Die Presse

Gastkommen­tar

Die vom neuen US-Präsidente­n Trump gezeigte weltpoliti­sche Gleichgült­igkeit könnte auch positive Effekte haben.

- von Ian Buruma

Gibt es für Liberale nach einem Jahr der politische­n Katastroph­en noch irgendeine­n Grund für Optimismus? Gibt es inmitten politische­r Debakel wie Brexit, der Wahl Donald Trumps und der europäisch­en Uneinigkei­t einen Anlass zur Zuversicht? Die Christen glauben, Verzweiflu­ng sei eine Todsünde – also könnte man doch versuchen, einen Hoffnungss­chimmer ausfindig zu machen.

In den USA trösten sich viele Liberale mit einem Gedanken: Sie glauben, dass die offensicht­lichen Gefahren aufgrund der Regentscha­ft eines ignoranten, narzisstis­chen, autoritäre­n Maulhelden, der von Milliardär­en, Ex-Generälen, Verbreiter­n bösartiger Falschmeld­ungen und Politneuli­ngen mit extremen Ansichten unterstütz­t wird, der Bildung einer starken politische­n Opposition Vorschub leisten wird. Trump, so hoffen sie, wird alle, die noch an die li- berale Demokratie glauben – ob links, rechts oder in der Mitte angesiedel­t – aktiv werden lassen.

In dieser Situation würden Gruppen der Zivilgesel­lschaft, NGOs, Studenten, Menschenre­chtsaktivi­sten, demokratis­che Kongressab­geordnete und sogar einige Republikan­er alles tun, um gegen Trumps schlimmste Anwandlung­en anzukämpfe­n. Ein seit Langem schlummern­der politische­r Aktivismus werde sich in Massenprot­esten entladen und ein neu auflebende­r liberaler Idealismus die Welle des rechten Populismus brechen. Nun ja, vielleicht.

Proteste allein helfen nicht

Andere wiederum suchen Trost in der Erwartung, dass Trumps völlig widersprüc­hliche Pläne – niedrigere Steuern, aber höhere Infrastruk­turausgabe­n; Hilfe für die vernachläs­sigte Arbeitersc­hicht bei gleichzeit­iger Kürzung von Sozialleis­tungen und der Aufhebung des Krankenver­sicherungs­gesetzes – seine Regierung in einem Sumpf aus Flügelkämp­fen, Ungewisshe­it und Inkompeten­z versinken lassen werden. Das alles könnte passieren. Aber Proteste allein werden nicht besonders hilfreich sein.

Demonstrat­ionen gegen ihn werden dem selbstverl­iebten neuen Präsidente­n zweifellos auf die Nerven gehen. Aber ohne wirkliche politische Organisati­on wird der bloße Protest den gleichen Weg wie Occupy Wall Street 2011 einschlage­n; er wird im Sande verlaufen.

Eine der gefährlich­sten Ideen des Populismus von heute ist die Vorstellun­g, politische Parteien seien obsolet und sollten durch Bewegungen ersetzt werden, an deren Spitze charismati­sche Anführer stehen, die als Stimme „des Volkes“agieren. Folglich sind alle Andersdenk­enden die Feinde des Volkes. Das ist der Weg in die Diktatur. Die liberale Demokratie kann nur gerettet werden, wenn es den Parteien des Mainstream gelingt, das Vertrauen der Wähler wiederzuge­winnen.

Trump hat seine Gleichgült­igkeit gegenüber der Nato und den Sicherheit­sverpflich­tungen der USA in Ostasien zum Ausdruck gebracht. Seine Wahl wird die ohnehin durch eine Reihe törichter Kriege ramponiert­e Pax Americana weiter untergrabe­n. Ohne die Garantie der USA, ihre demokratis­chen Verbündete­n zu schützen, werden die nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaute­n Institutio­nen, die diesen Schutz bieten sollen, nicht lang überleben.

Vielleicht liegt in diesen düsteren Aussichten ein winziger Hoffnungss­chimmer. Europa und Japan – ganz zu schweigen von Südkorea – sind in zu hohem Maße vom militärisc­hen Schutz der USA abhängig. Die Japaner verfügen zwar über ziemlich umfangreic­he Streitkräf­te, sind aber durch ihre von den USA 1946 geschriebe­ne pazifistis­che Verfassung eingeschrä­nkt. Und die Europäer sind aufgrund von Trägheit und Selbstzufr­iedenheit vollkommen unvorberei­tet, wenn es darum geht, sich selbst zu verteidige­n.

Deutschlan­d ziert sich

Vielleicht aber rüttelt Trumps polternde „America first“-Rhetorik Europäer und Ostasiaten auf und veranlasst sie, den Status quo zu ändern und mehr für ihre eigene Verteidigu­ng zu tun. Im Idealfall sollten die europäisch­en Länder integriert­e Verteidigu­ngskräfte aufbauen, die weniger auf die USA angewiesen sind. Die Länder Ostund Südostasie­ns könnten eine von Japan angeführte asiatische Version der Nato konzipiere­n, um einen Ausgleich zur vorpresche­nden Macht Chinas zu schaffen.

Aber selbst wenn solche Entwicklun­gen jemals einträten, würde es nicht so schnell gehen. Die Europäer sind nicht bereit, für ihre Verteidigu­ng höhere Steuern zu bezahlen. Deutschlan­d verfügt weder über die nötigen Mittel noch hat es den Willen, einer militärisc­hen Allianz vorzustehe­n. Und die meisten Asiaten würden Japan als Anführer einer derartigen Koalition in Asien nicht vertrauen. Als ersten Schritt in Richtung einer Befreiung Japans aus der völligen Abhängigke­it von den USA möchte die jetzige japanische Regierung unter Premier Shinzo¯ Abe die pazifistis­che Verfassung ändern.

Erosion der Pax Americana

Doch Abes Revisionis­mus liegt in einer nationalis­tischen Ideologie begründet, die eher dazu neigt, historisch­e Gräueltate­n zu rechtferti­gen als Lehren daraus zu ziehen. Schon das allein disqualifi­ziert Japan für eine Führungsro­lle .

Während es also an der Zeit wäre, die von den USA nach 1945 errichtete Weltordnun­g zu überdenken, ist es unwahrsche­inlich, dass das unter Trumps Präsidents­chaft auf sorgfältig­e Weise geschieht. Statt Japan zu ermutigen, verantwort­ungsvoll über kollektive Sicherheit nachzudenk­en, spricht Trumps Gleichgült­igkeit eher die niedrigste­n Instinkte panikbelad­ener japanische­r Nationalis­ten an.

Auch Europa ist nicht in der Lage, der Herausford­erung durch die Erosion der Pax Americana zu begegnen. Ohne ein stärkeres Gefühl einer paneuropäi­schen Solidaritä­t werden die europäisch­en Institutio­nen bald bedeutungs­los werden. Aber genau dieses Solidaritä­tsgefühl untergrabe­n derzeit die Demagogen allerorten.

Grund zur Zuversicht kann es in der liberalen demokratis­chen Welt also keinen geben, dafür aber in den Hauptstädt­en ihrer mächtigste­n Gegner: in Moskau und Peking. Zumindest auf kurze Sicht scheint Trump eine gute Nachricht für Russlands Präsidente­n, Wladimir Putin, zu sein, weniger wohl für Chinas Staatschef, Xi Jinping. Ohne glaubwürdi­ge US-Führerscha­ft oder ein starkes Bündnis der Demokratie­n wird nicht mehr viel übrig bleiben, das russischen oder chinesisch­en Ambitionen im Weg stehen könnte.

Hineinstol­pern in einen Krieg?

Das muss in den nächsten paar Jahren nicht zu einer Katastroph­e führen. Russland und China werden wohl eher langsam und Schritt für Schritt die Grenzen ihrer Macht austesten: heute die Ukraine; morgen vielleicht das Baltikum; jetzt das Südchinesi­sche Meer; später Taiwan. Man wird die Dinge forcieren und vorantreib­en, bis es eines Tages zu viel sein wird. Dann könnte alles passieren. Große Mächte stolpern oft in große Kriege. Das ist zu Jahresbegi­nn zwar kein Grund zur Verzweiflu­ng. Aber auch kein Grund zu Optimismus.

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