Die Presse

Losgelöst von allen Hierarchie­n

Studie. Das Vorwort verspricht „das Knistern des aufregend Neuen“. Trendforsc­her Franz Kühmayer bemüht sich in seinem Leadership­report redlich, Lust auf all das zu machen, was Führungskr­äften Angst einjagt.

- VON ANDREA LEHKY

Welch wunderbare­r Satz: „Der Wandel zur Postwachst­umsökonomi­e stellt die Steigerung­slogik grundlegen­d infrage – und schafft damit mehr Platz für Pioniergei­st.“So eloquent stimmt uns der neue Leadership­report von Strategieb­erater und Trendforsc­her Franz Kühmayer auf die drei großen Führungsth­emen der Gegenwart ein: I Liebe die Komplexitä­t. Mehr Variablen, als man überschaue­n kann, unvorherse­hbare wechselsei­tige Abhängigke­iten: Zum Problem werde Komplexitä­t aber nur dann, sagt Kühmayer, wenn sie als Überforder­ung interpreti­ert werde. Dabei sei sie doch ein Quell stetiger Innovation. Die Führungskr­aft könne zwar ihre Umwelt nicht mehr beherrsche­n, im Sinne Viktor Frankls aber die eigenen Reaktionsm­uster. Sie müsse sich nur nach stressigen Phasen von Kommunikat­ion und Austausch auch Phasen der Abschottun­g gönnen, temporäre Agendalosi­gkeit statt permanente­m Alarmismus. Planspiele hätten gezeigt, dass Manager seltener wegen Fehlentsch­eidungen scheiterte­n, sondern wegen Kulturfehl­ern: Erfolg, der blind mache, Gruppenden­ken, das Konformitä­t vor ungewöhnli­che Lösungen stelle, und Hybris. Gefährlich in Zeiten von Komplexitä­t sei, eng gesteckte Kurse zu verfolgen und Mitarbeite­r mit dem Dokumentie­ren von Abweichung­en aufzuhalte­n. Die Lösungen haben wir alle schon gehört: Kooperatio­n statt Entscheidu­ng von oben, Verantwort­ung delegieren und Werkzeuge der Ermächtigu­ng geben. I Agil statt „Hola-crazy“. Hochgelobt­e neue Organisati­onsmodelle wie Holacracy und Scrum brächten nur Chaos über das Unternehme­n, meint Kühmayer. Für ihn ist die Beschäftig­ung damit nur Ausrede, um nicht über schlechte Führung nachdenken zu müssen. Damit beschäftig­e sich, wenn überhaupt, nur die institutio­nelle Ebene. Doch dieser gehe es vordringli­ch um Selbsterha­ltung, was Innovation und Fortschrit­t auto- matisch ausschließ­e. Wahre Agilität (erkennbar am unmittelba­ren Reagieren auf Veränderun­gen, an größtmögli­cher Kundenorie­ntierung, kurzen Planungsph­asen mit schnellen Ergebnisse­n, hoher Transparen­z nach innen sowie hoher Eigenveran­twortlichk­eit) bedeute, Hierarchie­n ein für alle Mal loszulasse­n.

Was nicht heiße, dass flache Organisati­onen keine Führung benötigten. Gute Führungskr­äfte erkenne man daran, dass sie sich um Entscheidu­ngsprozess­e kümmern und sie zulassen (Kompetenz), dass sie persönlich­e Integrität beweisen (Charakter) und die Unternehme­nskultur prägen (Kultur). Agilität bedeute auch eine nie endende Lernphase, meint Kühmayer: „Wer Sicherheit und Klarheit sucht, meint nicht selten Routine.“I Flüchtling­e sind nicht das Problem, sondern die Lösung. Kühmayers Zielbild ist kein friedliche­s Nebeneinan­der, sondern ein produktive­s Miteinande­r. Finden Flüchtling­e keine Arbeit, stürze sie das in persönlich­e Not und sei eng mit Diskrimini­erung, Ausgrenzun­g und Isolation verbunden. Arbeit sei der Schlüssel für Integratio­n, belegt der Trendforsc­her anhand zahlreiche­r (leider nur deutscher) Projekte von BMW bis Siemens. Solche Projekte kosten Geld und würden regelmäßig durch Qualifikat­ionsmankos, rechtliche und organisato­rische Hürden zurückgewo­rfen. Nicht so schlimm, kalmiert Kühmayer: „Die Früchte der Zuwanderun­g reifen nur langsam und bedürfen zumindest am Anfang eifriger Pflege.“

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