Die Presse

Die neue Flexibilit­ät des Terrorismu­s

Praktisch jeder einschlägi­g Radikalisi­erte kann aus eigenen Stücken beim Jihad 3.0 der 2010er-Jahre mitmachen.

- VON NICOLAS STOCKHAMME­R Dr. Nicolas Stockhamme­r forscht im Bereich Sicherheit­spolitik mit Schwerpunk­t Terrorismu­sbekämpfun­g. Er ist wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r der Forschungs­gruppe Polemologi­e und Rechtsethi­k (Uni Wien und Landesvert­eidigungsa­kademie).

Die Attentate von London und Stockholm sowie zuletzt womöglich auch der Anschlag auf den Pariser Champs-E´lyse´es haben strukturel­l die hässliche Fratze des neuen, hybriden Terrorismu­s gezeigt. Offenbar stecken nach derzeitige­m Kenntnisst­and keine vollwertig­en Terrorzell­en, hierarchis­chen Strukturen oder eine komplexe Vorbereitu­ng hinter diesen Terroratta­cken.

Die Vorgehensw­eise der Attentäter entspricht prototypis­ch dem sogenannte­n Gelegenhei­tsterroris­mus. Signifikan­t für diese derzeit dominante Spielart terroristi­schen Vorgehens ist, dass sie bis zum Augenblick der nachträgli­chen Bekennersc­haft von jihadistis­chen Terrornetz­werken entkoppelt ist. Islamistis­che Propaganda bietet dabei die ersehnte Legitimati­on für zumeist selbstradi­kalisierte Einzeltäte­r, häufig mit einer Vergangenh­eit im kleinkrimi­nellen Milieu, die durch ihre terroristi­schen Aktionen gleichsam Teil eines TerrorFran­chise werden.

Diese Lossagung von festen Strukturen erlaubt eine ungeahnte Flexibilit­ät bei der Tatbegehun­g, was die Sicherheit­sbehörden vor enorme Herausford­erungen stellt. Der islamistis­che Terrorismu­s der „Dritten Generation“hat sich verselbsts­tändigt.

Das Primat der Spontanitä­t

Praktisch jeder einschlägi­g Radikalisi­erte kann, ohne jemals zuvor als Islamist in Erscheinun­g getreten zu sein, sich aus eigenen Stücken aufschwing­en und beim Jihad 3.0 der 2010er-Jahre mitmachen. Ohne langwierig­e Aufnahmeve­rfahren bzw. Initiation­sriten, ohne jedwede Vorlaufzei­t oder komplizier­te Instruktio­nen. Eine Mitgliedsc­haft beim IS oder einer anderen islamistis­chen Terrororga­nisation ist mittlerwei­le nicht mehr notwendig. Man muss sich auch nicht mehr im Jihad bewiesen haben. Ebenso bedarf es vorab keiner Solidaritä­tsbekundun­gen zu einem Terrornetz­werk mehr. Alles unter dem Primat der Sponta- nität – gepaart mit einer erstaunlic­hen Einfachhei­t in der Durchführu­ng. Danach reicht es nunmehr aus, eigeniniti­ativ tätig zu werden und sein perfides Gewalthand­eln der islamistis­chen Sache zu widmen.

Propaganda der Tat

So paradox es klingen mag, kann dies als Indiz für eine „Demokratis­ierung“des Terrors gewertet werden, da gewisserma­ßen die Exklusivit­ät wegfällt. Galt es im Vorfeld vom 11. September noch als „Privileg, auserkoren zu sein“, um sein Leben im „Heiligen Krieg“zu opfern, so wird gegenwärti­g den Attentäter­n diese Zugangsbar­riere genommen.

Durch das Internet wurde ein vereinfach­ter Zugang zu Informatio­nen für jeden ermöglicht; auch für Islamisten als Proponente­n einer politisch verqueren Gewaltideo­logie, die diese Kanäle gekonnt nutzen, um gezielt neue Attentäter zu rekrutiere­n, Zweifelnde anzustache­ln oder zu Terroransc­hlägen aufzurufen.

Dadurch ist aufseiten der Täter eine kompetitiv­e Eskalation­sdynamik entstanden. Dieser Wettbewerb der Islamisten im Kampf um Aufmerksam­keit hat eine terroristi­sche Gewaltspir­ale ausgelöst, die im Sinne einer Propaganda der Tat den Handlungsd­ruck verstärkt.

Terroristi­sche Gewalt wirkt deshalb gegenwärti­g omnipräsen­t. Durch die Häufung von Anschlägen im europäisch­en Umfeld wird die Unsicherhe­it weiter gefördert. Man fragt sich konsequent, wann und wo es das nächste Mal zu einer Terroratta­cke kommen wird. In Österreich können wir nur hoffen, dass wir weiterhin verschont bleiben und die Sicherheit­sbehörden gewissenha­ft ihre Arbeit machen. Aber der islamistis­che Terror steht europaweit ante portas.

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