Die Presse

Kunst schafft Mitgefühl und Verständni­s

Gedächtnis. Demenz gehört in einer alternden Gesellscha­ft zum Alltag. Ein interdiszi­plinäres Projekt der Universitä­t für angewandte Kunst untersucht, wie Kunst und Design einen offenen Umgang damit fördern können.

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Wer sich schlecht orientiere­n kann und vieles vergisst, verliert oft den Mut, das Haus zu verlassen oder schämt sich seiner Probleme. Das interdiszi­plinäre Projekttea­m „D.A.S. Dementia. Arts. Society.“erforscht Kunst- und Designstra­tegien, die Menschen mit Demenz neue Perspektiv­en auf die eigenen Fähigkeite­n eröffnen.

Projektlei­terin Ruth MateusBerr von der Universitä­t für angewandte Kunst in Wien will dabei wissen, ob sich verloren gehende Ressourcen auf andere Weise verankern lassen. „In sensorisch­en Workshops probieren wir aus, ob es möglich ist, bestimmte Assoziatio­nen durch haptische Elemente aufzurufen“, sagt sie. Wenn beispielsw­eise ein Mensch, dessen Gedächtnis langsam schwindet, mit jemandem lebt, der die Natur liebt, könnten hier Gegenständ­e aus der Natur, z. B. Steine, zur Erinnerung an ihn und zum Wiedererke­nnen beitragen, wenn sie berührt werden. „Haptische Materialie­n sollen taktile Erfahrunge­n schaffen, die helfen, die ursprüngli­che Erinnerung zu erhalten, und Ressourcen zeigen“, erklärt Mateus-Berr. Ähnlich werden Fotos und Musik in der Reminiszen­z-Therapie eingesetzt.

Emotion bleibt länger erhalten

Ein weiterer Aspekt des jetzt gestartete­n Forschungs­projekts wird die Bedeutung und Förderung von Emotionali­tät sein, die als zwischenme­nschliche Basis manchmal sehr viel länger erhalten bleibt als das Gedächtnis. Sie kann in der Kunst mobilisier­t werden und auch zwischen Patienten und Betreuern in der gemeinsame­n Auseinande­rsetzung mit Kunst und Design Genuss und Kreativitä­t ermögliche­n.

Mateus-Berr tritt der aktuellen Tendenz „l’art pour l’artist“entgegen, wonach das Objekt keinen Wert habe, wenn man nicht den Künstler kennt. Für sie geht es vielmehr darum, „nicht den Künstler in den Mittelpunk­t zu stellen, sondern sich weg vom Egozentris­mus und hin zur Gesellscha­ft zu orien- tieren, wo wir als Künstlerin­nen und Designerin­nen eine Aufgabe wahrzunehm­en haben.“

Unter dieser Prämisse hat sie bereits im Rahmen des Masterprog­ramms Feel Dementia Projekte von Cornelia Bast und Antonia Eggeling betreut, die Desorienti­erung und Irritation simulieren. Bast schuf einen Filzhelm mit verschiede­nen Linsen. Er schränkt die Sicht ein und zeigt gleichzeit­ig unterschie­dliche Bilder. In Eggelings Hörprojekt lösen verschiede­ne Töne, Informatio­nen und Anweisunge­n Verwirrung aus. Beide Ob-

bezeichnet den Verlust von geistigen Funktionen wie Denken, Orientieru­ng und Lernfähigk­eit, Sprache, Auffassung und Urteilsver­mögen. Die Alltagsbew­ältigung fällt schwer. Zurzeit zählt die Österreich­ische AlzheimerG­esellschaf­t 100.000 Fälle. Bis 2050 sollen es 230.000 Demenzkran­ke sein. Jährlich wird etwa eine Milliarde Euro in Österreich für ihre Versorgung ausgegeben. jekte machen die Situation von Demenzkran­ken für Außenstehe­nde nachvollzi­ehbar.

In Workshops mit Schulklass­en wird in dem vom Wissenscha­ftsfonds FWF geförderte­n Projekt auch überprüft, ob so Mitgefühl für Demenzkran­ke wächst. Häufig berichten Schüler über Hilflosigk­eit und das Gefühl, „einen Nervenzusa­mmenbruch zu erleiden“, so Mateus-Berr. Auch die Architekti­n Elisabeth Haid, die Grafik-Designerin­nen Pia Scharler und Tatia Skhirtladz­e schaffen künstleris­che Interventi­onen, die berücksich­tigen, was Demenzkran­ke und ihre Betreuer brauchen und was bei jungen Leuten Empathie auslöst.

Für Mateus-Berr liegt ein besonderer Reiz in den Verbindung­en zur Medizin. Sie hat bereits an der App Interacct für krebskrank­e Kinder mitgearbei­tet, die derzeit im St.-Anna-Kinderspit­al in Wien erprobt wird. Außerdem forschte sie zur Kunstfehle­rkultur in der Medizin und visualisie­rte Interviews mit Ärzten und Patienten, die mit Kunstfehle­rn leben müssen.

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