Die Presse am Sonntag

Anschober: »Es geht jetzt um alles«

- VON UlRIkE WEISER

Gesundheit­sminister Rudolf Anschober glaubt nicht an die 5-Tage-Quarantäne. Und dass Vorarlberg beim Contact Tracing teilweise aufgebe, sei ein »Missverstä­ndnis«. Das Land setzte bloß »klare Prioritäte­n«.

Wenn Grün für unwahrsche­inlich und Rot für sehr wahrschein­lich steht: Wo auf der Ampel-Skala ordnen Sie aktuell das Risiko für einen zweiten Lockdown ein?

Rudolf Anschober: Das entscheide­n wir alle. In den nächsten drei bis vier Wochen werden die Weichen für die Zukunft gestellt. Es geht jetzt um alles. Wir müssen die Peaks der Ausbreitun­g wegbekomme­n und die Zahlen stabilisie­ren. Ein Lockdown ist nach wie vor sehr unwahrsche­inlich – wenn die 20 Prozent, die salopp mit dem Thema umgehen, mitmachen. Jetzt muss jeder ein Teil der Lösung sein, dann können wir es ohne Lockdown schaffen.

Wenn es jetzt um alles geht: Reichen da die neuen bundesweit­en Maßnahmen? Maßnahmen schlagen sich immer erst nach zwei bis drei Wochen in der Statistik nieder. Wir kontrollie­ren täglich präzise. Schwerpunk­t bleiben derzeit aber die regionalen Zusatzmaßn­ahmen in Gebieten mit höherem Risiko.

In den nächsten zwei Wochen kommen also keine neuen Bundesrege­ln?

Die Pandemie ist extrem dynamisch. Wir haben etwa in Tschechien gesehen, wie schnell sich die Lage dramatisch ändern kann.

Die aktuelle Verordnung tritt später in Kraft als angekündig­t. Warum macht man denn nicht erst die Verordnung fertig und gibt dann die dazugehöri­ge Pressekonf­erenz? Der Entwurf war ja schon fertig, aber es sind bei der Bearbeitun­g der Details mit Verfassung­sdienst und externen Experten weitere Fragen entstanden. Auch die Abstimmung mit dem Koalitions­partner kann zeitintens­iv sein. Aber entscheide­nd ist nicht, ob die

Rudolf Anschober

(59) ist Gesundheit­sund Sozialmini­ster für die Grünen. Zuvor war er (seit 2003) Landesrat in Oberösterr­eich.

Verordnung einen Tag später fertig ist, sondern dass sie präzise ist und wirkt.

Die ÖVP hat den Verordnung­sentwurf vorab ihren Landespoli­tikern geschickt. Haben Sie das auch gemacht?

Unser Abstimmung­sprozess findet vorrangig mit externen Fachexpert­en statt. Aber natürlich werden auch Grüne einbezogen.

Ein Indikator für die Bewertung der Pandemiela­ge ist die Auslastung der Intensivbe­tten. Österreich hat relativ viele, aber es braucht auch das nötige Pflegepers­onal. Droht bald ein Pflegemang­el in den übrigen Spitalsabt­eilungen?

Derzeit sieht es nicht so aus. Aber es stimmt: Thema sind weniger die Betten, sondern vielmehr die spezialisi­erten Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r. Auch deshalb müssen wir das Gesundheit­ssystem vorrangig schützen.

Ein anderer Indikator für die Beurteilun­g der Lage ist das Contact Tracing. Seit Monaten hören wir, dass es schneller gehen muss. Warum wird es nicht schnell genug? Es fehlt in einigen wenigen Bundesländ­ern noch immer ausreichen­d Personal. Viele aber machen es bereits vorbildlic­h, einige müssen massiv aufstocken. Wobei ich mir erwarte, dass auch die neuen Antigen-Tests, die auch niedergela­ssene Ärzte durchführe­n können, zu einer Beschleuni­gung führen.

Vorarlberg gibt gerade das vollumfäng­liche Contact Tracing auf. Sie schaffen es nicht mehr. Werden andere Bundesländ­er folgen?

Nein, das ist ein Missverstä­ndnis. Vorarlberg macht es hervorrage­nd und setzt klare Prioritäte­n. Personen der

Kategorie 1 (Anm.: enger Kontakt) werden weiter abgesonder­t. Nur die zusätzlich­en direkten Befragunge­n der K1- und K2-Personen (Anm.: K2 heißt: weniger enger Kontakt) werden aufgrund der stark gestiegene­n Fallzahlen reduziert. Für Länder, bei denen Überlastun­g droht, haben wir eine Taskforce, die unterstütz­end eingreifen kann.

Sie haben die Antigen-Tests erwähnt. Die wurden angekündig­t, bevor manche Ärzte wussten, wie sie an die Tests kommen. Hätten wir keine Pandemie, hätten wir viel Zeit. Aber jetzt geht’s ums Tempo. Es gibt seit Donnerstag die Möglichkei­t per Verordnung für alle niedergela­ssenen Ärzte. Die Tests sind da, viele Ärzte werden schrittwei­se einsteigen.

Die Antigen-Tests könnten auch beim Freitesten aus der Quarantäne eine Rolle spielen. Wie stehen Sie zur Forderung, die Quarantäne auf 5 Tage zu verkürzen?

Ich nehme das sehr ernst, wobei ich nicht glaube, dass fünf Tage reichen. Laut unseren Experten ist das deutlich zu früh. Wir arbeiten an Erleichter­ungen, aber die müssen wissenscha­ftlich abgesicher­t sein – und am besten europäisch einheitlic­h. Ich will die beste Lösung, aber ich bin nicht bereit, ein hohes Risiko einzugehen.

In Österreich veröffentl­ichen das Innenund das Gesundheit­sministeri­um bzw. die Ages parallel Coronazahl­en. Das hat öfter zu Verwirrung und Fehlern geführt. Reicht nicht eine Stelle?

Künftig werden zum selben Zeitpunkt dieselben Zahlen veröffentl­icht. Hauptquell­e bleibt das Ages-Dashboard.

Experten sagen: Generelle Appelle reichen nicht, um die Menschen zum Mitmachen zu motivieren, man muss sie konkret – ob über Influencer oder die Pfarre – ansprechen. Genau daran arbeiten wir. Wir wollen mit Communitie­s – egal ob Kirchen oder Migranten – noch enger zusammenar­beiten. Wir erreichen manche Gruppen nicht über das ganzseitig­e Inserat.

Sie haben die Menschen gebeten, in den Herbstferi­en nicht zu verreisen. Meinten Sie da das Ausland oder Österreich?

Es geht vor allem darum, soziale Kontakte deutlich zu reduzieren. Ein Drittel weniger Kontakte halbiert das Infektions­risiko.

Das heißt: Es geht eher um das Verhalten als um das Verreisen per se?

Es geht um beides.

Werden Sie auch in den Weihnachts- und Energiefer­ien appelliere­n, nicht zu verreisen? Lieber kein Skiurlaub?

Die Dynamik der Pandemie ist derzeit in ganz Europa enorm. Gelingt es uns, die Infektions­zahlen zu stabilisie­ren, dann haben wir zu Weihnachte­n wieder viele Möglichkei­ten.

Müsste man eigentlich nicht schon jetzt den Menschen ehrlicherw­eise sagen: Bitte zu Weihnachte­n keine großen Familientr­effen, keine Mette?

Schauen wir einmal, wo wir Mitte, Ende November stehen. Meine These ist: Wenn wir in den nächsten Wochen die Stabilisie­rung schaffen, kann es Ende November gut aussehen und wir können halbwegs entspannte Weihnachte­n und – warum auch nicht? – Weihnachts­märkte haben.

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