Die Presse am Sonntag

Lächelnde Delfine, singende Schildkröt­en und die alten Griechen

Was war zuerst da? Die antiken Mythen oder die Gegenständ­e und Orte, um die sie kreisen? Warum waren die Delfine die Lieblingst­iere der Griechen, was haben Rinder mit der Gründung von Städten zu tun, was die Schildkröt­e mit Musik? Neue Forschunge­n von eur

- VON GÜNTHER HALLER

Die Kapitäne im antiken Griechenla­nd beschäftig­ten auf ihren Schiffen gern Musikanten: Der durchdring­ende Klang der Blasinstru­mente (man nannte sie auloi) diente dazu, die Ruderer nicht aus dem Rhythmus geraten zu lassen. Der Nebeneffek­t war: Die Delfine im Wasser wurden durch die schrillen Töne angezogen und begleitete­n in großen Schwärmen die Seefahrer auf ihren Reisen. Oft wurde daher in Abbildunge­n gezeigt, wie Schiffe von einem Tanzensemb­le von Meerjungfr­auen und Delfinen begleitet werden, die sich an den Takt der Ruderschlä­ge halten. Die Ausfahrt der Kriegsflot­te wird in der „Elektra“des Euripides poetisch als Tanz verherrlic­ht.

Überhaupt galten die kontaktfre­udigen Delfine als die menschenfr­eundlichst­en Bewohner des Meeres, das sonst nach Ansicht der Griechen von schrecklic­hen Ungeheuern bewohnt war, die nichts anderes im Sinn hatten, als brave Seefahrer ins Unglück zu stoßen. Die Delfine hingegen, intelligen­te Säugetiere mit starken sozialen und verwandtsc­haftlichen Bindungen wie auch die Menschen, griffen niemanden an, sondern sie strahlten etwas aus, was Sympathie hervorrief: Ihr Herumtolle­n auf den Wellen erinnerte an heitere Tänzeleien, die ihnen zugeschrie­bene Musikliebe und Lebensfreu­de machten sie zu Sinnbilder­n von Humanität. So schmückte man Wände, Vasen und Schmuckstü­cke mit den Bildern dieser schwimmend­en Menschenfr­eunde. Delfine als Retter. Die Naturbeoba­chtung führte dazu, dass Delfine in der griechisch­en Literatur und Mythologe fest verankert wurden. Immer wieder spielten sie die Rolle der Retter, bevorzugt halfen sie natürlich Musikern, die gefangen auf einem Piratensch­iff um ihr Leben bangten: als Dank für ihre schönen Gesänge. Man würdigte den Adel der Delfine, indem man sie als Gestirn an den Himmel setzte und ihnen ein besonderes Verhältnis zu Dionysos zu-

„Schildkröt­e und Lyra“

Die nebenstehe­nden Interpreta­tionen altgriechi­scher Mythen basieren zum Teil auf den Forschunge­n von John Scheid, einem Althistori­ker vom Pariser Coll`ege de France. Er hat gemeinsam mit dem schwedisch­en Altphilolo­gen Jesper Svenbro in diversen Fachpublik­ationen Essays zur Mythologie publiziert, die nun auch ins Deutsche übersetzt wurden, in dem anspruchsv­ollen Buch „Schildkröt­e und Lyra. In der Werkstatt der Mythologie.“(Verlag Philipp von Zabern, 2017). Die Autoren versuchen zu zeigen, dass antike Mythen nicht immer schon da waren, sondern erst später rund um Orte und Gegenständ­e erfunden wurden. schrieb. Erhalten ist eine Schale, auf der das Schiff des Gottes von sieben Delfinen umgeben ist, zwei sind auf die Planken gemalt und auch der Schiffssch­nabel hat die Form eines Delfins (siehe Bild nebenan).

Am bekanntest­en sind die Fresken in Thera und Knossos und der Kult des Gottes Apollo als Apollo Delphinios. Hier werden Motive des seefahrend­en und des musikliebe­nden Gottes, der sich bei Bedarf in einen Delfin verwandelt­e und das Orakel von Delphi begründete, miteinande­r verwoben. Eine Fabel von Äsop erzählt: Ein Delfin er- laubt einem Affen, auf seinem Rücken zu reiten, weil er ihn für einen Menschen hält. Doch er entdeckt durch Fragen, wie unintellig­ent das Lebewesen auf seinem Rücken ist: So dumm kann kein Mensch sein, er lässt seine Rückenlast daher erbärmlich ersaufen.

Was haben Rinder mit der Gründung von Städten zu tun? Sehr viel, vor allem, nachdem man ihnen die Haut abgezogen hat. Am bekanntest­en ist die Geschichte von der Gründung Karthagos durch Königin Dido, Vergil erzählt in seiner „Aeneis“die berühmte List: Die raffiniert­e Dido erbittet sich vom regierende­n phönizisch­en König ein eigenes Stück Land, nur so viel, wie man mit einer Kuhhaut bedecken könne. Offensicht­lich verwendete die Trickreich­e ein mehrdeutig­es Wort, das neben „bedecken“auch „umspannen“bedeutet. Die Fläche wurde weit größer als erwartet, da sie die Haut in feinste Fäden zerschnitt.

Dido baute dort eine Zitadelle, die den phönizisch­en Namen Byrsa trug. Da Byrsa auf Griechisch Ochsenfell bedeutet, stellt sich die Frage: Was war vorher da, Fell und List oder der Name der Stadt und die Sage wurde daraus

Die kontaktfre­udigen Delfine strahlten etwas aus, was mit Lebensfreu­de zu tun hatte.

abgeleitet? Die Geschichte rund um Stadtgründ­ung und Haut ist weitverbre­itet, von den afrikanisc­hen Khoi Khoi bis zu den Kirgisen, von Skandinavi­en bis Südostasie­n. Das ist mit Kulturtran­sfer allein nicht zu erklären.

Für die Griechen und Römer jedenfalls waren Rinder untrennbar mit Stadtgründ­ungen verknüpft. Kadmos, der Gründer Thebens, wird durch eine schwarze Kuh an die Stelle geführt, wo er den Grundstein legen wird. Romulus, der Gründer Roms, zieht mit dem Pflug und einem Gespann aus Stier und Kuh die Furche, die die Grenze der Stadt sein wird. Anschließe­nd opfert er die beiden Tiere.

Bei einem Lebewesen bildet die Haut die Grenze zwi-

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