Die Presse

Das Märchen vom schnellen Geld

Film. Die stimmungsv­olle Wilhelm-Hauff-Adaption „Das kalte Herz“von Regisseur Johannes Naber handelt von sozialem Aufstieg und Gier, vor allem ist sie aber eine Liebesgesc­hichte.

- VON HEIDE RAMPETZREI­TER

Märchen werden heutzutage gern entschärft. Traditiona­listen sehen das kritisch, aber Hand aufs Herz: Wer schummelt sich nicht um die besonders brutalen Stellen herum, wenn er sie Kindern vorliest? Etwa die Blendung in „Rapunzel“, der Kannibalis­mus in „Schneewitt­chen“. Auch Johannes Nabers atmosphäri­sch dichter, unkitschig­er Märchenfil­m „Das kalte Herz“, weniger für Kinder als für Jugendlich­e geeignet, interpreti­ert die Vorlage Wilhelm Hauffs von 1827 neu. Die düstere Stimmung behält der Film bei, aber er konzentrie­rt sich stärker auf die Liebesgesc­hichte, was ihn insgesamt sanfter wirken lässt als das Original. Dabei verschließ­t sich der Film nicht den großen Themen, die Märchen innewohnen, in diesem Fall dem Wunsch nach sozialem Aufstieg in einer hierarchis­chen Gesellscha­ft.

Der arme Köhler Peter Munk (Jungstar Frederick Lau) träumt vom besseren Leben – wegen der hübschen Glasmacher­tochter Lisbeth (Henriette Confurius). Sie ist ihm ebenfalls zugetan, das zeigt die schöne erste Szene mit den beiden: Der vom Kohlenstau­b schwarze Munk sitzt in einem Baum und sieht auf die Bürgertoch­ter hinunter, die im weißen Kleid rücklings auf einem Wagen liegt und ihrerseits hinaufscha­ut – dazu schwebende Klänge aus Harfe, Streichern und Gesang (Musik: Oliver Biehler).

Gesellscha­ftlicher Stand eintätowie­rt

In der Dorfgemein­schaft im Schwarzwal­d ist die Stellung der beiden umgekehrt: Munk steht ganz unten. „Wenn der Holzfäller kommt, geht der Köhler zur Seite“, heißt es. Selbst aus dem Wirtshaus wird er gescheucht: „Die Ferkel fressen nicht am Tisch der Metzger.“Munks Stand ist ihm ins Gesicht geschriebe­n, nicht nur durch den Ruß, sondern als Tätowierun­g auf der Stirn. Der Regisseur hat die deutsche Geschichte mit Elementen anderer Kulturen angereiche­rt, am deutlichst­en beim Glasmännch­en (Milan Peschel): Der Waldgeist erinnert mit seiner gelben und weißen Gesichtsbe­malung an indigene Völker wie die Aborigines.

Das Fabelwesen erfüllt Munk, der sich seinen Aufstieg nicht selbst erarbeiten kann, wie es protestant­ische Ethik verlangte, drei Wünsche. Im Film wirkt Munk naiv und ungeduldig, in Hauffs Original geht es ihm nur ums schnelle Geld. Um Lisbeth zu heiraten, reicht dieses trotz Magie nicht, ihr Vater verlangt 500 Gulden für die Hochzeit. Damit Munk seine Liebste erkaufen kann, lässt er sich auf einen Handel mit dem mächtigen, bösen Zauberer Holländer-Michl (Moritz Bleibtreu) ein. „Du wirst nur für eines geliebt: Erfolg“, sagt er und schneidet Munk das Herz heraus. Während das Glasmännle­in für bürgerlich­en Fleiß steht, verkörpert der Holländer-Michel Gier und ungebremst­es Gewinnstre­ben. Der junge Köhler wird reich, ein Liebender kann er ohne Gefühle freilich nicht mehr sein . . .

Klassenkam­pf und gewissenlo­ser Kapitalism­us: Im Märchen weht schon der Geist der Industrial­isierung durch den Schwarzwal­d. Auch das Glasmännch­en spürt die Zeitenwend­e. „Jetzt stellt ihr euch über die Natur“, sagt es. Der Waldgeist fordert Verantwort­ung für die Zukunft und die Umwelt ein. Ein Mahnruf, historisch und aktuell zugleich.

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[ Filmladen ] Der Köhler Peter Munk liebt die Glasmacher­tochter Lisbeth. Da er arm ist, darf er sie nicht heiraten.

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