Die Presse

„Den Mist mit den Forstgeist­ern vergessen wir“

Verena Winiwarter plädiert für die „Co-Kreation“von Wissen.

- VON PATRICIA KÄFER

Sprechen wir von „Transfer“, tun wir das meist, weil wir über Geld oder Fußballer reden. Beim Europäisch­en Forum Alpbach lag das Wort vergangene Woche vielen in anderem Zusammenha­ng auf der Zunge: als Wissenstra­nsfer – dem Vermitteln von Wissen aus der Wissenscha­ft „hinaus“in Bevölkerun­g oder Wirtschaft, aber auch dem Vermitteln von einer Disziplin in die andere.

Verena Winiwarter, Umwelthist­orikerin und Wissenscha­ftstheoret­ikerin an der Uni Klagenfurt, ist mit diesem Zugang nicht einverstan­den, denn: „Ich denke ,Wissen‘ als einen Prozess, also als Verb – im Sinne von ,ich weiß etwas‘, nicht ,ich habe Wissen‘. Ich teile das, was ich weiß, damit Sie es auch wissen.“Beim Gegenüber komme das unter Umständen aber ganz anders an, sagt Winiwarter, die die „Presse“in Alpbach zum Gespräch traf.

Sie präzisiert: „Wenn wir Transfer sagen, denken wir Wissen als ein paketierba­res Produkt.“Das würde bedeuten, dass Wissen ein Ding ist, das man von A nach B tragen kann. Das sei aber nicht der Fall: „Wissen ist immer, wie man auf Englisch sagt, ,embedded‘, es ist immer in einen Körper, in eine Organisati­on, in eine Institutio­n, in einen Raum, eingebette­t.“

Winiwarter verweist auf traditione­lles ökologisch­es Wissen, das zum Beispiel Indigene im Laufe ihres generation­enlangen Lebens im Regenwald entwickelt haben: „Das sind Menschen, die nicht nur wissen, wie man einen Wald behandelt – durch regelmäßig­es Abbrennen im Frühjahr, wenn alles feucht und wenig Unterholz da ist, um ihn in einem bestimmten Zustand zu halten –, sondern sie glauben auch an Forstgeist­er. Wir kommen hin und sagen: Wir nehmen, was von eurem Wissen für uns brauchbar ist. Und den Mist mit den Forstgeist­ern vergessen wir. Aber was tun wir da? Wir entkontext­ualisieren Wissen.“

Winiwarter stellt sich und uns die Frage: „Zerstört man dieses Wissen, wenn man es aus seinem kulturelle­n Kontext löst?“Was, wenn man es in seinem Geflecht belässt und so damit weiterarbe­itet? In dieser Version hat der Nachnutzer einen Nachteil: Er muss auch die Interessen derer berücksich­tigen, die ihn informiert­en oder inspiriert­en. „Die Macht verteilt sich dann auf mehrere Akteure“, sagt Winiwarter.

Dabei basieren viele unserer heutigen gesellscha­ftlichen Praktiken auf diesem Prozess. Winiwarter weist darauf hin, dass „eigentlich nur durch das Missverste­hen die Innovation in die Welt kommt“. Ein fehlerfrei­es System sei im Gegensatz dazu statisch. „Es ändert sich nicht, weil es keine Fehler ausbessern muss.“Erst durch das Vergessen, das Reformulie­ren, das Erklären entstehe Neues.

Wissen nicht zentral verwalten

Winiwarter möchte deshalb eine neue Art anregen, über diese Prozesse nachzudenk­en: „Es geht nicht um einen Wissenstra­nsfer, es geht um Co-Kreation von Wissen – Co-Kreation, weil wir dabei gemeinsam kreativ sind.“Das impliziere, dass Wissen nicht zentral an einer Stelle verwaltet und von dort aus weitervert­eilt wird. Stattdesse­n wird es gemeinscha­ftlich erzeugt. „Wissen steckt immer in einem Kontext und macht nur in diesem Kontext Sinn“, beantworte­t Winiwarter ihre Frage von vorhin.

Im Idealfall passiere diese gemeinscha­ftliche Kreation außerdem transdiszi­plinär und unter Einbeziehu­ng von Akteuren außerhalb der Wissenscha­ft. Winiwarter baut auf das Bedürfnis von Menschen, mit anderen in Beziehung treten zu wollen. „Als Ergebnis entsteht so ein nachhaltig­es Innovation­ssystem, wie es mir vorschwebt – nicht eines, das wir mit ökonomisch­en Incentives (Anreizen, Anm.) füttern müssen. Sondern eines, das sich der Kreativitä­t von Gesellscha­ft als gemeinscha­ftsstiften­des Element bedient.“

In Folge verändern sich auch Rollen in unserer Gesellscha­ft: Es gebe dann (bzw. teils jetzt schon) so etwas wie eine Wissenscha­ftsmoderat­orin oder einen Bürgerbete­iligungsun­ternehmer. So jemand gehe mit einem ganz neuen Selbstvers­tändnis an ihre oder seine (traditione­lle) Aufgabe heran, meint Winiwarter. „Ich glaube, dass die Wissenscha­ftsadminis­tration oder Forschungs­förderung eines Landes die Aufgabe hat, ein förderlich­es Klima zu schaffen. Und dieses Klima finde ich mit dem Ausdruck ,Wissenstra­nsfer‘ schlecht beschriebe­n.“Es gehe um das Eröffnen von Innovation­splattform­en und um das Einsetzen von Risikokapi­tal – „in Räumen, in denen wenig vorgegeben ist, dabei aber Mut Platz hat“.

ist Professori­n für Umweltgesc­hichte an der Alpen-AdriaUnive­rsität Klagenfurt und \lickt da\ei ins\esondere auf das Verhältnis zwischen Mensch und Umwelt. Sie forscht zur Entwicklun­g des Wintertour­ismus in Österreich oder rekonstrui­erte den Verlauf der Donau seit Beginn der Neuzeit. 2013 wurde sie als Wissenscha­ftlerin des Jahres geehrt.

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