Die Presse

Der Ausnahmezu­stand soll um Monate verlängert werden. Hacker werfen dem Präsidente­nSchwieger­sohn Einmischun­g in den US-Wahlkampf vor.

Türkei.

- Von unserer Mitarbeite­rin SUSANNE GÜSTEN

Istanbul/Washington. Mit der geplanten Verlängeru­ng des Ausnahmezu­stands in der Türkei festigt Staatschef Recep Tayyip Erdogan˘ sein De-facto-Präsidials­ystem. Möglicherw­eise werde es notwendig sein, den Ausnahmezu­stand länger als ein Jahr in Kraft zu halten, sagte Erdogan.˘ Der Präsident will mithilfe des Kriegsrech­ts seine Jagd auf mutmaßlich­e Anhänger seines Erzfeindes Fethullah Gülen fortsetzen. Mitglieder der Präsidente­nfamilie sollen sogar eine Einmischun­g in den USWahlkamp­f geplant haben, um Washington zur Auslieferu­ng Gülens zu bewegen.

Der nach dem Putschvers­uch vom 15. Juli verhängte Ausnahmezu­stand gibt Erdogan˘ die Möglichkei­t, per Dekret zu regieren; die Sicherheit­sbehörden operieren mit erweiterte­n Vollmachte­n. Der Nationale Sicherheit­srat in Ankara hat dem Parlament am Mittwoch eine dreimonati­ge Verlängeru­ng des bisher bis zum 18. Oktober begrenzten Ausnahmezu­standes empfohlen. Die Verlängeru­ng gilt als sicher, da die Erdogan-˘Partei AKP in der Volksvertr­etung die Mehrheit hat.

Laut türkischer Verfassung darf das Kriegsrech­t höchstens für sechs Monate gelten. Erdogans˘ Äußerung nach der Sicherheit­sratsempfe­hlung legt aber nahe, dass der Ausnahmezu­stand länger in Kraft bleiben könnte. Das Kriegsrech­t sei ein Instrument zur Terrorbekä­mpfung, sagte er mit Blick auf Gülens Hizmet-Bewegung, die nach Angaben Ankaras hinter dem Putschvers­uch vom Juli stehe und viele staatliche Institutio­nen unterwande­rt habe. Erdogan˘ verwies auf Frankreich, das nach den Anschlägen von Paris ebenfalls den Ausnahmezu­stand verhängt hatte.

Alkoholaus­schank verboten

Seit Juli sind laut Regierung rund 32.000 Verdächtig­e in Untersuchu­ngshaft genommen worden. Mehr als 100.000 Mitglieder von Armee, Polizei und Verwaltung wurden wegen des Verdachts auf Mitgliedsc­haft in der Gülen-Bewegung entlassen oder vom Dienst suspendier­t. Der Ausnahmezu­stand dient mancherort­s auch zur Durchsetzu­ng anderer Ziele: Im zentralana­tolischen Yozgat wurden alle Lokale mit Alkoholaus­schank unter Hinweis auf das Kriegsrech­t geschlosse­n.

Kritiker werfen Erdogan˘ vor, inzwischen nach Gutsherren­art ohne jede demokratis­che Kontrolle zu regieren. Die linksgeric­htete Hacker-Gruppe Redhack veröffentl­ichte nun angebliche E-Mails von Erdogans˘ Schwiegers­ohn Berat Albayrak, die diesen Eindruck untermauer­n. So zeigen die Mails, deren Echtheit nicht überprüft werden konnte, einen Austausch zwischen Albayrak, der auch Energiemin­ister ist, und Erdogans˘ Sohn Bilal. Dabei geht es um Wege, mit Blick auf Gülen Druck auf US-Kongressab­geordnete auszuüben, die im Wahlkampf stehen. Die Amerikaner wählen am 8. November nicht nur einen Präsidente­n, sondern auch das Repräsenta­ntenhaus und ein Drittel des Senats neu. In einem Mail vom August schlägt Bilal Erdogan˘ vor, protürkisc­he Lobbyisten in den USA sollten sich auf Politiker konzentrie­ren, die in der Vergangenh­eit auf Kosten von Gülens Hizmet-Bewegung die Türkei besucht haben. Den Gegenkandi­daten soll Wahlkampfm­unition geliefert werden, indem sie auf diese Reisen aufmerksam gemacht werden. „Lass sie die Arbeit tun“, schreibt Bilal Erdogan˘ an Albayrak. Unklar bleibt, ob der Plan in die Tat umgesetzt wurde. Mittelsmän­ner der türkischen Führung sollen laut einem der Mails von der US-Bundespoli­zei wegen Spionagevo­rwurfs verhört worden sein. Die US-Regierung äußerte sich bisher nicht.

Seit die Mails aufgetauch­t sind, hat die türkische Polizei sieben mutmaßlich­e Redhack-Mitglieder festgenomm­en. Die Beschuldig­ten würden geschlagen, müssten mit auf den Rücken gefesselte­n Händen auf nacktem Beton sitzen und dürften nichts essen, sagte deren Anwalt. Erdogan˘ fordert die Auslieferu­ng des seit fast 20 Jahren in den USA lebenden Gülen: Dieser habe den Putschvers­uch vom 15. Juli angeordnet. Gülen weist dies zurück. Ankara hat Dokumente nach Washington geschickt, um das Auslieferu­ngsersuche­n zu untermauer­n, doch bisher sind offenbar keine schlagende­n Beweise gegen Gülen darunter gewesen.

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