren oder dem Auge-um-Auge-Prinzip zu verteidigen, statt bloß mit ihnen zu liebäugeln. Selbstjustiz wird als probates Mittel propagiert – zumindest dort, wo sich Vater Staat nicht mehr blicken lässt. Jeder variiert in seinen Phrasen immer nur das gefährliche Diktum von Thomas Hobbes, dass der Mensch dem Menschen ein Wolf sei. Zumindest im republikanisch regierten Hinterland der USA ein beliebtes Motto, um den Fortbestand lascher Waffengesetze und aktiver Bürgerwehren zu rechtfertigen.
Wo Vater Staat sich nicht mehr blicken lässt, wirkt Selbstjustiz ganz probat.
Die armen, trägen Indianer. Die wertende Aufteilung aller dargestellten Bevölkerungsgruppen in die dummdualistischen Gegensatzpaare von gut/böse, aktiv/passiv, gewaschen/ ungewaschen, berufstätig/faul mutet ebenfalls sonderbar an. Die armen Indianer sind zu lethargisch, um sich zu wehren. Die liberalen Städter zu
»Homo homini lupus« – ein beliebtes Motto im republikanischen Hinterland.
naturvergessen, um sich in der Wildnis zurechtzufinden. Und über die Repräsentanten der weißen Arbeiterschicht, die in der nebenan gelegenen Ölbohranlage schuften, braucht man gar nicht reden. Das sind die „deplorables“, die Erbärmlichen, wie Hillary Clinton die rechts außen stehenden Rüpel aus dem Inneren des Landes einmal nannte.
Am ärgerlichsten ist jedoch, dass der Film zwar für das progressive Ideal der multiethnischen Kernfamilie plädiert (der Jäger Cory hat nämlich mit einer Ureinwohnerin zwei Kinder gezeugt), aber die regressiven Kategorien von Herkunft, Abstammung, Naturverbundenheit und Heimatliebe weiter in Ehren hält, als wären es sakrosankte Koordinaten, um über den Charakter eines Menschen zu urteilen.