Der Ausnahmezustand soll um Monate verlängert werden. Hacker werfen dem PräsidentenSchwiegersohn Einmischung in den US-Wahlkampf vor.
Türkei.
Istanbul/Washington. Mit der geplanten Verlängerung des Ausnahmezustands in der Türkei festigt Staatschef Recep Tayyip Erdogan˘ sein De-facto-Präsidialsystem. Möglicherweise werde es notwendig sein, den Ausnahmezustand länger als ein Jahr in Kraft zu halten, sagte Erdogan.˘ Der Präsident will mithilfe des Kriegsrechts seine Jagd auf mutmaßliche Anhänger seines Erzfeindes Fethullah Gülen fortsetzen. Mitglieder der Präsidentenfamilie sollen sogar eine Einmischung in den USWahlkampf geplant haben, um Washington zur Auslieferung Gülens zu bewegen.
Der nach dem Putschversuch vom 15. Juli verhängte Ausnahmezustand gibt Erdogan˘ die Möglichkeit, per Dekret zu regieren; die Sicherheitsbehörden operieren mit erweiterten Vollmachten. Der Nationale Sicherheitsrat in Ankara hat dem Parlament am Mittwoch eine dreimonatige Verlängerung des bisher bis zum 18. Oktober begrenzten Ausnahmezustandes empfohlen. Die Verlängerung gilt als sicher, da die Erdogan-˘Partei AKP in der Volksvertretung die Mehrheit hat.
Laut türkischer Verfassung darf das Kriegsrecht höchstens für sechs Monate gelten. Erdogans˘ Äußerung nach der Sicherheitsratsempfehlung legt aber nahe, dass der Ausnahmezustand länger in Kraft bleiben könnte. Das Kriegsrecht sei ein Instrument zur Terrorbekämpfung, sagte er mit Blick auf Gülens Hizmet-Bewegung, die nach Angaben Ankaras hinter dem Putschversuch vom Juli stehe und viele staatliche Institutionen unterwandert habe. Erdogan˘ verwies auf Frankreich, das nach den Anschlägen von Paris ebenfalls den Ausnahmezustand verhängt hatte.
Alkoholausschank verboten
Seit Juli sind laut Regierung rund 32.000 Verdächtige in Untersuchungshaft genommen worden. Mehr als 100.000 Mitglieder von Armee, Polizei und Verwaltung wurden wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung entlassen oder vom Dienst suspendiert. Der Ausnahmezustand dient mancherorts auch zur Durchsetzung anderer Ziele: Im zentralanatolischen Yozgat wurden alle Lokale mit Alkoholausschank unter Hinweis auf das Kriegsrecht geschlossen.
Kritiker werfen Erdogan˘ vor, inzwischen nach Gutsherrenart ohne jede demokratische Kontrolle zu regieren. Die linksgerichtete Hacker-Gruppe Redhack veröffentlichte nun angebliche E-Mails von Erdogans˘ Schwiegersohn Berat Albayrak, die diesen Eindruck untermauern. So zeigen die Mails, deren Echtheit nicht überprüft werden konnte, einen Austausch zwischen Albayrak, der auch Energieminister ist, und Erdogans˘ Sohn Bilal. Dabei geht es um Wege, mit Blick auf Gülen Druck auf US-Kongressabgeordnete auszuüben, die im Wahlkampf stehen. Die Amerikaner wählen am 8. November nicht nur einen Präsidenten, sondern auch das Repräsentantenhaus und ein Drittel des Senats neu. In einem Mail vom August schlägt Bilal Erdogan˘ vor, protürkische Lobbyisten in den USA sollten sich auf Politiker konzentrieren, die in der Vergangenheit auf Kosten von Gülens Hizmet-Bewegung die Türkei besucht haben. Den Gegenkandidaten soll Wahlkampfmunition geliefert werden, indem sie auf diese Reisen aufmerksam gemacht werden. „Lass sie die Arbeit tun“, schreibt Bilal Erdogan˘ an Albayrak. Unklar bleibt, ob der Plan in die Tat umgesetzt wurde. Mittelsmänner der türkischen Führung sollen laut einem der Mails von der US-Bundespolizei wegen Spionagevorwurfs verhört worden sein. Die US-Regierung äußerte sich bisher nicht.
Seit die Mails aufgetaucht sind, hat die türkische Polizei sieben mutmaßliche Redhack-Mitglieder festgenommen. Die Beschuldigten würden geschlagen, müssten mit auf den Rücken gefesselten Händen auf nacktem Beton sitzen und dürften nichts essen, sagte deren Anwalt. Erdogan˘ fordert die Auslieferung des seit fast 20 Jahren in den USA lebenden Gülen: Dieser habe den Putschversuch vom 15. Juli angeordnet. Gülen weist dies zurück. Ankara hat Dokumente nach Washington geschickt, um das Auslieferungsersuchen zu untermauern, doch bisher sind offenbar keine schlagenden Beweise gegen Gülen darunter gewesen.