Die Presse

Das Wettrennen im Nervensyst­em

Medizin. Forscher des IST Austria fanden den Grund für die schnelle Signalüber­tragung in hemmenden Neuronen. Es ist ein spezialisi­erter Kalziumsen­sor, der es ihnen ermöglicht, andere Nervenzell­en zu „überholen“.

- VON JANA MEIXNER

Unsere Nervenzell­en arbeiten schnell. Manche arbeiten aber schneller als andere. Besonders jene, die hemmend auf andere Neuronen wirken, übertreffe­n die übliche Fortleitun­gsgeschwin­digkeit um ein Vielfaches. Wie das möglich ist, erforschte­n Peter Jonas und Kollegen am Institute of Science and Technology (IST) Austria in Klosterneu­burg gemeinsam mit dem Max Planck Florida Institute for Neuroscien­ce. Diese Woche publiziert­en sie im Journal „Cell Reports“, dass sie das Molekül identifizi­ert haben, das verantwort­lich ist für den eklatanten Geschwindi­gkeitsunte­rschied, mit dem Nerven in Gehirn und Rückenmark Signale weiterleit­en. Es trägt den Namen Synaptotag­min 2 und ist ein Kalzium-Sensor.

Werden Signale in Form von elektrisch­er Erregung von einer Nervenzell­e zur nächsten weitergele­itet, geschieht das durch Neurotrans­mitter. Diese Botenstoff­e, zu denen Glutamat, Dopamin oder GABA zählen, werden von der Zelle in den synaptisch­en Spalt freigesetz­t. Die nächste Zelle trägt an ihrer Oberfläche Rezeptoren, an die diese Neurotrans­mitter binden. Das führt zur Erregung dieser Zelle, die das Signal dann an die nächste weitergibt und so weiter. Das Ganze funktionie­rt wie ein Staffellau­f. Die sprunghaft ansteigend­e Kalziumkon­zentration in der Nervenzell­e ist der Startschus­s für die Freisetzun­g des Neurotrans­mitters.

Kreuzfeuer der Neuronen

Die Zelle muss deshalb wissen, wie viel Kalzium sich in ihr befindet. Das registrier­t das Synaptotag­min. Man weiß, dass insgesamt 15 verschiede­ne Arten dieses Sensors im Körper existieren, erforscht sind bisher nur Synaptotag­min 1 und 2. Synaptotag­min 1 kommt in Nervenzell­en vor, die Glutamat als Neurotrans­mitter verwenden. Sie gehören zu den erregenden oder exzitatori­schen Nervenzell­en und machen den Großteil der Neuronen aus. Sie benötigen aber ein Kontrollsy­stem, das dämpfend oder inhibieren­d wirkt, um zu verhindern, dass sich die elektrisch­e Erregung unkontroll­iert ausbreitet. Es besteht aus zwischenge­schalteten Interneuro­nen, die mittels des Botenstoff­s GABA kommunizie­ren. Sie bremsen und zügeln ihre glutamater­gen Nachbarn, ohne sie wäre unser Gehirn ein einziges Kreuzfeuer der Neuronen.

Um überschieß­ende Erregung zu stoppen, müssen die hemmenden Neuronen jedoch in der Lage sein, die erregenden Zellen in ihrer Weiterleit­ungsgeschw­indigkeit zu übertreffe­n, sie sozusagen zu überholen. Das heißt, sie selbst müssen eine Aminosäure und der wichtigste hemmende Neurotrans­mitter. ist

ist – obwohl in der Bevölkerun­g eher für seinen Einsatz als Geschmacks­verstärker bekannt – einer der wichtigste­n erregenden neuronalen Botenstoff­e im Nervensyst­em. ihr elektrisch­es Signal weit schneller von einer Zelle zur nächsten übermittel­n. Das gelingt durch das Synaptotag­min 2. Es reagiert sensibler auf steigende Kalziumkon­zentration­en innerhalb der Zelle und beschleuni­gt so die Ausschüttu­ng des Neurotrans­mitters. Jonas und seine Kollegen hatten diesen Effekt schon vermutet, als sie im Labor das Synaptotag­min 1 gegen Synaptotag­min 2 austauscht­en und beobachtet­en, was passiert.

Speicher schneller auffüllen

„Für uns völlig überrasche­nd war jedoch, dass in den Neuronen mit Synaptotag­min 2 auch die Botenstoff­speicher zügiger wieder aufgefüllt wurden“, erklärt Jonas. Das ermöglicht es den Zellen, in kürzeren Abständen GABA freizusetz­en.

Was könnten diese Ergebnisse für die Medizin bedeuten? „Es wäre schön, wenn unsere Grundlagen­forschung dazu beitragen könnte, neue Erkenntnis­se über synaptisch­e Erkrankung­en, wie zum Beispiel Epilepsie, zu gewinnen“, so Jonas.

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