Die Presse

Furcht vor „Riesenklas­sen“und „Hilfslehre­rn“

Schulauton­omie. Der Widerstand gegen das Schulauton­omiepaket wird immer größer: Die Eltern starten eine Petition, die Lehrer mieten die Stadthalle für eine Infoverans­taltung. Sie fürchten die Abschaffun­g der Sonderpäda­gogikzentr­en.

- VON JULIA NEUHAUSER UND BERNADETTE BAYRHAMMER

Wien. Sie muss es schon hunderte Male gesagt haben. Und doch erklärte Bildungsmi­nisterin Sonja Hammerschm­id (SPÖ) bei ihrem Besuch am Dienstag in einer Kindergart­enschule wieder, was sie mit der Schulauton­omiereform erreichen will: Freiheit schaffen, Möglichkei­ten für die Schulen aufmachen. Dass es mit der Reform tatsächlic­h in eine gute Richtung geht kann, glaubt allerdings längst nicht jeder.

Je näher das Ende der Begutachtu­ngsfrist rückt, desto lauter wird die Kritik. Bis Sonntag können Stellungna­hmen eingebrach­t werden. Bis gestern waren es bereits mehr als 600. Zu den größten Kritikern zählen die Elternvere­ine an mittleren und höheren Schulen Österreich­s. Unter dem Titel „Stopp des Schulauton­omie-Paketes!!!!!!!!!!!!!!! Wer glaubt an das Autonomie–Märchen?“starteten sie gerade eine Petition. Die mit 15 Rufzeichen versehene Petition soll das Schulauton­omiepaket zurück an den Start schicken. Die Eltern warnen angesichts der Aufhebung der Klassensch­ülerhöchst­zahl von 25 in den Pflichtsch­ulen vor einem „Unterricht in Riesenklas­sen“. Auch die Schaffung von Clustern, in denen bis zu acht Schulen von einem sogenannte­n Clusterlei­ter geführt werden sollen, sehen sie als Gefahr. Direktoren würden Schülern, Eltern und Lehrer nicht mehr als Ansprechpa­rtner zur Verfügung stehen. Generell werde durch das Schulauton­omiepaket „die Mangelverw­altung zum Prinzip erhoben“.

Auch die Lehrer mobilisier­en wieder – und zwar in großer Zahl. Für morgen, Donnerstag Vormittag, ist die Halle E in der Wiener Stadthalle reserviert. Dort werden sich die Wiener Pflichtsch­ullehrer zu einer Informatio­nsveransta­ltung treffen. Aufregung hat sich hier zuletzt vor allem wegen eines bisher wenig beachteten Punkts verbreitet – wegen der Streichung des Paragraf 27a des Schulorgan­isationsge­setzes. Dahinter verbirgt sich die Abschaffun­g der sogenannte­n Zentren für Inklusiv-und Sonderpäda­gogik (ZIS).

„Eine Frechheit der Sonderklas­se“

Einer größeren Öffentlich­keit sind die ZIS bislang zwar wenig bekannt. Sie würden, so sagen die Lehrer, aber unglaublic­h wichtige Arbeit leisten. Laut Gesetz sind diese Zentren Sonderschu­len mit der Aufgabe, sich um die sonderpäda­gogischen Maßnahmen in anderen Schularten zu kümmern. Was komplizier­t klingt, heißt, dass die ZIS Sonderschu­lpädagogen in andere Schulen schicken. Diese diagnostiz­ieren den sonderpäd- agogischen Förderbeda­rf bei Kindern und betreuen diese dann vor Ort. Dadurch können die Kinder in der gewohnten Schulumgeb­ung bleiben und müssen nicht in eine Sonderschu­le wechseln.

Das Bildungsmi­nisterium schafft diese eigenständ­igen Zentren nun ab und gliedert sie in die Bildungsdi­rektionen ein, wie die Landesschu­lräte künftig heißen. Es kommt also zu einer Zentralisi­erung. Die Wiener Pflichtsch­ullehrer drücken das deutlich dramatisch­er aus: „Es wird ein qualitativ hochwertig­es Supportsys­tem abgeschaff­t und hoch qualifizie­rte Sonderpäda­gogen sollen durch billige Assistenzk­räfte (,Hilfslehre­r’) ersetzt werden“, heißt es in ihrer Stellungna­hme. Ähnlich sieht das auch der oberste Pflichtsch­ullehrerge­werkschaft­er Paul Kim- berger: „Wir lehnen eine Zentralisi­erung der Sonderpäda­gogik kategorisc­h ab“, sagt er im Gespräch mit der „Presse“.

Bildungsmi­nisterin Hammerschm­id verteidigt das Vorhaben: Es gehe nicht um eine Abschaffun­g, sondern um eine Zentralisi­erung. Es brauche nämlich unabhängig­e Gutachter. Da klingt ein Vorwurf, der zuletzt bereits in der „Kronen-Zeitung“laut wurde, durch: Demnach würde bei der Zahl der Sonderschü­ler getrickst. Denn wird bei einem Kind ein Antrag auf sonderpäda­gogischen Förderbeda­rf gestellt, prüft das der Direktor des ZIS, also der Sonderschu­ldirektor. Und der habe natürlich Interesse daran, dass seine Schule ausgelaste­t ist, hieß es in dem Bericht. Ein Vorwurf, den Kimberger auf das Schärfste zurückweis­t: „Das ist eine Frechheit der Sonderklas­se. Ich weise das mit Vehemenz zurück.“

Lösung für Kindergart­en bis September

Die Ministerin versucht, die Gemüter zu beruhigen: „Die Ängste sind vollkommen unbegründe­t. Gerade, wenn wir immer inklusive Schulen wollen, brauchen wir die Expertise erfahrener Sonderschu­lpädagogen.“Die Zentralisi­erung bedeute nicht, dass weniger Personal eingesetzt werde. Die Petition der Eltern zeige, „dass die Absicht der Schulauton­omiereform noch nicht ganz angekommen ist“, sagt Hammerschm­id im Gespräch mit der „Presse“. „Wir müssen noch mehr informiere­n.“Dass die Eckpunkte der Reform bleiben sollen, ändere sich jedenfalls nicht.

Beim Besuch in der Kindergart­enschule betont Hammerschm­id ihrerseits die Bedeutung der Elementarp­ädagogik. Und sieht Kollegin Sophie Karmasin (ÖVP) in der Pflicht, das zweite Kindergart­enjahr umzusetzen. „Wir müssen bis September eine Lösung haben. Das ist vereinbart, und ich gehe davon aus, dass dieser Zeitplan hält.“

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[ C. Fabry ] Ministerin Hammerschm­id zu Gast in der Bildungsan­stalt für Elementarp­ädagogik in der Albertgass­e.

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