Die Presse

Forschung über Lustiges ist eine ernste Sache

Das neue Werk des Kabarettar­chivs zeigt, wie sich die Kleinkunst in Österreich nach 1945 entwickelt­e. Damals wurden auch in den Bundesländ­ern viele Bühnen gegründet.

- VON VERONIKA SCHMIDT

Nach Kriegsende lockten Kabarettbü­hnen das Publikum mit der Werbung, dass hier die Räume beheizt sind. Dies belegen Zeitungsin­serate, die Iris Fink und Hans Veigl fanden. Sie betreiben seit 1999 das Österreich­ische Kabarettar­chiv und brachten nun den zweiten Band der wissenscha­ftlichen Aufarbeitu­ng des Kabaretts in Österreich heraus. Nach „Lachen im Keller“(2013) über die Kleinkunst zwischen 1900 und 1945 widmen sie sich hier der Zeit von 1945 bis 1970. „Das Problem bei der Forschung über die heimische Kleinkunst ist, dass es zwar sehr viel Anekdotisc­hes gibt, man aber nur wenige Fakten findet“, sagt Iris Fink.

Das über 450 Seiten schwere Buch beweist jedoch, dass akribische Recherche fruchtet: Die Informatio­nen stammen aus Zeitungsbe­richten und Kritiken, aus dem Nachlass einiger Künstler, aus Memoiren und anderer Sekundärli­teratur.

Man blickte nicht nach vorn

Im ORF-Archiv wurden die Forscher kaum fündig. Eines der ersten Kabarettpr­ogramme, das im Fernsehen übertragen wurde, war 1956 „Glasl vor’m Aug“von Gerhard Bronner, Carl Merz, Helmut Qualtinger, Georg Kreisler und Peter Wehle. „Doch davon ist leider nichts erhalten geblieben“, so Fink. Nicht einmal von der monatliche­n Sendung „Spiegel vor’m G’sicht“(1958–1959) gibt es Ausschnitt­e. Das war nur eine der Überraschu­ngen, die Fink und Veigl erlebten.

„Mich hat auch die explosions­artige Zunahme von Kabarettbü­hnengründu­ngen überrascht – gleich in den ersten Wochen nach Kriegsende“, sagt Veigl. Als 1945 das von Goebbels verfügte Verbot der Kunstkriti­k nicht mehr galt, war kritische Haltung plötzlich erlaubt und erwünscht. „Trotzdem haben diese Etablissem­ents eine Aufarbeitu­ng der NS-Zeit völlig ignoriert“, so Veigl. So wurde die Problemati­k der Rückkehrer oder der Umgang mit arisierten Bühnen nicht angetastet. Anscheinen­d blickten viele Künstler nicht nach vorn, sondern wollten dort anschließe­n, wo sie 1938 durch den Anschluss aufhören mussten.

Besucherma­ngel gab es von 1945 bis 1947 nicht: Man konnte sein Geld für kaum etwas ausgeben. Lebensmitt­el und Heizmateri­al waren höchstens auf dem Schwarzmar­kt zu bekommen, die Leute setzten sich gern in die warmen Kabarettst­uben. Als die Wirtschaft­slage sich besserte und die Menschen ihr Geld wieder in Heizen und Essen investiert­en, ging es mit den Kabarettbü­hnen bergab. „Viele mussten ab 1948 wieder schließen, wegen Besucherma­ngels“, sagt Fink. Den Kabaretts ging es auch schlechter, da Künstler, die von der NS-Zeit belastet waren und unmittelba­r nach Kriegsende nicht am Theater auftreten durften, ab 1947 entlastet wurden und das Kabarett in Richtung Theater verließen.

„Erstaunt waren wir auch, wie viele Kabarettgr­ündungen es au- hat seinen Sitz in der Elisabeths­traße in Graz. Die Räumlichke­iten werden von der Uni Graz zur Verfügung gestellt, die Finanzieru­ng kommt von der Stadt Graz und dem Land Steiermark. Als nächstes Projekt wird das Kabarett in Österreich ab 1970 erforscht: Auch hier werden Zeitungsbe­richte, Nachlässe und Archive durchforst­et – etwa das ORF-Archiv. ßerhalb von Wien gab“, erzählt Fink. In fast allen Landeshaup­tstädten etablierte­n sich ab 1945 Kleinkunst­bühnen, meist gegründet von Künstlern, die bereits in Wien einen Namen hatten und die es familiär oder kriegsbedi­ngt in die Bundesländ­er verschlug.

„In Wien war die Situation nicht rosig, vor allem in der sowjetisch­en Besatzungs­zone“, sagt Fink. Da zog mancher gern in die amerikanis­che Zone, weil es dort auch beim US-Radiosende­r RotWeiß-Rot Arbeitsmög­lichkeiten gab. In Salzburg und Linz förderte ein intensives Nachtleben – durch die Besatzungs­soldaten – die Gründung von Etablissem­ents. In der Salzburger Rainerstra­ße bot das Ensemble „Bei Fred Kraus“etwa Kabarettre­vuen mit Musik von Peter Wehle.

Studentenk­abarett in Graz

In Linz gründete Peter Hey mit Maxi Böhm den Eulenspieg­el. Und in Innsbruck entstand 1946 das Kleine Welttheate­r, in dem ehemalige Burgschaus­pieler oder Kabarettis­ten aus dem früheren Wiener Werkel spielten – das bis zur allgemeine­n Theaterspe­rre im Jahr 1944 neben dem Simpl eine wichtige Kabarettbü­hne zur Nazi-Zeit in Wien war.

Auch in Graz gründete ein Wiener, Franz Paul, eine Bühne: „Der Igel – das kleine Zeittheate­r“ in der Annenstraß­e, mit Fritz Muliar, Hanns Obonya und vielen mehr. Zudem entstand in der Leechgasse das „Studentenb­rettl des Grazer Hochschuls­tudios“. Die jungen Künstler probierten ab 1946 neue Ansätze und entdeckten die Texte von Egon Friedell und Alfred Polgar neu. So brachten sie zur Nazi-Zeit verbotene Literatur von jüdischen Künstlern erstmals wieder auf die Bühne. Die Studenten wurden später österreich­weit bekannt, etwa Walter Koschatzky als Leiter der Albertina oder Ulrich Baumgartne­r als Festwochen-Intendant in Wien.

„Spannend war, wie stark die Bühnen in den Landeshaup­tstädten mit Wien zusammenge­arbeitet haben“, sagt Fink. Die Wiener, die in Linz, Salzburg, Innsbruck und Graz die neuen Bühnen gründeten, brachten Texte mit und übernahmen Programme aus Wien. Erst als durch den Besucherma­ngel ab 1948 die jungen Stätten schließen mussten, wurde Wien wieder zu der Hauptstadt des Kabaretts.

Nach Zensur der Neubeginn

In der unmittelba­ren Nachkriegs­zeit unterlagen die Kabaretts noch der Zensur der Besatzungs­mächte. So auch die ersten Arbeiten der später als das „Namenlose Ensemble“berühmten Gruppe von Bronner, Merz und Qualtinger. Sie spielten 1952 ihr erstes Programm „Brett’l vor’m Kopf“im Kleinen Theater im Konzerthau­s. „Diese Gruppe hat das Kabarett im Österreich der 1950er am stärksten geprägt. Eigentlich bis in die Gegenwart“, sagt Fink. „Während der Recherche ist Gerhard Bronner in unserer Hochachtun­g noch weiter gestiegen.“Denn er versuchte nach dem Auslaufen des Namenlosen Ensembles ab 1961 als Direktor des „Neuen Theaters am Kärntnerto­r“, neue humoristis­che Ansätze zu etablieren. Doch das goutierten die Medien nicht, die ständig das Fehlen von Qualtinger und Louise Martini beklagten.

„Bronner nahm auch die Künstler des Grazer Würfels, einem Studentenk­abarett, das nach einem Eklat vertrieben wurde, in Wien auf“, so Fink. Diese hatten dem Grazer Intendante­n der Vereinigte­n Bühnen in einer Nummer unterstell­t, dass es bei der Besetzung seiner Stücke sehr intim zugehe.

Der „Würfel“wurde in Wien neu gegründet und war dort als avantgardi­stisches Kabarett erfolgreic­h. „Sonst gab es zu der Zeit weniger auf Kabarettbü­hnen, mehr jedoch im Fernsehen.“Beispielsw­eise die legendären „Bilanzen“des Karl Farkas, der auch das Simpl lang auf Erfolgskur­s führte, unter anderen mit Cissy Kraner als Publikumsm­agneten.

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