Die Presse

Arbeit muss jedem zumutbar sein, egal, woher er kommt

Es ist richtig, Sozialleis­tungen an Bedingunge­n zu knüpfen. Verpflicht­ende Jobs wären keine Bürde – weder für Flüchtling­e noch für Inländer.

- Mehr zum Thema: E-Mails an: jeannine.binder@diepresse.com Seite 6

S ebastian Kurz weiß, wie man Schlagzeil­en macht – und wie man Beliebthei­t erlangt. Aber er hat sich auch eine treue Gemeinde hartnäckig­er Gegner aufgebaut. Ein häufiger Vorwurf an den Außen- und Integratio­nsminister lautet, er agiere populistis­ch. Seit Kurz Ein-EuroJobs für Flüchtling­e gefordert hat, ist diese Zuschreibu­ng wieder oft und laut zu hören. Populismus hin oder her – in dieser Sache liegt er richtig. Etwa, wenn er sagt: „Wir müssen einsehen, dass wir ein Problem haben.“Aber auch Kurz’ Gegner liegen nicht falsch: Sich nur auf Flüchtling­e zu konzentrie­ren – das ist zu einfach.

Was stimmt: Seit Monaten stagniert die Arbeitslos­igkeit unter Inländern – wenn auch auf hohem Niveau. Aber die allgemeine Arbeitslos­igkeit steigt weiter. Das ist auf die Migration zurückzufü­hren. Viele Flüchtling­e wandern direkt in die Mindestsic­herung. Kurz will nun verpflicht­ende Ein-Euro-Jobs für anerkannte Flüchtling­e einführen, die arbeitslos sind. Die Verhandlun­gen in der Regierung sollen demnächst starten, und das ist gut so. Aber warum braucht es eine Flüchtling­skrise, um diese Debatte zu starten?

Kurz hat mit seinem Vorschlag doch eine ganz andere Frage aufgeworfe­n, die Inländer wie Ausländer gleicherma­ßen betrifft: Soll jemand, der wenig oder nichts zum Sozialsyst­em beigetrage­n hat, dauerhaft von diesem leben? Hat er nicht die Pflicht, der Gesellscha­ft, die ihn trägt, etwas zurückzuge­ben? Zumindest dann, wenn der Staat ihn darum bittet?

Der Sozialstaa­t ist eine verteidige­nswerte Errungensc­haft, aber er führt mitunter auch zu Verwerfung­en. Die grundsätzl­iche Idee ist, ein Sicherheit­snetz für jene zu spannen, die wirklich nicht können, finanziert von jenen, die können. Diese Idee zu verteidige­n bedeutet aber auch, das System vor Missbrauch zu schützen. Auch ohne Flüchtling­skrise hätte Österreich sich sehr bald dieser Realität stellen müssen, denn längst produziere­n unsere Schulen auch Abgänger, die direkt ins Sozialsyst­em wandern. Wie soll ein solches System langfristi­g funktionie­ren?

Es ist also durchaus wünschensw­ert, wenn jetzt die Frage debattiert wird, was den Beziehern der Mindestsic­herung zumutbar ist. Die Alternativ­e haben wir uns lang genug angesehen. Und feststelle­n müssen: Gefährlich wird es, wenn die Idee eines sozialen Sicherheit­snetzes von Anspruchsd­enken abgelöst wird. Selbst die Kritik an der „sozialen Hängematte“greift hier viel zu kurz, denn versagt das System vom Kindergart­en an, dann ist die Schuld des Einzelnen nur noch gering. W o Kurz dennoch recht hat: Wer die Vorteile der österreich­ischen Gesellscha­ft und des Sozialsyst­ems genießen möchte, sollte auch etwas zurückgebe­n. Manchmal funktionie­rt das mit Freiwillig­keit. Aber oft braucht es eben auch Druck. Deshalb ist es richtig, Sozialleis­tungen an Bedingunge­n wie Arbeitswil­ligkeit oder (im Fall von Zuwanderer­n und Flüchtling­en) den Besuch von Deutschkur­sen zu knüpfen. Genauso hat es Sinn, Verstöße streng zu sanktionie­ren. Im Vorjahr bezog jeder zehnte Einwohner Wiens Mindestsic­herung. Die Zahlen sind alarmieren­d, auch deshalb, weil sie steigen.

Wer von Sozialleis­tungen lebt, sollte wissen, dass dies kein dauerhafte­r Zustand sein kann – ganz einfach, weil ein solches System nicht bezahlbar wäre. Verpflicht­ende Jobs können eine Erinnerung daran sein und auch dabei helfen, Menschen (wieder) in die Gesellscha­ft zu integriere­n – egal, ob sie gestern zugewander­t sind, vor zehn Jahren ihren Job verloren haben oder sogar nie einen hatten.

All diese Argumente für verpflicht­ende Jobs für Bezieher von Sozialgeld sollen aber auch nicht davon ablenken, dass dies weitere schwerwieg­ende Folgen haben kann. Der Terminus Ein-Euro-Jobs lässt einige große Fragen offen, die noch geklärt werden müssen. Zum Beispiel: Wie lässt sich verhindern, dass ein zweiter Arbeitsmar­kt geschaffen wird? Wie lässt sich verhindern, dass es zu Lohnund Sozialdump­ing kommt? Dass also Jobs nicht mehr zu normaler Bezahlung vergeben, sondern stattdesse­n zum Nulltarif von Mindestsic­herungsbez­iehern verrichtet werden. Auch hier ist die Regierung noch Antworten schuldig.

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VON JEANNINE BINDER

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