Gastkommentar
Die vom neuen US-Präsidenten Trump gezeigte weltpolitische Gleichgültigkeit könnte auch positive Effekte haben.
Gibt es für Liberale nach einem Jahr der politischen Katastrophen noch irgendeinen Grund für Optimismus? Gibt es inmitten politischer Debakel wie Brexit, der Wahl Donald Trumps und der europäischen Uneinigkeit einen Anlass zur Zuversicht? Die Christen glauben, Verzweiflung sei eine Todsünde – also könnte man doch versuchen, einen Hoffnungsschimmer ausfindig zu machen.
In den USA trösten sich viele Liberale mit einem Gedanken: Sie glauben, dass die offensichtlichen Gefahren aufgrund der Regentschaft eines ignoranten, narzisstischen, autoritären Maulhelden, der von Milliardären, Ex-Generälen, Verbreitern bösartiger Falschmeldungen und Politneulingen mit extremen Ansichten unterstützt wird, der Bildung einer starken politischen Opposition Vorschub leisten wird. Trump, so hoffen sie, wird alle, die noch an die li- berale Demokratie glauben – ob links, rechts oder in der Mitte angesiedelt – aktiv werden lassen.
In dieser Situation würden Gruppen der Zivilgesellschaft, NGOs, Studenten, Menschenrechtsaktivisten, demokratische Kongressabgeordnete und sogar einige Republikaner alles tun, um gegen Trumps schlimmste Anwandlungen anzukämpfen. Ein seit Langem schlummernder politischer Aktivismus werde sich in Massenprotesten entladen und ein neu auflebender liberaler Idealismus die Welle des rechten Populismus brechen. Nun ja, vielleicht.
Proteste allein helfen nicht
Andere wiederum suchen Trost in der Erwartung, dass Trumps völlig widersprüchliche Pläne – niedrigere Steuern, aber höhere Infrastrukturausgaben; Hilfe für die vernachlässigte Arbeiterschicht bei gleichzeitiger Kürzung von Sozialleistungen und der Aufhebung des Krankenversicherungsgesetzes – seine Regierung in einem Sumpf aus Flügelkämpfen, Ungewissheit und Inkompetenz versinken lassen werden. Das alles könnte passieren. Aber Proteste allein werden nicht besonders hilfreich sein.
Demonstrationen gegen ihn werden dem selbstverliebten neuen Präsidenten zweifellos auf die Nerven gehen. Aber ohne wirkliche politische Organisation wird der bloße Protest den gleichen Weg wie Occupy Wall Street 2011 einschlagen; er wird im Sande verlaufen.
Eine der gefährlichsten Ideen des Populismus von heute ist die Vorstellung, politische Parteien seien obsolet und sollten durch Bewegungen ersetzt werden, an deren Spitze charismatische Anführer stehen, die als Stimme „des Volkes“agieren. Folglich sind alle Andersdenkenden die Feinde des Volkes. Das ist der Weg in die Diktatur. Die liberale Demokratie kann nur gerettet werden, wenn es den Parteien des Mainstream gelingt, das Vertrauen der Wähler wiederzugewinnen.
Trump hat seine Gleichgültigkeit gegenüber der Nato und den Sicherheitsverpflichtungen der USA in Ostasien zum Ausdruck gebracht. Seine Wahl wird die ohnehin durch eine Reihe törichter Kriege ramponierte Pax Americana weiter untergraben. Ohne die Garantie der USA, ihre demokratischen Verbündeten zu schützen, werden die nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebauten Institutionen, die diesen Schutz bieten sollen, nicht lang überleben.
Vielleicht liegt in diesen düsteren Aussichten ein winziger Hoffnungsschimmer. Europa und Japan – ganz zu schweigen von Südkorea – sind in zu hohem Maße vom militärischen Schutz der USA abhängig. Die Japaner verfügen zwar über ziemlich umfangreiche Streitkräfte, sind aber durch ihre von den USA 1946 geschriebene pazifistische Verfassung eingeschränkt. Und die Europäer sind aufgrund von Trägheit und Selbstzufriedenheit vollkommen unvorbereitet, wenn es darum geht, sich selbst zu verteidigen.
Deutschland ziert sich
Vielleicht aber rüttelt Trumps polternde „America first“-Rhetorik Europäer und Ostasiaten auf und veranlasst sie, den Status quo zu ändern und mehr für ihre eigene Verteidigung zu tun. Im Idealfall sollten die europäischen Länder integrierte Verteidigungskräfte aufbauen, die weniger auf die USA angewiesen sind. Die Länder Ostund Südostasiens könnten eine von Japan angeführte asiatische Version der Nato konzipieren, um einen Ausgleich zur vorpreschenden Macht Chinas zu schaffen.
Aber selbst wenn solche Entwicklungen jemals einträten, würde es nicht so schnell gehen. Die Europäer sind nicht bereit, für ihre Verteidigung höhere Steuern zu bezahlen. Deutschland verfügt weder über die nötigen Mittel noch hat es den Willen, einer militärischen Allianz vorzustehen. Und die meisten Asiaten würden Japan als Anführer einer derartigen Koalition in Asien nicht vertrauen. Als ersten Schritt in Richtung einer Befreiung Japans aus der völligen Abhängigkeit von den USA möchte die jetzige japanische Regierung unter Premier Shinzo¯ Abe die pazifistische Verfassung ändern.
Erosion der Pax Americana
Doch Abes Revisionismus liegt in einer nationalistischen Ideologie begründet, die eher dazu neigt, historische Gräueltaten zu rechtfertigen als Lehren daraus zu ziehen. Schon das allein disqualifiziert Japan für eine Führungsrolle .
Während es also an der Zeit wäre, die von den USA nach 1945 errichtete Weltordnung zu überdenken, ist es unwahrscheinlich, dass das unter Trumps Präsidentschaft auf sorgfältige Weise geschieht. Statt Japan zu ermutigen, verantwortungsvoll über kollektive Sicherheit nachzudenken, spricht Trumps Gleichgültigkeit eher die niedrigsten Instinkte panikbeladener japanischer Nationalisten an.
Auch Europa ist nicht in der Lage, der Herausforderung durch die Erosion der Pax Americana zu begegnen. Ohne ein stärkeres Gefühl einer paneuropäischen Solidarität werden die europäischen Institutionen bald bedeutungslos werden. Aber genau dieses Solidaritätsgefühl untergraben derzeit die Demagogen allerorten.
Grund zur Zuversicht kann es in der liberalen demokratischen Welt also keinen geben, dafür aber in den Hauptstädten ihrer mächtigsten Gegner: in Moskau und Peking. Zumindest auf kurze Sicht scheint Trump eine gute Nachricht für Russlands Präsidenten, Wladimir Putin, zu sein, weniger wohl für Chinas Staatschef, Xi Jinping. Ohne glaubwürdige US-Führerschaft oder ein starkes Bündnis der Demokratien wird nicht mehr viel übrig bleiben, das russischen oder chinesischen Ambitionen im Weg stehen könnte.
Hineinstolpern in einen Krieg?
Das muss in den nächsten paar Jahren nicht zu einer Katastrophe führen. Russland und China werden wohl eher langsam und Schritt für Schritt die Grenzen ihrer Macht austesten: heute die Ukraine; morgen vielleicht das Baltikum; jetzt das Südchinesische Meer; später Taiwan. Man wird die Dinge forcieren und vorantreiben, bis es eines Tages zu viel sein wird. Dann könnte alles passieren. Große Mächte stolpern oft in große Kriege. Das ist zu Jahresbeginn zwar kein Grund zur Verzweiflung. Aber auch kein Grund zu Optimismus.