Franzosen bereuen ihre Finanzsteuer
Steuern. Frankreich wollte Vorbild für Europa sein, als es 2012 eine Finanztransaktionssteuer einführte. Nun zerpflückt sie der Rechnungshof gnadenlos. Das endgültige Aus für das EU-Projekt?
Einer muss ja anfangen. Das dachten sich 2012 der damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy und seine Regierung. Sie führten im nationalen Alleingang eine Finanztransaktionssteuer ein – jene Abgabe also, die von ihren Apologeten seit Jahrzehnten als Wundermittel gegen einen entfesselten Finanzkapitalismus lautstark gepriesen und vergeblich herbeigesehnt wird. Die Pioniere aus Paris wollten als Vorbild wirken und die Einführung in ganz Europa vorantreiben.
Die Dynamik blieb aus: Von einer EU-weiten Umsetzung ist keine Rede mehr. Eine Gruppe der Willigen aus zehn Ländern unter dem Vorsitz Österreichs ringt seit Jahren um eine Einigung, ein Ende ist nicht in Sicht. Und nun tritt auch noch der französische Rechnungshof in Paris auf den Plan und zerpflückt das Pilotprojekt nach Strich und Faden. Die Wirtschaftszeitung „Les Echos“´ zitierte am Dienstag vorab aus dem Bericht.
Das vernichtende Fazit der Kontrollore: Kein einziges der gesetzten Ziele werde erreicht. Was waren diese Ziele? In der Krise waren auch die französischen Banken auf staatliche Hilfen angewiesen. Die neue Steuer sollte dafür sorgen, dass sie mehr zur Finanzierung der öffentlichen Hand beitragen. Tatsächlich aber, moniert der Rechnungshof, zahlt der Anleger die Zeche: Die Finanzvermittler schlagen die abzuliefernde Steuer einfach den Spesen zu, die sie an ihre Kunden verrechnen.
Der besondere Reiz der Transaktionssteuer sollte freilich darin liegen, dass sie bei hoch spekulativen Geschäfte Sand ins Getriebe streut und damit das Risiko von Blasen und Krisen vermindert. Im Visier steht dabei vor allem der Hochfrequenzhandel. Deshalb wurde er in Frankreich vom Start weg besteuert. Die Einnahmen daraus: null. Denn Zugriff hat der Fiskus nur auf Transaktionen, die Akteure im Inland durchführen. Die Folge: Die Steuer hat diese Geschäfte „nicht verschwinden lassen, sondern in andere Länder verlagert“.
Die Abgabe bringt pro Jahr rund eine Milliarde Euro ein, allerdings mit sinkender Tendenz. Das Gros kommt aus dem normalen Aktienhandel. Der Satz dafür betrug zu Beginn 0,2 Prozent, heuer wurde er auf 0,3 Prozent erhöht. Besteuert wird nur der Kauf der Titel von 140 Großunternehmen; Derivate sind ausgenommen.
Die französische „TTF“gleicht damit eher einer Börsenumsatzsteuer. Mit ihr haben andere Länder sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht: In Schweden brach der Markt ihretwegen in den 1980er Jahren völlig zusammen. Der Fiskus verrechnete sie nämlich auf alle Transaktionen der im Land registrierten Broker – mit der Folge, dass der Handel das Land verließ. Die Briten machen es mit ihrer „Stempelabgabe“von 0,5 Prozent seit 1964 schlauer: Sie zielen auf die Wertpapiere inländischer Unternehmen ab, egal, wer sie an welchem Ort handelt. Daran orientierten sich die Franzosen, weshalb der normale Aktienhandel zwar litt, aber nicht wegbrach.
Was aber (abgesehen vom Hochfrequenzhandel) bei der Bemessungsgrundlage von Anfang an fehlte, waren „Intraday“-Geschäfte. Ein Händler kauft dabei ein Wertpapier und verkauft es am selben Tag wieder. Gerade das aber klingt nach Spekulation, weshalb das Parlament die Lücke immer wieder schließen wollte. Nun steht die Gesetzesnovelle, die ab Beginn 2018 greifen soll. Aber der Rechnungshof warnt: Geschäfte innerhalb eines Tages werden saldiert, der Vermögensübergang findet erst danach statt. Damit gibt es bei einer sofortigen Besteuerung von Intraday-Käufen juristische Probleme, die nicht gelöst sind.
Dass sich das Finanz- und Wirtschaftsministerium lange dagegen sträubte, lag aber weniger an rechtlichen Bedenken: Man fürchtet vor allem negative Folgen für den Finanzplatz Paris. Gerade in Zeiten des Brexit: Frankreich versucht, Banken und Finanzinstitutionen aus London abzuwerben.
Deshalb steht der neue Präsident Emmanuel Macron auch bei der Transaktionssteuer auf EUEbene auf der Bremse. Die wohlwollenden Länder hatten sich nach langen Mühen auf Eckpunkte geeinigt. Aber Macrons Finanzminister wollte sie bei den Ecofin-Treffen im Mai und Juni nicht absegnen.
Die Begründung: Er müsse sich erst in das Thema einarbeiten. Nun könnte der Rechnungshofbericht ein Anlass für Frankreich sein, ins Lager der Unwilligen zu wechseln. Das wäre wohl der finale Todesstoß für ein Projekt, an das ohnehin kaum noch jemand glaubt.