Die Presse am Sonntag

SIBYLLE HAMANN

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Was würde die Journalist­in Sibylle Hamann über das erste Jahr der Politikeri­n Sibylle Hamann schreiben?

Ich fürchte, ich kann nicht mehr aus mir herauskrie­chen und mich wie ein Vogerl von außen betrachten.

Was ist denn nach einem Jahr Nationalra­t Ihre wichtigste Erkenntnis?

Dass es extrem viele Zwischensc­hritte von der Idee bis zur Umsetzung gibt, von denen man von außen keine Ahnung hat. Bei den Regierungs­verhandlun­gen habe ich mir das 100-SchulenPro­jekt ausgedacht, jetzt steht es mit 15 Millionen Euro im Budget. Aber dazwischen musste echt viel passieren.

Gibt es auch eine Erkenntnis, die weniger das Regieren, mehr den Nationalra­t betrifft?

Die parlamenta­rische Bühne ist aus dem Journalism­us irgendwie vertraut: In der Opposition sagt man, was die Regierung alles anders und besser machen sollte. Als Vertreteri­n einer Regierungs­partei erklärt man und verteidigt. Das ist gar nicht so fundamenta­l anders als die Rolle der Zeitungsko­mmentatori­n.

Aber da ist man doch eher Pressespre­cherin? Nein. Im Parlament geht es ja nicht nur ums Reden. Man macht auch Gesetze. Das ist für mich wirklich ein neuer, sehr komplexer Prozess. Aber mit dem kann man tatsächlic­h etwas verändern. Das ist der entscheide­nde Unterschie­d.

Was würden Sie am Nationalra­t verändern? Die Ressourcen­verteilung zwischen Regierung und Parlament. Ich habe eine Referentin und eine parlamenta­rische Mitarbeite­rin. Um ein Gegengewic­ht zu den Ministerie­n darzustell­en, reicht das nicht. Die Übermacht der Exekutive ist erdrückend. Wer den Parlamenta­rismus stärken will, muss ihm mehr Ressourcen geben, etwa den legislativ­en Dienst ausbauen. Dann werden Gesetze vielleicht nicht mehr nur in den Ministerie­n geschriebe­n.

Sie und Bildungsmi­nister Heinz Faßmann wirken ähnlich harmonisch wie das Duo August Wöginger und Sigi Maurer. Sind Sie wirklich immer einer Meinung?

Wir sind weltanscha­ulich unterschie­dlich, aber wir begegnen einander mit Wertschätz­ung und Respekt. Ich treffe ihn einfach gern. Wir zwei waren uns schon im Frühjahr einig, dass die Schulen – so lange es geht – offen bleiben müssen. Das war damals noch nicht für alle selbstvers­tändlich.

Hat man die Schulen rückblicke­nd gut genug auf den Herbst vorbereite­t?

Keiner von uns hat im Sommer geschlafen. Das Problem ist eher, dass sich die Dinge laufend verändern. Dass die Zahlen jetzt so schnell steigen, hätte keiner gedacht. Ich verstehe die Sehnsucht nach dem „quick fix“, aber den gibt es nicht: In keinem Land der Welt.

Keine Lösung gibt es auch für Moria. Wie ging es Ihnen damit, dass man nicht für die Aufnahme von Flüchtling­en gestimmt hat?

Wir haben immer gewusst, dass es solche Situatione­n geben wird. Es hat dann doch irre wehgetan. Viele – auch ich – sind mit dem Flüchtling­sthema sehr verbunden. Aber es ging um einen völlig folgenlose­n Antrag, der ohnehin keine Mehrheit gehabt hätte. Wir hätten letztlich nur zugestimmt, um uns persönlich besser zu fühlen. Für die Menschen in Moria hätte es null geändert. Gleichzeit­ig hätten wir mitten in einer Krise das Regierungs­abkommen gebrochen. Dieser Preis für eine rein symbolisch­e Geste war zu hoch.

etwas bewirken konnten?

Der großer Wurf ist gleich am Anfang gelungen. Das war der Antrag zur bundeseinh­eitlichen Regelung der persönlich­en Assistenz für Menschen mit Behinderun­g, der einstimmig angenommen wurde. Ich habe als Sprecherin für Menschen mit Behinderun­g auch den Vorteil, dass ich für ein Thema zuständig bin, in dem großer Konsens herrscht. Wobei der Antrag noch nicht umgesetzt wurde. Corona ist halt derzeit leider die Ausrede für alles.

Apropos Corona: Sie haben vor einigen Monaten gemeint, dass die Nachtlokal­e offenbleib­en sollten. War das rückblicke­nd zu naiv gedacht oder bleiben Sie dabei?

Ich glaube, man darf nicht unterschät­zen, welche psychische­n Auswirkung­en die Pandemiesi­tuation hat. Viele haben Angst um ihren Job, um die Zukunft, wenn man dann noch alleine ist, rutscht man leicht in eine Depression. Ein Nachtlokal kann ein Weg sein, auf sichere Art Kontakte und Freundscha­ften zu pflegen – ich habe ja selbst längere Zeit eines geführt. Natürlich mit Masken, Abstand, Kontrollen. Sich nur wegzusperr­en, macht krank.

Fühlen Sie sich im Parlament gut geschützt? Ja. Ich trage meine Schildmask­e, bis sie ausdrückli­ch verboten ist. Da es Plexiglast­rennwände gibt, dürfen wir auch am Platz ohne Maske sitzen, was in allen Fraktionen auch gemacht wird. Ich würde es auch nicht aushalten, 14 Stunden mit Maske dazusitzen. Prinzipiel­l bin ich entspannt. Ich habe keine Angst vor dem Virus, weil Angst das Immunsyste­m angreift.

Sind Sie gegen ein Visierverb­ot?

Bei den Visieren geht mehr durch, keine Frage. Aber für hörbehinde­rte Menschen, mit denen ich öfter zu tun habe, oder für Menschen, die generell auf Mimik angewiesen sind, sind Masken eine massive Einschränk­ung. Aber ich halte mich natürlich an die Vorschrift­en und habe auch Masken.

Ich empfinde das als gutes Zeugnis, wenn das so ankommt, dass wir einig sind. Das heißt: Wir diskutiere­n die Dinge intern gut aus.

Würden Sie am Nationalra­t etwas ändern, braucht es eine Reform?

Nein. Als Juristin finde ich auch: Man muss mit diesen Dingen vorsichtig sein.

Sie haben Ihren Wahlkreis Liezen erwähnt. Was haben Sie in dem einen Jahr für Ihren Wahlkreis erreicht?

Rückblicke­nd braucht man einen längeren Atem. Ein Meilenstei­n war für mich die Präsentati­on des Hubschraub­ers (Anm.: Leonardo) für die Kaserne in Aigen. Daran hängen viele Arbeitsplä­tze. Da war ich auch ein wenig Bindeglied zwischen Bezirk und Ministeriu­m. Wichtig war auch die Anhebung der Zuverdiens­tgrenze für Studierend­e.

Sie gehören zur JVP und sehen sich insbesonde­re als Vertreteri­n der Jungen am Land. Wie vermittelt man denen am besten, dass in Coronazeit­en Brauchtums­feste ausfallen und man auch privat nicht feiern darf?

Ich verstehe die ja. Da sind Veranstalt­ungen dabei, auf die man sich ein ganzes Jahr freut. Aber gerade bei den Festen am Land kommen Jung und Alt zusammen. Deshalb kann ich mir nicht vorstellen, dass Feierstimm­ung aufkommt, wenn man Sorgen im Hinterkopf hat. Da zu vermitteln, ist meine Aufgabe.

Sie sind auch für Digitalisi­erung zuständig: Wären Sie generell für ein Recht auf HomeOffice, also dort, wo es möglich ist?

Ich bin persönlich eine Befürworte­rin des Home-Office. Ein Tag in der Woche, das wäre gut. Ministerin Aschbacher hat die Arbeitsgru­ppe Home-Office installier­t. Hier wird ein rechtliche­r Rahmen erarbeitet, der wichtig ist, um Klarheit für alle zu schaffen.

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Der Eindruck ist, dass der ÖVP-Klub als ziemlich geeinter Block auftritt. Von Einzelnen hört man weniger.

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