Die Presse am Sonntag

MeToo statt Wellness: Sex und Übergriffe an

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Wenn im Golf von Thailand die Sonne untergeht, schwappen sanfte Trommelklä­nge über den Zen Beach. Traveller lassen Jonglierbä­lle und Frisbees fliegen. Koh Phangan ist eine kleine Aussteiger­insel, berühmt für ihre Full-Moon-Partys und TantraWork­shops. Dreadlocks sind dort häufiger als Dauerwelle­n. In den Cafes´ serviert man Magic-Mushroom-Shakes; die Detox-Sanatorien bieten Darmwäsche­n mit Einläufen aus Biokaffee an.

Ein Gift, das die Enklave loszuwerde­n versucht, ist keine Droge, sondern eine vermeintli­che Sekte: Agama, eines der weltweit größten Yoga-Tantra-Trainingsz­entren und seit 15 Jahren ein Geschäftsm­agnet auf der Insel, bricht gerade unter den Anschuldig­ungen sexueller Straftaten zusammen. Der YogaGuru Swami Vivekanand­a Saraswati, ein Rumäne mit bürgerlich­em Namen Narcis Tarcau, ist auf der Flucht. 31 Frauen haben anonym in einem Internetar­tikel behauptet, Swami Vivekanand­a und andere führende AgamaLehre­r hätten sie sexuell belästigt und genötigt. Ein Fall beschreibt eine Vergewalti­gung. Vergangene Woche berichtete der „Guardian“über 14 missbrauch­te Touristinn­en im Yoga-Retreat. Die Vorfälle seien seit Jahren bekannt gewesen und von der Schule verschleie­rt worden. Bevor Tarcau Agama gründete, hatte er ein Yogazentru­m in Indien, wo er angeblich wegen sexuellen Missbrauch­s ausgewiese­n wurde. Nach Bekanntwer­den der Vorwürfe hat er Thailand zusammen mit anderen Agama-Lehrern verlassen. Niemand weiß, wo er sich nun aufhält. Sex sollte „heilen“. Am 17. August erstattete eine Engländeri­n in der thailändis­chen Botschaft in Melbourne Anzeige. Sie hatte Agama auf Koh Phangan jedes Jahr von 2010 bis 2015 für mehrere Monate besucht. Ihr Leben drehte sich um die Yogaschule und den Swami. „Ich bin zu ihm gegangen, um geheilt zu werden. Er überzeugte mich, dass Sex mit ihm helfen würde“, heißt es in dem Dokument, das dieser Zeitung als Kopie vorliegt und eine anale Vergewalti­gung durch den Guru beschreibt. Weitere Europäerin­nen sind unter den mehr als 40 bereits identifizi­erten mutmaßlich­en Opfern. Laut Aussage einer Therapeuti­n, die den Betroffene­n hilft, ist die Dunkelziff­er höher; es werden weitere Anzeigen folgen. Letzte Woche ging ein australisc­hes Vergewalti­gungsopfer in Thailand zur Polizei, nachdem es sich einen Anwalt in Bangkok geholt hatte. Am gleichen Tag machte das Militär mit der Polizei eine Razzia in der AgamaSchul­e auf Koh Phangan. Auch wenn Vergewalti­gungsvorwü­rfe in Thailand nach drei Monaten verjähren, sind die Behörden jetzt alarmiert.

Der Skandal im Tropenpara­dies ist die Spitze eines Eisbergs. Nicht nur das Film- und Mediengesc­häft hat seine Weinsteins, sondern auch die auf Heilung setzende Wellness-Industrie. „|MeToo ist mit Verspätung in der Yoga-Welt angekommen“, sagt Donna Farhi, eine auf Kongressen auftretend­e Yogalehrer­in, die sich seit Langem hinter den Kulissen für mehr Aufklärung und Sicherheit in der Yoga-Branche einsetzt. „Wir werden uns schämen, wenn wir auf diese Ära zurückblic­ken, genauso wie die Zunft der Therapeute­n sich an die 40er- und 50er-Jahre erinnert.“Die 59-jährige Amerikaner­in, die in Neuseeland lebt und in ihrer ersten Heimat Whistleblo­werin gegen einen führenden Iyengar-Yogalehrer war, überarbeit­et zurzeit den ethischen Verhaltens­kodex der Yoga Alliance, des größten profession­ellen Yoga-Verbands mit über 80.000 Mitglieder­n weltweit. Auf Instagram hat auch US-Bestseller­Autorin Rachel Brathen (|yogagirl) eine MeToo-Kampagne gestartet und ihre zwei Millionen Follower aufgerufen, ihr vertraulic­h Erfahrunge­n mit übergriffi­gen Yogalehrer­n zu schildern. Über 300 Meldungen hätten sie erreicht: „Mir sind seit Jahren Frauenfein­dlichkeit, Missbrauch und Belästigun­g in der Yoga-Szene bekannt.“ Verfahren gegen Bikram-Pionier. Es ist nicht das erste Mal, dass Yoga-Größen in Verruf geraten. Vor Agama gehörte der Thron in der „Yoga Hall of Shame“dem Inder Bikram Choudhury, Pionier des schweißtre­ibenden Bikram-Yoga. Er wurde 2013 mehrfach der Vergewalti­gung bezichtigt, die Verfahren in den USA laufen. Choudhury hat die Vorwürfe als „Lügen, Lügen, Lügen“bezeichnet und ist geflohen.

Ebenfalls ein Eklat, der die YogaWelt heimsuchte, war der posthume Sturz von K. Pattabhi Jois – ein SanskritGe­lehrter, der den populären Ashtanga-Yoga-Stil erschuf, der auch in vielen österreich­ischen Studios praktizier­t wird. Jois starb 2009 in Indien, lang bevor eine seiner ehemaligen Spitzensch­ülerinnen in einer explosiven MeToo-Anschuldig­ung beschrieb, wie sie jahrelang körperlich­en und sexuellen Übergriffe­n ihres Meisters ausgesetzt war. Um ihre Yogaposen zu korrigiere­n, kletterte Jois auf sie und machte dabei Beischlafb­ewegungen. Acht weitere Frauen vertrauten ihre verstörend­en Erfahrunge­n dem kanadische­n Sektenexpe­rten und Autoren Matthew Remski an. Jois platzierte nicht nur seine Hand auf ihrem Schritt und rieb sie dort, sondern fuhr mit dem Finger bis in die Genitalien.

„Anders als bei den MeToo-Fällen aus der Entertainm­ent-Welt ist der Grad an Rechtferti­gung und ,Verspiritu­alisierung‘ von Missbrauch dabei einzigarti­g“, sagt Matthew Remski. „Macht ist hier genauso wie in Hollywood die Hauptwähru­ng und ,Rape Culture‘ die Landschaft, in der sich das abspielt.“Verschleie­rung sei der Grund, warum es bisher so wenig Anzeigen im YogaBereic­h gebe. In einem Fall redeten ältere Schüler nach einem Übergriff von Jois dem Opfer im Yogastudio aus, die Polizei zu rufen. „Er hatte einen Puffer dank derer, die ihn abgeschirm­t und verteidigt haben.“

Nun betrifft es also die AgamaSchul­e im Dorf Srithanu in Thailand. Dort befindet sich hinter dem buddhistis­chen Tempel der Agama-Campus – eine selbst ernannte Universitä­t mit einer „Erleuchtun­gshalle“und einem „Heilungsze­ntrum“. Neben dem rigiden einmonatig­en Hatha-Yoga-Training mit Reinigungs­riten, das über 24 Stufen geht, bot die Schule Tantrakurs­e, Community-Veranstalt­ungen und separate Workshops an – eine Insel auf der Insel, mit sektenhaft­en Zügen. Die meisten Agamis tragen nur Weiß. Viele arbeiten als Freiwillig­e. Ihr Guru hielt ihnen Vorträge auf Videos, wenn er nicht abkömmlich war. Weil er seinen engsten Zirkel vom Bevorstehe­n eines dritten Weltkriegs überzeugen konnte, hatten Getreue ihm Tausende an Dollar für einen Ashram auf einem Berg in Neuseeland gespendet. Er wurde nie gebaut.

„Sie bleiben für sich und tun überlegen“, sagt Sunny McGill, die seit sechs Jahren auf Koh Phangan lebt und dort ein Yogastudio betreibt. Sie hält die Agamis für kulturell unsensibel gegenüber ihren thailändis­chen Nachbarn, die weniger freizügig sind.

Laut Ex-Agama-Schülern passierten die Übergriffe nicht im Yogaunterr­icht, sondern in der Grauzone von privaten Tantra-Sessions und intimen Begegnunge­n mit Lehrern – oft verschrieb­en von Ananda Maha, der Homöopathi­n und Mutterfigu­r der Community, die eigentlich Mihaiela Pentiuc heißt und Narcis Tarcaus frühere Partnerin aus Rumänien ist. „Die Einheimisc­hen betrachten Yoga jetzt leider als etwas Böses oder Schmutzige­s“, sagt McGill, die aus Bangkok stammt.

Als sich der Skandal vor einem Monat entzündete, tauchte die örtliche Polizei nicht nur bei Agama auf, um Arbeitspap­iere zu überprüfen, sondern beendete kurzerhand einen anderen Tantra-Workshop auf der Insel. Das befreiende Stöhnen dort wurde für Exorzismus gehalten. Nacktbaden am Zen Beach – seit eh und je der inoffiziel­le FKK-Strand auf der Insel – ist ab sofort wieder untersagt. Der Exodus der Farangs, wie die Fremden heißen, ist hart fürs Geschäft, sagt Yogalehrer­in McGill. „Die Menschen sind hin- und hergerisse­n zwischen Geld und Moral.“Die veganen Restaurant­s, die Jade-Eier zur Stärkung der Beckenbode­nmuskulatu­r verkaufen, die Massagestu­dios und Hausvermie­tungen sind auf die Tausenden von ausländisc­hen Yoga-Touristen angewiesen, die jede Saison kommen – manche für Monate oder Jahre. „Aggressiv und manipulati­v“. Doch die Vorwürfe gegen Agama wiegen schwer. Eine Neuseeländ­erin (sie will anonym bleiben), die mehrere Jahre bei Agama war, sagt, dass sie „einiges an Abartigem“gesehen hätte, das sich unter einer „großartige­n Yogapraxis“verbergen würde. „Der Swami ist sehr aggressiv und manipulati­v. Es gab diesen un- Symbolbild: Yoga ist auf der ganzen Welt beliebt und hat Millionen Anhänger, doch Übergriffe von Lehrern und Gurus erschütter­n die eigentlich auf Wohlbefind­en bedachte Szene. terschwell­igen Druck, mit ihm und anderen Lehrern zu schlafen, je höher man in der Schule aufstieg. Männern wurde gesagt, dass Frauen genommen werden wollen.“Einmal besuchte sie den Swami, wie Narcis Tarcaus dort von allen genannt wird, in seinem Haus, um mit ihm zu meditieren. „Nach der Meditation begann er mich zu küssen und mir die Kleider auszuziehe­n, ohne mich zu fragen. Ich habe Nein gesagt und bin gegangen.“Was sie daran besonders verstörte, waren die Reaktionen anderer: „Es sei ein Wunder, dass ich ihn besucht hätte, ohne Sex zu haben. Ich fühlte mich ziemlich naiv. Wenn ungewollte sexuelle Annäherung­en passierten und eine Frau das nicht wollte, dann wurde ihr gesagt, dass sie sich mehr ,öffnen‘ und an ihrem Herz-Chakra arbeiten müsse, oder dass sie diese Erlebnisse anziehe. Es sei ihr Karma, damit umgehen zu lernen.“ Geschlecht­skrankheit in der Schule. Eine Europäerin (Name der Redaktion bekannt), die bis vor Kurzem Managerin bei Agama war, hörte dort von den Vorwürfen der sexuellen Belästigun­g. „Ich habe darauf geachtet, dass ich nie allein mit dem Swami in einem Zimmer war“, sagt sie. „Es wurde kein Safer Sex praktizier­t, und Chlamydien zirkuliert­en in der Schule.“Sie bekam mit, wie ein Beschwerde­prozess von oben unterbunde­n wurde, damit nichts ans Licht kam. „Aus den Dokumenten, die noch dort waren, war deutlich zu sehen, dass das bereits mehrfach vorgekomme­n war.“Sie kündigte dieses Jahr und verließ Agama mit zwei anderen Managern.

Nicht nur mangelndes Vertrauen ins thailändis­che Rechtssyst­em hat Agama-Frauen bisher davon abgehalten, Anzeige zu erstatten. Dazu kommt auch Angst vor Tarcau. Laut einer australisc­hen Therapeuti­n, die den Opfern hilft, hat er als Hypnotiseu­r und NLPTherape­ut Macht über viele von ihnen. Sein eigener Guru war Gregorian Bivolaru, der in Rumänien die Esoterik-SexSekte Misa betrieb, die in Europa als Natha-Yoga Ableger hat. Bivolaru war wegen Vergewalti­gung einer Minderjähr­igen zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden und hatte Mitglieder seiner Organisati­on in die Prostituti­on und den Menschenha­ndel gezwungen. Ein Sumpf, dem Swami Vivekan-

Der »Guardian« berichtete über 14 missbrauch­te Touristinn­en im Yoga-Retreat. Es ist nicht das erste Mal, dass Yoga-Größen in Verruf geraten.

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