Semi-Opera als SemiSoap-Opera
Regisseurin Mariame Cl´ement blickt bei Purcells „Fairy Queen“hinter die Opernkulissen. Dirigent Christophe Rousset bleibt virtuosen Glanz schuldig.
Regisseurin Mariame Clement´ blickt im Theater an der Wien bei Purcells „Fairy Queen“hinter die Opernkulissen.
Nein, der Vorhang geht nicht auf zu Beginn von Henry Purcells „Fairy Queen“im Theater an der Wien. Im Graben legen Les Talens Lyriques unter Christophe Rousset mit dezentem Schwung gerade erst los, aber auf der Bühne hat die Premiere schon ihr Ende gefunden, und die Mitwirkenden treten zu imaginären Jubelstürmen vors Publikum: der Chor und die Solisten, der glückliche Dirigent, der allzu gerührte Regisseur mit Ausstatter und Dramaturgin. Dann wechseln wir zur Premierenfeier hinter die Bühne, wo der Intendant seine Dankesrede hält, Hände schüttelt, Schultern klopft. Das fällt nicht ganz gerecht aus, aber insgesamt sehen wir eine heile Theaterwelt: Künstler im Dienst eines großen Werks, alle voller Freude, dem schönen Götterfunken.
Oder etwa nicht? Denn die nächste Szene versetzt uns fünf Wochen zurück, an den Beginn der Probenzeit. Und da klaffen die seelischen Abgründe: Regisseur Kurt Streit steckt in einer Schaffenskrise; Dramaturgin MarieClaude Chappuis ist unglücklich in ihn verliebt und versucht sich mit dem jüngeren Schauspieler Rupert Charlesworth zu trösten, der sich wieder zum Oberon-Darsteller Pavel Strasil hingezogen fühlt; Regieassistent Florian Köfler will endlich flügge werden und mit seiner derzeit noch im Chor singenden Freundin, Anna Prohaska, als Traviata den Durchbruch schaffen, doch ist von ihr auch Kurt zunehmend begeistert, und das nicht nur beruflich; der Ausstatter Florian Boesch stört im Suff die Probe – und so weiter.
Ja, die Namen zeigen es an: Die Solisten schlüpfen hier, gemeinsam mit den Mitgliedern des exzellenten Arnold-SchoenbergChores und einigen Statisten, in alle Rollen, die auf und hinter der Bühne für einen großen Theaterbetrieb nötig sind.
Die Choristin ersetzt die Diva
Deren private Geschichten hat Regisseurin Mariame Clement´ zusammen mit Ausstatterin Julia Hansen und Autorin Lucy Wadham entwickelt und erzählt sie nun unter dem Titel „The Fairy Queen“. Das ist keineswegs so willkürlich wie bei manch anderen umgedeuteten Operninszenierungen. Denn Purcells Semi-Opera besteht ja eigentlich nur aus musikalischen Interludien, Tänzen und allegorischen Szenen, die als ausgedehnte Zwischenspiele Shakespeares „Midsummer Night’s Dream“ausschmücken sollten. Durchgehende Charaktere fehlen ebenso wie eine zusammenhängende Handlung. Da kann man schon auf die Idee kommen, die Semi-Opera zur Semi-Soap-Opera zu machen – zumal dabei wesentliche Elemente aus Shakespeares Stück wieder auftauchen, etwa die Liebesverwirrungen und das Spiel im Spiel. Freilich geht das nicht ohne augenzwinkernd gemeinte Klischees ab: Die virtuos zickende Diva wird von Kurt gefeuert und durch Anna aus dem Chor ersetzt: A star is born. Als Kurt seine neue Muse vor der Premiere küsst, besiegelt das freilich das Ende von Annas Beziehung zu Florian . . .
Gefestigt, aufgelöst oder neu geknüpft werden die Knoten dieses großen Gefühlsgeflechts im Wesentlichen als „stumme Jule“: So heißen im Theaterjargon die wortlosen Aktionen, die üblicherweise den szenischen Hintergrund glaubwürdig machen. Hier rücken sie ins Zentrum – auch weil die eigentlichen Gesangstexte zu unkonkret bleiben und nur bedingt Handlung ausdrücken können. Wo das Spiel selbst nicht reicht, werden Gedanken als Projektionen sichtbar gemacht, teilweise in kontrapunktischer Gleichzeitig- keit. Das unterhält eine Weile – aber den ganzen Abend über fesseln kann es nicht. Spätestens dann, wenn wir nach der großen Rückblende wieder bei der Premierenfeier sind, scheint am Ende der eigentlichen Idee noch sehr viel Stück übrig zu bleiben. Da soll dann plötzlich, nach aller Entzauberung, doch noch die Magie von Shakespeares „Wald bei Athen“die letzte halbe Stunde tragen – und ist Ausstatter Boesch nun mit spitzen Ohren eine Art Puck, der die Fäden zieht?
Er und Streit lassen die charaktervollsten Stimmen der guten Besetzung hören, Charlesworth die gesündeste, Prohaska einen anziehenden, nicht immer ganz sicheren Sopran. Die musikalischen Höhepunkte lagen jedenfalls im Zarten, Leisen: bei „Hush, no more“oder „Hymen, appear“. In den brillanten Passagen hörte man dagegen, wie leicht sich auch die Bläser eines so namhaften Ensembles wie Les Talens Lyriques verhaspeln können: gefährliche Fallstricke also, auf der Bühne wie im Graben.