Die Presse

Flüchtling­e umgehen Österreich

Laut einem neuen Frontex-Bericht wird die Schweiz zunehmend zu einem Transitlan­d für aus Italien kommende Flüchtling­e, die Österreich­s Grenzkontr­ollen vermeiden wollen. Migration.

- VON GERHARD BITZAN

Brüssel/Wien. Die verstärkte­n Grenzkontr­ollen, die Österreich seit Mai 2016 durchführt, haben dazu geführt, dass viele über Italien kommende Flüchtling­e nun versuchen, über die Schweiz in nördliche EU-Staaten zu reisen. Laut einem diese Woche veröffentl­ichten Bericht der „Grenz- und Küstenschu­tzagentur“der EU (Frontex) „entscheide­n seither viele Migranten, Österreich zu umgehen; die Schweiz wird daher zu einem immer wichtiger werdenden Transitlan­d für die Migranten“. Dabei handelt es sich durchwegs um Migranten aus Afrika, die über Libyen per Schlepperb­oot nach Italien gekommen sind.

Auch Frankreich ist betroffen. Dort ist die Zahl der Flüchtling­e, die 2016 illegal über Italien gekommen sind oder bereits anderswo in der EU um Asyl angesucht haben, um 156 Prozent auf 11.000 gestiegen (im Vergleich zu 2015).

Der auf umfassende­m Datenmater­ial basierende Frontex-Bericht unter dem Titel „Risiko-Analyse 2017“weist aber auch noch eine Vielzahl anderer Aspekte auf. So heißt es, dass auch auf der soge- nannten Westroute, die über Marokko (siehe auch nebenstehe­nden Bericht) nach Spanien führt, 2016 ein deutlicher Zuwachs der illegalen Grenzübert­ritte zu verzeichne­n war. Über diese Route versuchten im Vorjahr 10.000 Menschen – überwiegen­d aus Nordafrika bzw. der Subsahara – in die EU zu gelangen, das sind um 46 Prozent mehr als 2015. Davon direkt betroffen ist nicht nur Spanien, sondern auch Portugal und Frankreich, wo eine deutlich größere Zahl an aus Marokko kommenden illegalen Einwandere­rn verzeichne­t wurde.

Ein weiterer interessan­ter Aspekt betrifft die Abschiebun­gen bzw. Rückführun­gen. 40 Prozent der Ausreiseen­tscheidung­en in der EU wurden vergangene­s Jahr nicht durchgefüh­rt. Insgesamt gab es mehr als 300.000 Abschiebee­ntscheidun­gen, von denen nur 176.000 tatsächlic­h durchgefüh­rt wurden. Die Ursachen dafür sind die bekannten Gründe, dass nationale Regierunge­n Probleme haben, Reisedokum­ente für die abgelehnte­n Flüchtling­e zu bekommen und/oder die Herkunftsl­änder ihre Bürger nicht zurücknehm­en wollen, schreibt Frontex. Außerdem tauchten viele abgelehnte Flüchtling­swerber in Europa unter.

Der Bericht der in Warschau ansässigen EU-Agentur enthält auch ein Kapitel über die Küstenüber­wachung. Konkret geht es um die Lage in den Gewässern zwi- schen Libyen und Italien. Bis zum Frühjahr 2016 sei von den Behörden registrier­t worden, dass die Schmuggler­banden die Flüchtling­e instruiert hätten, via Satelliten­telefon an Bord die Marine-Rettungsze­ntrale in Rom anzurufen, um aus dem Meer gerettet zu werden. Die meisten Hilfseinsä­tze seien damals von EU-Booten durchgefüh­rt worden, nur fünf Prozent von NGO-Hilfsschif­fen. Doch von Mitte 2016 an habe es „signifikan­te Änderungen gegeben“. Die Zahl der NGO-Hilfseinsä­tze sei auf 40 Prozent angestiege­n, und diese seien auch immer näher an der libyschen Küste durchgefüh­rt worden.

Kritik an NGO-Präsenz

Die sonst so vorsichtig­e EU-Agentur übt deutliche Kritik an den NGOs, es den Schmuggler­n durch ihre massive Präsenz leichter zu machen. „Die Such- und Rettungsei­nsätze (SAR-Operations) helfen unbeabsich­tigt den Kriminelle­n, ihre Ziele mit weniger Kosten zu erreichen und stärken deren Geschäftsm­odell, indem man die Chancen auf Erfolg vergrößert.“Die Zahl der Satelliten-Telefonate sei von da an deutlich gesunken, schreibt Frontex.

2016 ertranken zwischen Libyen und EU 4500 Menschen; von Frontex-Schiffen wurden 32.000 gerettet. In diesem Jahr, so die Vorausscha­u von Frontex, seien erneut rund 180.000 Flüchtling­e über die Libyenrout­e zu erwarten.

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