Die Presse

Die Spanier lässt die politische Dauersiest­a kalt

Analyse. Premier Rajoy findet keine Partner, eine dritte Parlaments­wahl seit Dezember wird immer wahrschein­licher.

- Von unserem Korrespond­enten RALPH SCHULZE

Es ist glühend heiß in Madrid, bei annähernd 40 Grad im Schatten bewegen sich die Menschen so wenig wie möglich. Das gilt auch für die Spitzenpol­itiker Spaniens, die seit Monaten um eine neue Regierung ringen – und sich bisher keinen Millimeter aufeinande­r zubewegten. Das musste sogar König Felipe verbittert feststelle­n, der am Donnerstag seine Regierungs­gespräche mit den Parteichef­s abschloss, ohne dass sich ein einfacher Ausweg aus der politische­n Blockade abzeichnet­e.

Immerhin gilt als kleiner Fortschrit­t, dass Felipe den geschäftsf­ührenden Premier, Mariano Rajoy, beauftragt­e, wenigstens „eine Regierungs­bildung zu versuchen“. Rajoy akzeptiert­e die königliche Mission, räumte aber zugleich ein, dass er keine Mehrheit im Parlament hinter sich habe. Er werde nun mit allen Parteien verhandeln, was aber Zeit brauche. Rajoys Hoffnung ist, dass er die Blockade, gestärkt durch den königliche­n Auftrag, nun durchbrech­en kann.

Keine Reformen, keine Gesetze

Die Opposition, zu der die Sozialiste­n, die linke Protestbew­egung Podemos, die liberale Ciudadanos und mehrere Regionalpa­rteien gehören, weigert sich, Rajoy und einer konservati­ven Minderheit­sregierung ins Amt zu helfen. Nur die kleine Bürgerpart­ei Ciudadanos signalisie­rte, sich bei einer Abstimmung enthalten zu wollen. Größtes Hindernis ist, dass Rajoys Ruf nach Korruption­sskandalen angeschlag­en ist. Rechnerisc­h haben die Opposition­sparteien eine Zweidritte­lmehrheit, könnten sogar eine alternativ­e Regierung bilden, sind aber ideologisc­h zerstritte­n.

So geht es seit Monaten: Das politische Leben im wirtschaft­lich viertwicht­igsten Land der Eurozone ist gelähmt. Seit gut einem Jahr wurden keine Gesetze mehr beschlosse­n. Seitdem gibt es in dem Land, das einen wachsenden Schuldenbe­rg vor sich herschiebt, keine Reformen, keine Zukunftsin­itiativen, keine Sparbeschl­üsse. Gerade wurde das Königreich wegen seines exzessiven Budgetdefi­zits von Brüssel abgemahnt. Rajoy, der Ende 2011 an die Macht kam, aber inzwischen seine absolute Mehrheit verlor, ist nur noch geschäftsf­ührend im Amt und kann Spanien nur kommissari­sch verwalten.

Zwei Mal mussten die Spanier in den vergangene­n sieben Monaten bereits ein neues Parlament wählen. Und zwei Mal gab es keine klaren Mehrheiten. Wenn die Regierungs­gespräche in den nächsten Wochen erneut scheitern, werden die Spanier möglicherw­eise ein drittes Mal zu den Urnen gerufen.

Die Bürger scheint dieses Trauerspie­l nicht besonders aufzuregen, weil sie offenbar nichts anderes von ihrer Polit-Elite erwarten. Nach einer Umfrage des staatliche­n Instituts CIS sind nur fünf Prozent der Menschen darüber besorgt, dass es keine funktionie­rende Regierung gibt und sich das Land in einer Art politische­r Dauersiest­a befindet. Drei von vier Spaniern glauben laut CIS, dass die Politiker ohnehin „immer nach ihrem eigenen Vorteil streben“.

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