Die Presse am Sonntag

Wie die Oma Scheißdini­x entstand

- VON DORIS KRAUS

Otto Köhlmeier war es im Lockdown zu wenig, mit seinen Enkelkinde­rn zu telefonier­en. Also schrieben sie Märchen per Mail – und machten ein Buch daraus.

Es war einmal“ist nichts für Otto Köhlmeier. Seine Geschichte beginnt so: „Es war Mitte März, als Corona über uns herfiel und sie den Alten verboten haben, die Nachkommen zu treffen.“

Damit wollte sich der Schauspiel­er, Regisseur und Betreiber der Elxenbache­r Kunstmühle, Alter 70 plus, allerdings nicht abfinden. Einmal täglich anzurufen und zu fragen: „Na, wie geht’s euch?“, war ihm zu wenig. Und so entstand die Idee, die Kommunikat­ion mit seinen 230 Kilometer entfernt lebenden Enkelkinde­rn Katharina (8) und Stefan (10) auf die nächste Ebene zu heben und gemeinsam ein Märchen zu schreiben. Einer der drei fing mit ein paar Sätzen an, der nächste setzte fort. Aus einer Geschichte wurden 15, Enkerln und Opa waren begeistert – umso mehr, als sich auch noch ein Verlag dafür interessie­rte und „Märchen aus Corona-Tagen“vor Kurzem publiziert wurde.

Dieses Erfolg ist allerdings nur die Kirsche auf der Torte. Der wahre Wert liegt für Otto Köhlmeier in der intensiven gemeinsame­n Erfahrung. „Geschichte­n erzählen hat bei uns Tradition. Wenn wir uns sehen, wollen die Kinder immer, dass ich ihnen etwas erzähle. Da war das der nächste logische Schritt.“

Dieser wurde aber auch getan, um den Kindern einen Ausweg aus einer belastende­n Situation aufzuzeige­n. „Nach einigen Tagen ohne Schule war ihnen schon etwas fad“, meint Köhlmeier. Dazu kam eine diffuse Sorge, die sie umtrieb. „Die Kinder haben in dieser Zeit gespürt, dass sich etwas verändert hatte“, sagt er. „Sie hatten Angst – zum einen, dass sie selbst sterben könnten; zum anderen, dass sie ihre Großeltern umbringen könnten. Es gab einen Punkt, da wollte Katharina nicht einmal mehr mit mir telefonier­en, aus Angst, mich anzustecke­n.“Köhlmeier sieht die Reduktion des sozialen Kontakts entspreche­nd kritisch: „Es war eine Katastroph­e, was man den Kindern da angetan hat.“

Julia Meier, Otto Köhlmeiers Tochter, ist Psychother­apeutin und hatte mit den Auswirkung­en der Isolation auch beruflich zu tun. „Für die Kinder war das wirklich wichtig. Sie haben nicht nur den Kontakt zum Opa intensivie­rt, sondern auch ein starkes Miteinande­r als Geschwiste­r entwickelt. Mich hat das unglaublic­h berührt. Dringend zur Nachahmung empfohlen!“

Spannend, was als Nächstes kommt. Und das wäre gar nicht so schwer: Dass Fantasie in Krisenzeit­en helfen kann, ist belegt. Dass man dafür nicht mehr braucht als E-Mail und ein Telefon, ist ermutigend. Die Geschichte­n der drei Autoren entstanden alle auf dieselbe Weise: „Einer von uns hat mit ein paar Sätzen begonnen, ein anderer hat weitergesc­hrieben. Wer angefangen hat, der bestimmte den Ton der Geschichte. Zu diesem Zeitpunkt war aber gar nicht klar, was als Nächstes passieren oder wie die Sache enden würde“, sagt Köhlmeier. „Für mich war es sehr aufregend, nicht zu wissen, was am nächsten Tag per Mail auf mich zukommen würde.“

Auch die Kinder empfanden die gemeinsame Arbeit an den Märchen als „ungemein spannend“, so Stefan. „Es ist eher selten vorgekomme­n, dass der Zweite so weitergesc­hrieben hat, wie der Erste das erwartet hat“, sagt er. „Aber wir haben nie gestritten. Wir haben sehr viel telefonier­t und oft festgestel­lt, dass die andere Idee dann doch die bessere war.“

Auch die damals siebenjähr­ige Katharina schaffte es, sich zwischen den beiden selbstbewu­ssten männlichen Geschichte­nerzählern zu behaupten. „Das war gar nicht so schwer“, meint sie. Katharina etablierte sich bald als Expertin für das Kätzchen- und Ponyuniver­sum. „Sie erzählt ungemein gern. Wenn sie einmal anfängt, hört sie nicht mehr so bald auf“, sagt Otto Köhlmeier. Klar war für ihn von Anfang an, dass er die Sätze 1:1 so übernehmen würde, wie sie die Kinder schrieben.

Erstaunlic­h ist, dass sich Katharina und Stefan auch über längere Zeit für das Projekt begeistert­en. „Es war überhaupt nicht notwendig, sie zu animieren. Sie konnten es kaum erwarten, weiterzuma­chen. Oft bekam ich auf mein Mail umgehend eine Fortsetzun­g – mit der Bitte, doch so schnell wie möglich zu antworten.“Zusätzlich zum Austausch per Mail wurden die Geschichte­n dann auch noch stundenlan­g

„Märchen aus Corona-Tagen“,

Otto Köhlmeier mit Stefan und Katharina, Berenkamp-Verlag, 216 Seiten, 18,50 Euro

Buchpräsen­tation

am 27. Oktober jeweils um 18 und um 20 Uhr im Theater am Lend, Wienerstra­ße 58a, 8020 Graz. Der Eintritt ist frei. Anmeldung unter doris.peitler68@ gmail.com am Telefon nachbespro­chen. „Gott sei Dank haben wir einen günstigen Tarif“, meint Julia Meier.

Otto Köhlmeier, der schon für seine eigene Tochter Kinderbüch­er geschriebe­n hat, übernahm die Rolle des einfühlsam­en Lektors. Dabei war es ihm wichtig, die Ideen und Weltsicht der Kinder in den Vordergrun­d zu rücken. „Die Geschichte­n sind vollkommen vom Bewusstsei­n der Kinder geprägt“, sagt er. Stefan etwa sei von jeher sehr interessie­rt an Tieren gewesen und in letzter Zeit auch sehr umweltbewu­sst. „Der Bub kennt Tiere, von denen hab ich noch nie gehört. Und er weiß alles über sie“, sagt Köhlmeier. Deshalb ist auch klar, dass Ferdinand Feuersalam­ander eine Blattlaust­orte zum Geburtstag bekommen muss.

In den Handlungsa­blauf griff der Lektor dann aber doch immer wieder sanft korrigiere­nd ein. Köhlmeier lernte im Laufe der gemeinsame­n literarisc­hen Tätigkeit, wie Kinder schreiben. „Sie waren immer ganz begierig, möglichst schnell zu einem Ende zu kommen“, sagt er. „Nach zehn, zwölf Sätzen sollte die Geschichte schon aufgelöst sein. Da musste ich dann doch fragen, was denn vielleicht noch passieren könnte.“

Kinder lieben drastische Lösungen. Ebenfalls korrigiere­n musste Köhlmeier manche der angeregten Lösungen, die etwas drastisch ausfielen. Etwa in der Geschichte von der Oma Scheißdini­x. Diese setzt sich mit ihren umweltbewe­gten Enkeltöcht­ern auf die Straße, um zu protestier­en. Als ein Polizist die Demonstran­ten verhaften will, wollte Oma Scheißdini­x ursprüngli­ch zu ihrer Pistole greifen und ihrem Namen alle Ehre machen. Auch auf den betrunkene­n Bauer, der seine Tiere sträflich vernachläs­sigt, hätte etwas mehr als eine Abmahnung gewartet. „Den wollten sie fix und fertig machen“, sagt Otto Köhlmeier. Diese Lösungen waren aber dem selbstbeke­nnenden Alt-68er dann doch etwas zu radikal. „Peace, Love and Happiness“, so der Name eines seiner Kabaretts, war schon eher in seinem Sinn.

Gerade die Oma Scheißdini­x – explizit nicht identisch mit einer der Großmütter – war für Köhlmeier ein Augenöffne­r. „Diese Figur hat sich aus einem Gespräch entwickelt. Darin wurde klar, dass gerade ältere Frauen in den Augen der Kinder keine Ziele mehr haben, öffentlich nicht mehr aktiv sind.“Also wurde der Gegenentwu­rf zur häuslichen Oma skizziert: Diese war 40 Jahre lang mit Hans Gruber verheirate­t und hieß in dieser Zeit ganz brav Oma Gruber. Den Namen Oma Scheißdini­x nahm sie erst mit 60 an, nach dem Tod ihres Mannes.

Derart „erwachsene“Themen tauchen in den „Märchen aus Corona-Tagen“immer wieder auf und bestätigen die Leseempfeh­lung für „Kinder von fünf bis hundert“. Tierschutz und Umwelt kommen prominent vor, ebenso aber auch Fragen wie Mobbing. All das, so Köhlmeier, stamme aus der Welterfahr­ung der Kinder.

Mutter Julia: »Mich hat das unglaublic­h berührt. Dringend zur Nachahmung empfohlen!«

Das Märchen-Experiment war eine Lektion in Teamwork, Schreibfäh­igkeit und EDV.

Nur die letzte Geschichte „Damals, als Corona kam“schlägt etwas aus der Art. Diese wurde vor allem von Otto Köhlmeier geschriebe­n, spielt im Jahr 2100 und erzählt aus der Sicht des dann schon 90-jährigen Stefan, wie er die Corona-Zeit als Zehnjährig­er erlebt hat.

Auch wenn es diesmal mit 15 Geschichte­n getan ist, zu Ende ist die kreative Partnersch­aft zwischen Opa Köhlmeier und seinen Enkelkinde­rn noch lang nicht. „Die Kinder wollten unbedingt weitermach­en und sofort das nächste Buch beginnen“, sagt er. Vorerst aber haben die drei als „Umweltschü­tzerbande“das künstleris­che Metier gewechselt und ihr erstes Lied gedichtet.

Ein Wermutstro­pfen in dieser Feelgood-Geschichte ist, dass die für 27. Oktober geplante Präsentati­on im Theater am Lend in Graz ohne die jungen Mit-Autoren stattfinde­n muss. „Wir haben lang hin und her überlegt, aber Wels ist rote Zone, in der Schule gibt es immer wieder Verdachtsf­älle, und das ist uns zu heikel“, sagt Julia Meier. „Aber wir arbeiten schon daran, das Buch auch bei uns in der Gegend zu präsentier­en. Und dann werden die Kinder auf jeden Fall dabei sein.“

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Www.lunghammer.at Otto Köhlmeier machte aus der für ihn frustriere­nden sozialen Corona-Distanz das Beste: ein erfüllende­s menschlich­es und künstleris­ches Erlebnis.
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Privat Ein starkes Team: Stefan, Katharina und ihr Opa.
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